Die Evolution der Psyche
Nach Klaus Holzkamp: Grundlegung der Psychologie
Inhalt
Einleitung
In dem Buch "Grundlegung
der Psychologie" bemüht sich Klaus Holzkamp, die Methodik
der Psychologie einer Kritik zu unterziehen und diese auf einer
konsequent dialektisch-materialistischen Grundlage neu
aufzubauen. Ein großer Teil seiner Ausführungen ist deshalb
einer Neubestimmung der in der Psychologie verwendeten Kategorien
gewidmet, die er dem Gegenstand psychologischer Untersuchungen
angemessen definieren will. Von dieser Position aus kommt er dann
zu einer Kritik der bürgerlichen Psychologie. Diese Seite
interessierte mich weniger und wird deshalb im Folgenden
weitgehend unbeachtet gelassen. Daneben beschreibt Holzkamp aber
als Ausgangspunkt seiner Untersuchungen die phylo- und
ontogenetische Entwicklung der Psyche der Lebewesen
einschließlich der des Menschen, was wiederum einen sehr starken
Bezug auf die Evolutionstheorie aufweist und in diesem
Zusammenhang hier ausgewertet werden soll. Insofern unterscheidet
sich die hier dargelegte Betrachtung grundlegend von der von Stefan Meretz vorgenommenen.
Desweiteren hat Annette Schlemm eine ganz hervorragende Darstellung der
Menschwerdung und des Menschseins aus der Sicht der Kritischen
Psychologie ins Internet gestellt.
Die Herausbildung der Grundform des
Psychischen
Die Grundform des Psychischen
wird erreicht, wenn der Organismus die Fähigkeit verliert,
Nahrung unmittelbar durch die Körperoberfläche aufzunehmen, und
Sinnesorgane herausbildet, welche die Auswertung von
Umweltsignalen übernehmen, um über Frühformen eines
Zentralnervensystems Ortsveränderungen des Organismus
auszulösen, um an Nahrung heranzukommen. Der phylogenetische
Prozess der Herausbildung des Psychischen erfolgt in 5 Schritten:
- Fähigkeit zur
ungerichteten Ortsveränderung und Reizbarkeit durch
neutrale Agenzien
- Veränderung der
Außenwelt, die selektive Vor- und Nachteile erzeugt
- Funktionswechsel der
Fähigkeiten zur Verbesserung der Ernährungsgrundlagen
- Dominanzwechsel von
unmittelbarer zu signalvermittelter Nahrungsaufnahme
- Vollständige
Umfunktionierung von Organen von einer früheren zu einer
neuen Aufgabe.
Funktionsebenen des Psychischen
- Auf der untersten Ebene des
psychischen erfolgt lediglich eine
Gradientenorientierung, die Konzentrations- und
Energiegefälle feststellen und unspezifisch für eine
Hin- oder Wegbewegung auswerten kann. (Geruchs- und
Geschmackssinn, Temperaturgefälle, Hell-Dunkel-Sehen).
- Auf der zweiten Ebene ist
eine Distanzermittlung möglich, die im Zusammenwirken
von Licht- und Tonsignalen mit gerichteter
Bewegungsaktivität eine räumliche Orientierung
gestattet. Auf dieser Ebene verselbständigt sich die Orientierungsaktivität zu einer parallelen
Informationsauswertung mehrerer Sinnesorgane mit
bedeutend höheren Anforderungen an das Nervensystem zur
Identifizierung räumlich entfernter Gegenstände und
ihrer Aussonderung aus der übrigen Umwelt.
- Auf der dritten Ebene
erfolgt eine Differenzierung unterschiedlicher
Gegenstände und eine artspezifische Zuordnung von
Bedeutungen wie Freßfeind = Weglaufen, Beute =
Angreifen, Nahrungsmittel = Verzehren, Sexualpartner =
Kopulationsaktivität. Dadurch werden an das Nervensystem
Anforderungen zur Merkmalskombination gestellt.
Diesbezügliche Fähigkeiten werden durch größere
Lebenssicherung der betreffenden Individuen und erhöhte
Fortpflanzungswahrscheinlichkeiten artspezifisch
selektiert, sind reine Instinkthandlungen und haben noch
keinen individuellen Lernbezug.
- Auf der nächsten Ebene
ordnet sich zwischen Feststellung der Bedeutung und
Ausführung der zugeordneten Aktivität eine emotionale
Bewertung anhand des inneren Zustandes des Organismus
ein. Die betreffende Handlung wird dann nur ausgeführt,
wenn ein innerer Bedarfszustand vorliegt.
- Jeder inneren
Bedarfsdimension kann nunmehr eine Bedeutungseinheit
zugeordnet werden, bei deren Zusammentreffen die zur
Behebung der Bedarfssituation erforderliche Handlung
ausgelöst wird. Durch ein Geflecht emotionaler
Bewertungen wird die Dringlichkeit unterschiedlicher
physiologischer Bedarfszustände geordnet und ggf.
Aktivitäten ausgelöst, auch wenn physiologische
Bedarfszustände noch nicht vorliegen, in der Umwelt aber
zuordenbare Bedeutungseinheiten festgestellt werden.
Emotionalität wird damit zu einer Gesamtwertung der
Bedeutungskonstellation, die über die reine Verrechnung
von Sinnenreizen hinausgeht.
