5. Soziale Gleichheit oder soziale Gerechtigkeit?
5.1 Soziale Gleichheit contra Leistungsgesellschaft
Soziale Gleichheit soll nicht in Gleichmacherei ausarten! Mit diesem Aufruf versuchen sich die Befürworter der sozialen Gleichheit, anscheinend deren Gefahren erkennend, aus der Realität zu flüchten. Aber ist es dann noch soziale Gleichheit?
Die volle Befriedigung der Bedürfnisse lässt den Leistungsinstinkt des Menschen, sein Vorwärtsdrängen, seine Produktivität verkümmern. Der Anreiz zur Produktion, der Anreiz oder auch der Zwang zur produktiven Arbeit rührt aus unbefriedigten Bedürfnissen her. Sobald einem die Trauben in den Mund wachsen, ist der Antrieb, sich zu bewegen, hinüber.
Oder wird soziale Gleichheit mit sozialer Gerechtigkeit gleichgesetzt?
Auf soziale Gleichheit oder auch soziale Gerechtigkeit gerichtete Lehren sind so alt wie die gesamte schriftlich überlieferte Menschheitsgeschichte. Die einen erträumten sich den Staat mit einem "weisen Herrscher" oder einer "Regierung der Weisen", das heißt also soziale Gerechtigkeit eingebunden in eine bestehende gesellschaftliche Formation, andere meinten, nur mit der Überwindung aller bisherigen gesellschaftlichen Formationen ließe sich soziale Gerechtigkeit verwirklichen. Allerdings, man merkt schon, es ist zwischen "sozialer Gleichheit" und "sozialer Gerechtigkeit" zu unterscheiden, ein Unterschied, welcher durch die Anführer der sozialen Bewegungen häufig nicht gemacht wurde.
Soziale Gerechtigkeit ist nicht gleich sozialer Gleichheit, sie beinhaltet weiterhin soziale Unterschiede, nur eben solche, die sich aus den Leistungen der Menschen in der Produktion ergeben, das heißt, "gerechte" Unterschiede
Soziale Gerechtigkeit heißt also, dass der Unterschied in der Bedürfnisbefriedigung aller Individuen gegen Null tendieren müsste, vorausgesetzt, alle Menschen würden in der Produktion die gleichen Leistungen erbringen. Unter dieser Voraussetzung wäre soziale Gerechtigkeit und soziale Gleichheit ein- und dasselbe. Soziale Gleichheit ist also ein Extremwert der sozialen Gerechtigkeit. Erfahrungsgemäß erbringen aber nicht alle Menschen die gleichen Leistungen. Deshalb bedeutet soziale Gerechtigkeit, dass alle Produzenten entsprechend ihrer in der Produktion erbrachten Leistungen entlohnt werden, wir könnten auch von einer leistungsbezogenen sozialen Gleichheit sprechen.
Was ist aber "Leistung", wie misst man sie. Die Leistungsbewertung ist das Grundproblem jeglicher Diskussion über soziale Gerechtigkeit und nicht nur der Diskussion, nein generell der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit!
Im Unterschied zur sozialen Gleichheit können im Rahmen der sozialen Gerechtigkeit nicht alle Individuen gleichartig ihre Bedürfnisse, sprich Wünsche, befriedigen. Leistungsstärkere können ihre Bedürfnisse besser befriedigen als leistungsschwächere. Das ist ungleich, aber gerecht, das stimuliert die Leistung, birgt aber latent immer eine Konfliktsituation in sich, einen Widerspruch, ohne den es aber nun einmal keinen Fortschritt gibt.
5.2 Leistungsgesellschaft und soziale Gerechtigkeit
Es soll an dieser Stelle nicht gesondert betont werden, dass die Gleichheit eines Jeden vor dem Gesetz ebenso für die soziale Gerechtigkeit eine unabdingbare Voraussetzung ist, wie vorher für die soziale Gleichheit bereits dargestellt. Der Unterschied besteht lediglich in einer auf die erbrachte Leistung bezogene Ungleichheit. Das soziale Gerechtigkeit ein allgemein anerkanntes Ziel der Menschheit ist, erkennt man im Übrigen bereits darin, dass es kaum eine Gesellschaftsform gegeben hat, die für sich nicht in Anspruch genommen hätte, sozial gerecht gewesen zu sein der Unterschied besteht jedoch darin, wie Leistung (6) definiert ist. Ist Leistung bereits mit der Gnade der richtigen Geburt, das heißt mit der Geburt ins richtige Milieu erbracht? Ist Erben Leistung? Ist das sich an der richtigen Stelle ins rechte Bild setzen Leistung, oder ist Leistung nur tagtägliche Knochenarbeit?
Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, eine Definition von "Leistung in der Produktion" vorzustellen.
Leistung in der Produktion setzt sich aus drei Komponenten zusammen:
Im Prinzip entspricht diese Definition der marx´schen Definition des Arbeitslohnes, welcher nach Marx den Anteil am erzeugten Produkt darstellt, welcher zur Reproduktion der im Prozess der Produktion verbrauchten Arbeitskraft benötigt wird.
Reproduktion der Arbeitskraft umfasst folgende Komponenten:
Genau dies ist auch der Ausdruck für Leistung, je höher die verbrauchten Kräfte infolge der Arbeitsintensität, desto höher der Arbeitslohn. Gleiches gilt für die in der Ausbildung erbrachten Vorleistungen und für die Risikobestandteile des Arbeitslohnes. Im Normalfall erfolgt die Leistungsbewertung und Leistungsvergütung über den Arbeitslohn, das Entgelt für erbrachte Leistungen, das heißt in Form der materiellen Vergütung, welche durch eine moralische Belobigung oder Kritik unterstützt werden kann.
Doch kann überhaupt ein jeder, selbst wenn er dazu bereit ist, all seine Anlagen und Fähigkeiten einsetzen, um die höchstmögliche Leistung zu erbringen?
Soziale Gerechtigkeit umfasst als eine der Grundvoraussetzungen das uneingeschränkte Recht auf Erziehung, Bildung und Arbeit. Ein jedes Individuum muss die Möglichkeit gewährt bekommen, all seine physischen und psychischen Anlagen zu Fähigkeiten auszubilden, allerdings zu solchen Fähigkeiten, die im gegenwärtigen Rahmen der gesellschaftlichen Produktion benötigt werden. An dieser Stelle, im Moment der Ausbildung eines jeden Individuums und seines Einsatzes zur optimalen Leistungserbringung, bricht sich zum ersten Mal der Wettbewerb zwischen den Individuen Bahn, eröffnet sich das Konkurrenzprinzip im Umfeld der sozialen Gerechtigkeit.
Aber was wird nun mit Behinderten, von Geburt aus Kranken, welche keine Versicherungsleistungen ansparen konnten? - höre ich schon fragen.
Soziale Gerechtigkeit kennt natürlich auch den humanistischen Begriff der Sozialhilfe für unverschuldete Notfälle oder Opfer von Naturereignissen. Soziale Gerechtigkeit schließt den Begriff des gesellschaftlichen Minimallohnes ein, welcher all denen gewährt wird, welche unverschuldet produktionsunfähig, das heißt auch erwerbsunfähig, sind: Behinderte, Kranke, Invaliden, sofern sie nicht im Verlauf ihres Arbeitslebens sich entsprechende zusätzliche Versicherungsleistungen aus dem Arbeitslohn ansparen konnten.
Dieses Prinzip schließt aber auch ein, dass Menschen in eigenverschuldeter Notlage keine kostenlose Hilfe von der Gesellschaft erhalten, denn dies wäre wiederum gegenüber all den anderen Produzenten ungerecht. Bestenfalls kann in solchen Fällen ein vollrückzahlpflichtiger Kredit gewährt werden.
Die sozial gerechte Befriedigung der Bedürfnisse des Individuums umfasst demzufolge zwei Komponenten:
Erfolgt nun die Bedürfnisbefriedigung nicht leistungsbezogen, sondern nach einem allgemeinen Gleichheitsprinzip, so bedeutet dies nichts anderes, als das diejenigen, welche eine höhere Leistung erbrachten, somit mehr Arbeitskraft verbrauchten, diese nicht reproduzieren können, da ja alle über einen Kamm geschoren werden.
Der Wert der verbrauchten Arbeitskraft ergibt sich aus den Bedürfnissen des Produzenten. Es lassen sich grob drei Prioritäten der Bedürfnisse unterscheiden:
Ein Streitpunkt wird wohl immer die Abgrenzung zu den Luxusbedürfnissen sein, insbesondere auch deswegen, weil hier unmittelbar die Definition der parasitären Bedürfnisse ansetzt, wird man doch die Befriedigung der Luxusbedürfnisse per Definition nicht als zum Erhalt und Wiederbeschaffung der Arbeitskraft notwendig zählen!