- Auf der nächsten Ebene
übernimmt die emotionale Gesamtwertung eine
orientierungsleitende Funktion, die zu einer
ungerichteten Suchaktivität führt, bis in der Umwelt
die Bedeutungseinheit gefunden wird, die den vorliegenden
Bedarfszustand beheben könnte. Dann erst kann die
Handlungsaktivität ausgelöst werden.
- Die Entwicklung der Psyche
wird somit vor allem durch die Auswertung neutraler
Signale zu Bedeutungseinheiten vorangetrieben. Da die
Selektion entsprechender Fähigkeiten über genetisch
gekoppelte Populationen erfolgt, wird gleichzeitig die
Erkennung sozialer Bedeutungseinheiten selektiert, die
für die Erhaltung der Population positive Effekte haben
und auf sozialer Kommunikation beruhen. Es gibt deshalb
viele Tierarten, die in dieser oder jener Form
Sozialverhalten zeigen und Sozialstrukturen bilden.
Die Phylogenese der Lernfähigkeit
Die zweite Qualitätsstufe
psychischer Entwicklung wird mit der individuellen,
artspezifischen Lernfähigkeit erreicht. Wieder kann man 5
Entwicklungsschritte unterscheiden:
- Ausgangsniveau ist ein
genetisch festgelegtes Instinktverhalten mit einer
festgelegten Variationsbreite (Modifikabilität), die
unter normalen Umweltbedingungen die Lebenssicherung der
Art nicht wesentlich beeinflußt und deshalb nicht
selektiert wird. Nur bei ungewöhnlich extremen und
anhaltenden Umweltbedingungen verändert der Organismus
das festgelegte Instinktverhalten und geht zu einer
modifizierten Verhaltensweise über.
- Verändern sich die
aktuellen Umweltbedingungen kurzfristig in Bezug auf die
Modifikabilität des Organismus in systemgefährdender
Weise, so werden schneller reagierende Organismen
selektiv bevorzugt und es entsteht ein Selektionsdruck in
Richtung individueller Lernfähigkeit der Art.
- Zusätzlich zu den
angeborenen instinktiven Verhaltensweisen wird die
individuelle Lernfähigkeit in steigendem Maße
funktional für die Lebenssicherung und deshalb selbst
positiv selektiert. Lernfähige Individuen haben
zunehmend bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen.
- Auf dem Wege zur Dominanz
des individuellen Lernens über den Instinkt gibt es zwei
unterschiedliche Formen der Lernfähigkeit, die
unterschiedlich weit zum Dominanzwechsel fortschreiten:
- Beim subsidiären Lernen steht die
Differenzierung festgelegter Bedeutungen und
Verhaltensweisen im Vordergrund. Die Ergebnisse
des Lernprozesses fixieren sich wieder in
festgelegten Verhaltensweisen. So erfolgt bei
häufig wiederkehrenden Reizen und Situationen
eine Gewöhnung und eine erhöhte Sensibilität
gegenüber kleinen Abweichungen. Beim Lernen aus
Fehlern werden die betreffenden Verhaltensweisen
in festgelegter Weise vermieden und gelernte
soziale Rangordnungen durch Dominanzverhalten
nicht in Frage gestellt und Bevorzugungen
fixiert. Mit dieser Art des Lernens entsteht
keine Dominanz des individuellen Lernens
gegenüber den festgelegten Aktivitäten.
- Beim autarken Lernen steht die Kontrolle der
Orientierungsaktivitäten im Vordergrund, die
zwischen der Feststellung der Bedeutungseinheiten
und der Endaktivitäten zur Bedarfsbefriedigung
vermitteln. Der Ablauf dieser
Orientierungsaktivitäten ist in vielfältiger
Weise kombinierbar und erfordert in jeder
Situation die Überprüfung des schon Bekannten
und Gelernten und die Abgrenzung des Unbekannten
und Neuen. Dazu ist die Vorwegnahme der geplanten
Aktivitäten und ihr Vergleich mit schon
Gelerntem erforderlich, das hierfür im
Gedächtnis abrufbar sein muß. Der Organismus
benötigt dazu ein inneres Abbild und
Funktionsmodell seiner Umwelt, um das Ergebnis
seiner geplanten Handlungen vorausschauen zu
können. Es ist offensichtlich, dass hierbei
aktives autarkes Lernen sehr schnell Dominanz
gegenüber instinktmäßig festgelegten Abläufen
gewinnen kann. Neue Situationen erfordern die
Einleitung von Erkundungsaktivitäten, um zu
einer realistischen Wertung des Ergebnisses der
geplanten Handlungsaktivitäten zu gelangen. Bei
ungenügender Kontrollfähigkeit der Situation
entsteht durch diese emotionale Wertung Angst, in
deren Folge die Kontrolle vollständig verloren
geht und festgelegte Instinktreaktionen
Fluchthandlungen einleiten. Bei positiver Wertung
der Situation erfolgen jedoch weitere
Orientierungsaktivitäten, die neue Lernvorgänge
auslösen und zur Beherrschung der Situation
führen können. In der phylogenetischen
Entwicklung werden so durch wachsenden
Kontrollbedarf autarke Lernfähigkeit gefördert,
autarkes Lernen und Neugierreaktionen motiviert
sowie Instinktreaktionen zurückgedrängt.
- Ein wesentlicher
Nachteil autark gelernter gegenüber festgelegten
Reaktionen ist es, dass letztere von Anfang an
zur Verfügung stehen, während erstere eben erst
gelernt werden müssen. Autarkes Lernen kann
deshalb erst dann Dominanz gegenüber Instinkten
gewinnen, wenn dieser Nachteil wirksam
kompensiert werden kann. Diese Kompensation
erfolgt bei den höheren Tieren bis zum Menschen
hin durch Ausprägung eines Sozialverhaltens, das
den Jungtieren Sicherheit gegenüber Gefahren und
Zeit zum Lernen gibt, solange sie noch nichts
gelernt haben. Die Entwicklung autarker
Lernfähigkeit ist deshalb immer mit Brutpflege,
Jungenaufzucht, Erziehung, Spielverhalten und
Üben der Jungtiere zum Erlernen notwendiger
Fähigkeiten verbunden. Die damit erforderliche
Kommunikationsfähigkeit zwischen den Individuen
führt später zur Übernahme von Erfahrungen von
anderen Individuen, Traditionsübernahme durch
Beobachtungslernen und in Wechselwirkung damit
zur weiteren Ausprägung von
Kommunikationsfähigkeiten in Richtung einer
Sprache..
- Auf der voll ausgeprägten
Entwicklungsstufe des autarken Lernen werden gelernte
Aktivitäten wiederum automatisiert, so dass sie jedem
erwachsenen Individuum jederzeit zur Verfügung stehen.
Sie ersetzen dann instinktive Reaktionen, haben aber den
Vorteil, dass sie bei gravierenden Umweltveränderungen
auch vergessen und umgelernt werden können. Das
Durchlaufen einer jugendlichen Entwicklungsphase in einem
Sozialverband ist dann Voraussetzung für die
Lebensfähigkeit eines jeden Individuums. Im weiteren
führt dies dazu, das die höchsten Tiere (Primaten)
außerhalb eines Sozialverbandes gar nicht mehr
lebensfähig sind.
Der Übergang zur gesellschaftlich
- historischen Entwicklung
Die nächste Qualitätsstufe der
phylogenetischen Entwicklung der Psyche ist verbunden mit dem
Prozeß der Menschwerdung und wird nur bei den Hominiden
erreicht. Am Ende dieser Entwicklungsstufe geht die
phylogenetische Entwicklung der Psyche in die gesellschaftlich
historische über und wird von dieser bestimmt.
- Ausgangsniveau der
Menschwerdung war das Leben der Primaten im tropischen
Urwald, das durch Schwing Hangel Klettern,
aufgerichtete Körperhaltung, Differenzierung von Händen
und Füßen und Ausbau der Sozialkontakte geprägt war.
- Durch geotektonische
Prozesse hervorgerufene Klimaveränderungen verwandelten
einen Teil des Urwald in eine Savannenlandschaft, die
einen Teil der Primaten zur Veränderung ihrer
Lebensaktivitäten zwangen. Zunehmende
Informationsverarbeitung komplexer Beobachtungen, Bildung
sozialer Großgruppen zur effektiveren Jagd und
Verteidigung, großräumiges Territorialverhalten,
Spezialisierung sozialer Funktionen (Jäger, Treiber,
Jungenaufzucht an entfernten Orten), Benutzung von
Gegenständen als Werkzeuge erforderten immer
umfangreichere autarke Lernfähigkeiten und führten im
Laufe von 15 Millionen Jahren zur erheblichen
Vergrößerung des Gehirns und zur Entwicklung der
psychischen Fähigkeiten.
- Zunächst nur individuell
bei eigenem Bedarf hergestellte und später wieder
weggeworfene Werkzeuge werden zunehmend im Voraus für
späteren eigenen und den Bedarf anderer Sozialpartner
hergestellt und im sozialen Verband gemeinsam angewendet.
Damit verbunden war eine erhebliche Steigerung der
Qualität psychischer Leistungen, die in der
vorausschauenden Planung komplexer Handlungen für
gemeinschaftliche Ziele der Lebenssicherung bestanden.
- Im folgenden gewinnt der
Prozeß der Werkzeugherstellung Dominanz und wird durch
die Herstellung von Werkzeugen zur Herstellung anderer
Werkzeuge bestimmend für die weitere Qualifizierung des
gesamten Lebensgewinnungsprozesses. Damit verbunden ist
gleichzeitig der Umschlag von der Dominanz des
phylogenetischen Entwicklungsprozesses zur Dominanz des
übergeordneten gesellschaftlich - historischen
Entwicklungsprozesses, der im weiteren die Evolution des
Menschen bestimmt. Mit der zentralen Bedeutung der
Schaffung von Werkzeugen und Arbeitsmitteln wird nicht
nur die gesellschaftliche Kooperation der Menschen auf
eine neue Stufe gehoben, sondern es wird gleichzeitig ein
gegenständlicher, Generationen überdauernder
Erfahrungsfundus geschaffen, der die aktuelle
arbeitsteilige Kooperation in eine vergegenständlichte
Kooperationsstruktur überführt. Das in der
phylogenetischen Entwicklung dominierende Prinzip der
natürlichen Selektion als Entwicklungsfaktor tritt
gegenüber der Optimierung verallgemeinerter
gesellschaftlicher Vorsorge durch Arbeit immer mehr
zurück. Damit wird die weitere Entwicklung der Art nicht
mehr durch Genveränderungen, sondern durch Änderungen
von Produktionsweisen bestimmt und wesentlich
beschleunigt.
- Entwicklungsbestimmend für
den Gesamtprozeß der Lebensgewinnung ist fortan nicht
mehr der von Selektion getragene biologisch -
phylogenetische Prozeß, sondern der bis heute nicht
abgeschlossene Prozeß zunehmender Vergesellschaftung,
der wie jeder andere Entwicklungsprozeß im weiteren
Fortschreiten in Bezug auf Progression, Stagnation oder
Verfall offen ist. So wie bisher die phylogenetische
Entwicklung der Psyche durch die Auseinandersetzung des
Organismus mit seiner artspezifischen Umwelt geprägt
war, ist durch den Dominanzwechsel nunmehr die weitere
psychische Entwicklung durch die Auseinandersetzung des
Menschen mit seiner gesellschaftlichen Umwelt bestimmt.
Die ersten Schritte dieser Auseinandersetzung mit der
sozialen Umwelt werden noch in der Phase der
Menschwerdung vollzogen und finden ihren Niederschlag in
genetischen Fixierungen, während später diese
Erfahrungen nur noch über autarke Lernprozesse eingeübt
und fixiert werden können, also deshalb im weiteren auch
vergessen und umgelernt werden können. Im Zuge seiner
phylogenetischen Entwicklung tritt die natürliche Umwelt
dem Menschen lediglich als vorbestimmte Bedingung
gegenüber, er befindet sich in einer Lebenslage, an die
er sich anpassen muß. Nach dem Dominanzwechsel tritt an
die Stelle der natürlichen Umwelt mehr und mehr die
gesellschaftliche Umgebung. Ihr gegenüber befindet sich
der Mensch einerseits auch wieder in einer Lebenslage,
die von seiner unmittelbaren Kooperationsumgebung
vorbestimmt ist und der er sich anpassen muß,
andererseits befindet er sich aber in einer durch seine
Lebensumstände und seine Individualentwicklung
bestimmten Position, von der aus er seine
gesellschaftliche Umwelt verändern kann. Primär wird
seine Psyche durch seine Lebenslage und durch die
erforderliche Anpassung an diese bestimmt, die er im Zuge
seiner phylogenetischen undontogenetischen Entwicklung
gelernt hat. Sekundär entwickelt sich aber
grenzüberschreitender Kontrollbedarf und er versucht,
Einfluß auf die gesellschaftliche Umwelt zu gewinnen und
diese umzugestalten. Die Möglichkeiten, die ihm hierfür
zur Verfügung stehen, hängen jedoch stark von seiner
Position und vom Charakter der Gesellschaftsformation ab,
in der er lebt und die seine Psyche bestimmt.
Die Phylogenese der Psyche im
gesellschaftlichen Umfeld
- Das autarke
Erlernen neuer
Orientierungsbedeutungen zur besseren Befriedigung von
individuellen unmittelbar lebenssichernden
Primärbedürfnissen verlagert sich zur Erlernung von
Arbeitsmittelbedeutungen zur kooperativ vorsorgenden
Existenzsicherung in zukünftigen Lebenssituationen.
Anfangs ist dabei der unmittelbare Zusammenhang der
Mittelbedeutung mit der angestrebten Bedarfsbefriedigung
für das Individuum noch einsichtig. Der Austausch der
Orientierungs- und Arbeitsmittelbedeutungen verlangte und
förderte die sprachliche Kommunikation und die
Herausbildung von Begriffen. Die Veränderung von Sexual-
und Aufzuchtbedeutungen war demgegenüber nur sekundär.
- Nach dem Dominanzwechsel
bilden sich gesamtgesellschaftliche
Kooperationsstrukturen und als Folge
gesamtgesellschaftliche Bedeutungszusammenhänge. Der
Zusammenhang individuell erlernter Bedeutungen mit der
angestrebten Bedarfsbefriedigung ist für das Individuum
nicht mehr direkt einsehbar und erfordert eine erhebliche
Kombination von Wissenselementen, die nur
gesellschaftlich vermittelbar sind. Während im
Zusammenhang mit der Produktion verallgemeinerte
gesellschaftliche Handlungsnotwendigkeiten entstehen,
kann die Existenz des Individuums auch dann gesichert
werden, wenn es sich nicht an den gesellschaftlich
notwendigen Arbeiten beteiligt. Es verbleibt ein
Spielraum für willkürliche Entscheidungen, der das
Subjekt von der Gesellschaft isoliert. Mit der
Nichtteilnahme an den gesellschaftlich notwendigen
Aktivitäten gerät das Individuum in Abhängigkeit von
der Gesellschaft, die es nur überwinden kann, wenn es
sich durch autarkes Lernen die Bedeutungszusammenhänge
aneignet und dadurch gesellschaftliche
Handlungsfähigkeit erwirbt, die ihm so zu einem
erweiterten Lebensbedürfnis wird. Die Einschränkung auf
die Befriedigung sinnlich vitaler
Lebensbedürfnisse bedeutet gleichzeitig eine
Einschränkung seiner gesellschaftlichen
Handlungsfähigkeit, einen Verzicht auf die
gesamtgesellschaftlich vermittelte Verfügung über seine
eigenen Lebensbedingungen und damit eine Einbuße an
elementarer Lebensqualität.
- Die in den Abschnitten 3
und 4 ausgewiesenen Funktionsebenen des Psychischen sind
auch in der Phase der Menschwerdung in unterschiedlich
ausgeprägter Form erkennbar:
- In der Gruppe der Orientierungsaktivitäten werden reine
Gradientenorientierungen (Geruch, Lärm, hell
dunkel Reize) weiterhin je nach
emotionaler Wertung durch On Off oder Hin
Weg Reaktionen beantwortet,
während räumliche und
Unterscheidungsorientierungen komplexere
Informations- und Erkennungsaktivitäten zur
Feststellung der Dingbeschaffenheit auslösen.
Der Grundcharakter dieser Aktivitäten bleibt
auch in Bezug auf die Ermittlung sozialer
Bedeutungen erhalten.
- Bei den
Unterscheidungsorientierungen spielen
Lernaktivitäten eine zunehmende Rolle. Bei der
Differenzierung von Bedeutungen bleibt weiterhin subsidiäres Lernen bestimmend, das sich
lediglich auf detailliertere Differenzierung
vorgegebener sozialer Bedeutungen und
existenzsichernde Primärbedürfnisse ausdehnt
und durch qualifiziertere emotionale Wertungen
(Aufmerksamkeit) geleitet wird.
- Bei der Kontrolle
der Orientierungsaktivitäten entwickelt sich
durch Prüfen, Probieren und Beobachten das
autarke Lernen vom Wahrnehmen zum Denken und die
unspezifischen Suchaktivitäten zum
vorwegnehmenden Erkundungslernen. Durch emotional
gesteuerte Risikooptimierung werden den
Ausführungsaktivitäten Orientierungs- und
Prüfaktivitäten vorgelagert und je nach dem
Ergebnis der Prüfung zukünftige
Ausführungsaktivitäten motiviert oder
unterdrückt.
- In dem Maße, wie
sich kooperative Handlungsziele herausbilden,
entstehen soziale Bedeutungszusammenhänge und
durch vorwegnehmendes Denken werden
überindividuelle Handlungsaktivitäten motiviert
und eingeleitet. Individuelle
Handlungsaktivitäten werden zunehmend
Bestandteil von kooperativen
Handlungszusammenhängen, damit entwickeln sich
aber auch individuelle Handlungszielstellungen,
die nicht mehr an individuellen
Bedürfnisbefriedigungen orientiert sind, sondern
an einem überindividuellen Zusammenhang
verallgemeinerter Vorsorge und kooperativen
Handlungszusammenhängen ausgerichtet sind.
- Zunehmende
Kooperation hat zur Folge, das auch individuell
erworbene Erfahrung und im Physiologischen
Speicher (Gedächtnis) vorhandenes Wissen mit
einem gesellschaftlichen Speicher in
Wechselwirkung tritt, aus dem es wiederum vom
Individuum abgerufen werden kann.
- Die Motivierung
für gesellschaftliche Handlungsaktivitäten ist
nicht reduzierbar auf die operative Ebene der
individuellen vorwegnehmenden
Aktivitätsregulation. "Kooperation als
Charakteristikum der sich herausbildenden
gesellschaftlichen Lebensgewinnungsform ist ein
in der Produktions- und Reproduktionsweise
entstehender objektiver überindividueller
Zusammenhang verallgemeinerter Vorsorge für die
je individuelle Existenz, an dem der Einzelne
teilhat, ist aber nicht gleichbedeutend mit dem
aktuellen Zusammenwirken von Individuen auf
operativer Ebene."
- "Individuelle
Handlungen entstehen als Realisierungen oder als
Beiträge zur Änderung von kooperativ
gesellschaftlichen Ziel Mittel
Konstellationen verallgemeinerter Vorsorge für die je
individuelle Existenzsicherung." Der objektive
Handlungszusammenhang umfaßt 3 Teilzusammenhänge:
- Transformation
äußerer Naturbedingungen durch menschliche
kooperative Arbeit in verallgemeinerte menschliche
Lebensbedingungen.
- Zusammenhang des
kooperativ gesellschaftlich organisierten
Arbeitsprozesses mit dem Beitrag des Individuums
hierzu
- Zusammenhang zwischen
der kooperativ produzierten verallgemeinerten
Vorsorge mit der vorsorgenden Absicherung und
Entfaltung der je individuellen Existenz
Das Denken dieses
dreigliedrigen Handlungszusammenhanges gewährleistet die
Motivation individueller Handlungsaktivitäten nur dann, wenn
- ein Zusammenhang
zwischen dem zu leistenden Beitrag zur kooperativen
gesellschaftlichen Lebensgewinnung/Verbesserung und
der vorsorgenden Sicherung der eigenen Existenz unter
den je gegeben Verhältnissen tatsächlich besteht
- wenn er in den
gesellschaftlichen Denkformen adäquat abgebildet ist
und
- wenn das Individuum das
Vorhandensein des Zusammenhangs adäquat zu erfassen
fähig ist.
Während der
selektionsbedingten Herausbildung der gesellschaftlichen
Natur des Menschen bildeten die 3 genannten Voraussetzungen
noch weitgehend eine vorhandene Einheit, während das in
späteren Gesellschaftsformationen nicht mehr der Fall zu
sein braucht.
Fehlt eine dieser
Voraussetzungen, so sind individuelle Handlungen nicht
motiviert, erfolgen unter Zwang oder richten sich objektiv
gegen die vorwegnehmende Sicherung der eigenen individuellen
Existenz.
- Die weitere Entwicklung der
Psyche ist dadurch bestimmt, dass sich das
gesellschaftliche System verselbständigt und seine
innere Selbsterhaltungscharakteristik
selbstorganisatorisch reguliert und damit Leistungen
langfristiger, verallgemeinerter Naturaneignung,
Erfahrungsakkumulation und Lebenssicherung erbringen
kann, die der Einzelne in seinen unmittelbaren sozial
kooperativen Bezügen niemals erbringen könnte.
Die auf operativer Ebene individuellen Aktivitäten
dienen in diesem Zusammenhang der Erhaltung des
gesellschaftlichen Systems und nur über dieses
vermittelt auch der Lebenssicherung des Individuums.(GdP,
S.307) Dieser nur vermittelte und schwer zu
durchschauende Zusammenhang hat zur Folge, dass die sich
für die Systemerhaltung als notwendig erweisenden
Aktivitäten vom Individuum nicht als solche erkannt und
akzeptiert werden müssen, sondern vom ihm lediglich als
Handlungsmöglichkeit gesehen werden und ihm andere
Handlungsalternativen zur persönlichen Lebensgewinnung
günstiger erscheinen können. Damit ergibt sich
andererseits auch die Möglichkeit, das ihm von seiten
anderer Individuen oder von partiellen
Herrschaftsinteressen aus Zusammenhänge vorgespiegelt
werden, die ihn zu einem Handeln gegen seine objektiven
eigenen Interessen motivieren. Die kognitive
Durchdringung dieser komplexen Zusammenhänge erfordert
in wachsendem Maße den Einsatz rationaler Denkformen zur
Gewinnung realistischer emotionaler Wertungen für die
vorausschauende Planung seiner individuellen Handlungen,
um zu verhindern, dass er sich selbst zum Feinde wird.
- Durch den Verlust des
unmittelbaren Zusammenhangs zwischen individueller
Handlungsaktivität und individueller Lebenssicherung
bleibt das Leben des Individuums auch dann abgesichert,
wenn es sich nicht an der gesamtgesellschaftlichen
Kooperation beteiligt. Dies führt trotz noch vorhandener
interaktiver personaler Beziehungen zu Isolation von der
Gesellschaft und Vereinzelung des Individuums. In diesem
Zustand ist das Individuum nicht mehr in der Lage,
Einfluß auf die Veränderung der gesellschaftlichen
Verhältnisse zu nehmen, die ihm dann als naturgegeben
gegenübertreten. Will das Individuum dem hieraus
entstehenden Zwang ausweichen, kann es nur durch
interaktive Kooperation mit anderen Individuen Macht und
Handlungsmöglichkeit zur Änderung der
gesellschaftlichen Verhältnisse gewinnen. Dabei sind die
ihm zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten
sowohl durch die äußeren Bedingungen und sein
Verhältnis zu ihnen als auch durch aus seiner eigenen
Vergangenheit resultierende personale Fähigkeiten
gegenüber den objektiv vorhandenen Möglichkeiten
eingeschränkt. Bei der Gewinnung eines realen
Verhältnisses zu diesen eingeschränkten Möglichkeiten
spielt das die persönliche Biographie widerspiegelnde
Gedächtnis und die denkende Verarbeitung seiner
vergangenen Erfahrungen eine wesentliche Rolle bei der
Herausbildung der individuellen Persönlichkeit und ihrer
Befindlichkeit im Umgang mit seiner Umwelt.
- Einerseits werden die
subjektiven individuellen Handlungsgründe immer durch
die objektiven Lebensverhältnisse bedingt, denen das
Individuum ausgesetzt ist. Dennoch verbleiben objektiv
immer noch verschiedene Handlungsalternativen, wie stark
eingeschränkt diese auch sein mögen. Trotz der objektiv
verbliebenen Entscheidungsfreiheit ist aber auch die
>freieste< Entscheidung für das Individuum
letztlich aus seinen individuellen Lebensbedingungen
heraus begründet. Diese Auffassung von subjektiver
Freiheit wird von Holzkamp im Kapitel 7.4 seines Buches
ausführlich erläutert. Demnach gehören zu den
Prämissen subjektiver Begründungszusammenhänge nicht
nur die objektiven äußeren Lebensbedingungen, sondern
auch die personalen Bedingungen, die sich als
Realisierung menschlicher Entwicklungspotenzen in
früheren Auseinandersetzungen realbiographisch
herausgebildet haben. Im widersprüchlichen Verhältnis
zwischen subjektiver Bestimmung und objektiver
Bestimmtheit menschlicher Handlungen kommt zwar der
objektiven Bestimmtheit der Primat zu, trotzdem verbleibt
dem Individuum auch bei noch so gravierenden
Einschränkungen seiner Handlungsmöglichkeiten immer
noch die Freiheit, in seinen Handlungen die gegebenen
Möglichkeiten der Verfügungserweiterung zu nutzen oder
auf diese zweite Möglichkeit zu verzichten und sich in
den gegebenen Handlungsräumen einzurichten. Mit dieser
Auffassung von Freiheit wird m.E. der Bestimmung von
Freiheit als dem Maß subjektiver Einsicht in die
Realisierbarkeit objektiver Möglichkeiten ein äußerst
schmaler Variationsbereich geöffnet, der die
prinzipielle Verantwortlichkeit des Einzelnen für seine
Handlungen begründen soll, während die Rolle des
Zufalls unterbelichtet bleibt.
Erscheinungsformen subjektiver
Handlungsfähigkeit/Befindlichkeit in der bürgerlichen
Gesellschaft
- Die bürgerliche
Gesellschaft ist dadurch charakterisiert, dass der oben
dargestellte dreigliedrige Zusammenhang zwar objektiv vorhanden, im
Interesse partieller Herrschaftsinteressen aber in den
gesellschaftlich vorherrschenden Denkformen nicht
adäquat abgebildet und demzufolge von der Mehrzahl der
Individuen auch nicht adäquat verstanden wird.
Demzufolge sind die individuellen Handlungen nicht
gesellschaftlich motiviert, erfolgen unter Zwang und
richten sich objektiv gegen die langfristige Absicherung
der Individuellen Lebensinteressen. Durch ökonomischen
Zwang werden die individuellen Handlungsaktivitäten auf
die partiellen Herrschaftsinteressen der
Kapitalvermehrung gerichtet, wobei durch
staatlich/gesellschaftliche Institutionen der Anschein
erweckt wird, als würde durch leistungsbezogene
Bezahlung eine vollständige Absicherung der
individuellen Lebensinteressen erfolgen.
- Die Gesellschaft tritt dem
Einzelnen nicht allgemein, sondern immer in einer ganz
spezifisch auf ihn bezogenen Lebenslage und Position
gegenüber, in denen sich die Einschränkungen seiner
Handlungsmöglichkeiten konkret darstellen und durch
konkrete Herrschaftsinteressen bestimmt werden. Bei jeder
seine Lebenslage beeinflussenden/bedrohenden
individuellen Handlung hat sich der Einzelne zwischen den
beiden Möglichkeiten zu entscheiden, in dem vorgegebenen
Verfügungsrahmen zu verbleiben oder diesen zu
Überschreiten und dabei seine personalen Möglichkeiten
und Fähigkeiten zu berücksichtigen. Bei Überschreitung
des vorgegebenen Verfügungsrahmens tritt er in Gegensatz
zu den bestimmenden Herrschaftsinteressen und muß damit
rechnen, das er die ihm für den Fall des Verzichts auf
diese Möglichkeit zugebilligte Sicherung seiner
Lebensbedingungen verliert. Diesem Risiko kann er nur
durch interaktiven Zusammenschluß mit anderen Individuen
zu Organisationen ausweichen, die mächtig genug sind,
der herrschenden Macht mit Erfolg zu begegnen. Beim
Verzicht auf diese Möglichkeit handelt er jedoch
objektiv gegen seine eigenen Interessen und wird dies nur
tun, wenn er hierfür eine subjektive Begründung hat.
Diese Begründung wird ihm einerseits von der
herrschenden Ideologie nahegelegt, andererseits
"sieht" er Möglichkeiten, auch innerhalb des
ihm zugebilligten Verfügungsrahmen seine individuelle
Lebenslage zu verbessern. Dies gelingt im allgemeinen
nur, indem er seine Handlungsmöglichkeiten auf Kosten
der Handlungsmöglichkeiten anderer erweitert und damit
in dem vorgegebenen Herrschaftsrahmen verbleibt und
diesen sogar noch stützt. Auf diese Weise reproduziert
sich das vorgegebene Herrschaftsverhältnis stets aufs
neue.
- Der Versuch, aus dem
Arrangement mit den Herrschenden subjektive Vorteile zu
erlangen, führt zur Verstärkung der Macht der
Herrschenden und langfristig zur Verschlechterung der
eigenen Lebensqualität. Die Mitwirkung an der
Verschlechterung der eigenen Lebensqualität kann dem
Individuum a priori aber nicht bewußt sein und bildet
daher die Grundlage für Verdrängung und
Realitätsabwehr und daraus resultierende Neurosen. In
Abwehr dieser Konsequenzen führt der ständige Verzicht
auf eine Erweiterung der vorgegebenen eingeschränkten
Handlungsmöglichkeiten zum Verzicht auf die kognitiven
Potenzen des menschlichen Denkens und zu einem
eingeschränkten Denken, welches die Möglichkeiten der
Erweiterung des individuellen Handlungsrahmens überhaupt
nicht mehr in Betracht zieht. Innerhalb dieses
eingeschränkten Denkens ist zum Beispiel eine
Veränderung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse in
der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt nicht mehr
"denkbar" und der dreigliedrige Zusammenhang
zwischen individuellem Handeln und Absicherung der
individuellen Existenz reduziert sich unter
Realitätsverlust auf einen zweipoligen unmittelbaren
Zusammenhang von individueller Leistung und individuellem
Konsum. Derart eingeschränktes Denken bezeichnet
Holzkamp als deutendes Denken und unter bürgerlichen
Verhältnissen als naheliegend und bedingt nützlich für
die Bewältigung der Lebensbedingungen, wenn die
eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten nicht in Frage
gestellt werden sollen. Da es aber nicht der Realität
entspricht, wird es immer wieder durch
"begreifendes" Denken aufgebrochen. Zu diesem
Aufbruch führt aber nicht logisches Denken allein,
sondern nur im Verein mit Handlungsaktivitäten, welche
die vorgegebenen Einschränkungen durchbrechen, die
Oberfläche der gesellschaftlichen Erscheinungen
durchdringen und zu weiterführenden Erkenntnissen über
ihr Wesen beitragen. Das individuelle Handeln in
Übereinstimmung mit den objektiv vorhandenen
gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen macht die
unter innerem und äußerem Zwang aufrechterhaltenen
Handlungseinschränkungen in besonderem Maße bewußt,
motiviert damit das grenzüberschreitende begreifende
Denken und eröffnet neue subjektive Möglichkeitsräume.
Ontogenese der menschlichen Psyche
1. Die phylogenetisch
herausgebildeten grundlegenden psychischen
Orientierungsaktivitäten bis zur Stufe des subsidiären Lernens
zur Differenzierung von primären Orientierungsbedeutungen und
Primärbedürfnissen sind in der ontogenetischen Entwicklung
angeboren beziehungsweise entwicklungsphysiologisch festgelegt.
Damit sind die Voraussetzungen für autarke Lernfähigkeit von
vornherein gegeben.
2. In der nächsten
Entwicklungsphase des Kindes erfolgt autarkes Lernen durch
Probieren/Beobachten in Wechselwirkung mit der Umwelt, wobei die
soziale Umwelt in erster Linie durch die Erwachsenen gegeben ist,
die das Kind pflegen/unterstützen. In dieser Phase wird auch die
soziale Umwelt vom Kind als unbeeinflußbar vorgegeben empfunden
und die Kopplung individueller Handlungsaktivitäten mit der
beabsichtigten Sicherung der primären Lebensbedürfnisse ist
ohne Umwege über nicht überschaubare soziale
Handlungszusammenhänge direkt und unmittelbar. Am Ende dieser
Entwicklungsphase lernt das Kind zu begreifen, das die Reaktionen
der Erwachsenen auf seine Handlungsaktivitäten hin von
weiterreichenden Zusammenhängen bestimmt werden, die es aber im
Einzelnen noch nicht versteht, und es versucht Einfluß auf diese
Reaktionen zu gewinnen. In dem es den bedeutungsgemäßen
Gebrauch von Mitteln und Werkzeugen aus seiner Umgebung von den
Erwachsenen lernt, hat es noch keinen Begriff von den Aspekten
des in sozialen Zusammenhängen Hergestelltseins dieser
Gegenstände zu einem vorbestimmten allgemeinen Zweck.
3. Durch spielerisches Malen und
Bauen lernt dann das Kind, dass die Gegenstände, Mittel und
Werkzeuge "hergestellt" werden können und nicht nur
von ihm selbst, sondern auch von anderen gebraucht werden und
gerade zu diesem Zweck hergestellt werden. Dadurch bekommt es
einen Begriff von sozialer Kooperation auf der operativen Ebene.
Die dadurch erweiterten Sozialbeziehungen des Kindes bleiben aber
im wesentlichen fremdbestimmt und das Kind lernt, die
eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten zu akzeptieren,
gleichzeitig werden ihm aber die Einschränkungen bewußt und es
versucht, die Einschränkungen zu durchbrechen, was ihm in dieser
Phase aber noch nicht gelingen kann. Die daraus resultierenden
Bedrohungen seiner Handlungsfreiheit sind die Ursachen seiner
kindlichen Angst und es empfindet die einschränkenden Handlungen
der Erwachsenen als gegen seine Person gerichtete Willkür, die
ihm sein Abhängigkeitsverhältnis besonders deutlich macht und
eine Motivation in Richtung auf "Erwachsenwerden"
erzeugt, weil es glaubt, damit und nur so diesem
Abhängigkeitsverhältnis entkommen zu können.
4. Auf der nächsten Stufe der
Entwicklung kommt das Kind mit dem außerhäuslichen Leben der
Erwachsenen in Berührung und lernt soziale Bedeutungs- und
Handlungszusammenhänge kennen, auf deren Grundlage ihm klar
wird, daß es auch als Erwachsener nur eingeschränkte
Handlungsmöglichkeiten haben wird, auch wenn sie den häuslichen
Rahmen bei weitem überschreiten. Gleichzeitig entwickelt sich
das Kind aus Verhältnissen, die ausschließlich als eine durch
häusliche Pflege/Unterstützung abgesicherte Lebenslage
charakterisiert sind, in eine soziale Position, von der aus im
Prinzip ein Handeln in sozial kooperativen Zusammenhängen
möglich ist. In den auf Erziehung/Bildung ausgerichteten
Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft werden zwar auf
Grund der vorherrschenden deutenden Denkformen
verfügungsüberschreitende Handlungsweisen unterdrückt, dennoch
versuchen Heranwachsende in dieser Situation durch soziale
Zusammenschlüsse Machtpositionen zu begründen, die ihnen
grenzüberschreitende Handlungsaktivitäten ohne Risiko negativer
Rückwirkungen auf ihre Lebenslage ermöglichen sollen. Im Zuge
der Realisierung dieser Möglichkeiten wachsen Jugendliche aus
den nur direkt vermittelten Zusammenhängen von individuellen
Handlungsaktivitäten und Lebenslage im Elternhauses in die
objektiv dreigliedrig vermittelten gesellschaftlichen
Zusammenhänge hinein,
die auch für alle Erwachsenen gelten, wodurch sie vor die
gleichen Entscheidungen bezüglich einer Überschreitung der durch
Fremdbestimmung eingeschränkten Verfügungsmöglichkeiten oder
des Verzichts auf diese Überschreitung gestellt werden. Diese
"Unmittelbarkeitsüberschreitung" charakterisiert den
Eintritt in das Erwachsenenalter und ihre konkrete Form
beeinflußt als Kindheitserfahrung den Charakter und die weitere
Biographie des Erwachsenen. Insbesondere können sich
unreflektiert in der Kindheit fremdbestimmt vollzogene
Handlungsweisen dahingehend auswirken, dass auch im
Erwachsenenalter verfügungsüberschreitende
Handlungsaktivitäten mit ihren sozialen Risiken überhaupt gar
nicht erst in Betracht gezogen werden und die Denkformen auf
"deutendes
Denken" beschränkt
bleiben. Diese Denkungsart ist dann nur überwindbar, wenn dem
Einzelnen die Beschränktheit und Fremdbestimmtheit seiner
Kindheit später bewußt wird und er in der Lage ist, ein
kritisches Verhältnis zu seiner Vergangenheit zu finden. (siehe
hierzu auch "Denken")
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