Dabei ist diese Abgrenzung durchaus veränderlich über die Geschichte der Menschheit, ist abhängig vom allgemeinen Niveau der Bedürfnisbefriedigung. Was gestern noch Luxus war, gehört heute vielleicht zu den Grundbedürfnissen, betrachten wir nur den Kaffeegenuss. Die Abgrenzung zwischen Grundbedürfnissen und Luxusbedürfnissen richtet sich nach dem in der jeweiligen Periode im jeweiligen Arbeitsmarkt anerkannten Durchschnittswert der Befriedigung der Bedürfnisse.
Mit ´Arbeitsmarkt´ wurde soeben ein neuer Begriff eingeführt. Er drückt aus, dass unter den Bedingungen der Regulierung der Produktion über Angebot und Nachfrage über den Markt (8), auch die Arbeitskraft eine Ware ist, dass sich die Vergütung der Arbeitskraft zwar am soeben definierten Wert der verbrauchten Arbeitskraft orientiert, aber eben unter dem Einfluss von Angebot und Nachfrage. Die Vergütung der verbrauchten Arbeitskraft ist nichts anderes als der Preis, welcher für ihren Einsatz im Produktionsprozess bezahlt wird.
Der Arbeitsmarkt wiederum ergibt sich aus dem territorialen Bereich, in dem die Arbeitskraft freizügig verwertet werden kann, das heißt das territoriale Gebiet, in denen die potentiellen Produzenten freizügig ihre Arbeitskraft anbieten dürfen - im Kapitalismus der Nationalstaat, im Imperialismus der multinationale Staatenverbund, in nicht mehr allzuferner Zukunft der Globus.
Die Vergütung der verbrauchten Arbeitskraft, das heißt die Entlohnung des Produzenten, erfolgt in zwei unterschiedlichen Formen:
Die Anteile der individuellen und die der kollektiven Vergütung sind abhängig von den jeweilig bestimmenden Lebens- und Herrschaftsformen. Sehr vereinfacht kann man sagen, dass mit der individuellen Vergütung die Erhaltungsbedürfnisse des Produzenten und seiner Familie abgedeckt werden, mit der kollektiven Vergütung die überfamiliären Bedürfnisse der Nachwuchsaufzucht und der anderen zentralen (staatlichen) Aufgaben.
Trotzdem bleibt auch bei diesem Versuch der Definition der gesellschaftlich nützlichen Leistung in der Produktion der Subjektivität in der Bewertung Tür und Tor geöffnet. Ist die Leistung in der Verwaltung höher zu bewerten als die in der manuellen Produktion? Ist es wirklich gerecht, dass ein ausscheidender Manager eines großen Konzern 60 Millionen DM zum Abschied erhält? War seine Leistung zum Nutzen und Frommen des Konzerns, seiner Mitarbeiter und Nutznießer wahrlich so immens? Wie hoch sind sie denn nur wirklich, die Kosten für die Reproduktion der Arbeitskraft?
Leistungsbewertung ist immer subjektiv. Leistungsbewertung ist immer das Ergebnis der Auseinandersetzung der Leistenden im Wettbewerb, in der Konkurrenz. Im gegenteiligen Fall müsste die jeweilige individuelle Leistung, zuvor aber die individuellen Fähigkeiten, um den optimalen Platz zur Leistungserbringung zuzuweisen, von einer höheren Instanz allgemeiner Weisheit bewertet werden. Soll dies ein "weiser gütiger Herrscher" sein oder eine Partei, die immer recht hat? Beide Varianten wurden nicht nur einmal erprobt und sind immer wieder gescheitert. Die Wahrheit, auch die in der Einschätzung von Fähigkeiten und Leistungen, setzt sich nie nach höherem Ratschluss, sondern immer nur im Wettbewerb, in der Konkurrenz durch, selbst wenn dies weh tut und Reibungsverluste erzeugt.
5.3. Soziale Gerechtigkeit muss erkämpft werden!
Der Kampf um soziale Gerechtigkeit ist ein Kampf um die sozial gerechte Verteilung der produzierten materiellen und immateriellen Güter, ist ein Verteilungskampf, welcher häufig vereinfachend mit "Klassenkampf" umschrieben wird.
In dieser Auseinandersetzung haben immer diejenigen die besseren Ausgangspositionen, die an den Schalthebeln der wirtschaftlichen und/oder politischen Macht sitzen. Die Verfügungsgewalt über die objektiven Produktivkräfte ist die schärfste Waffe im Kampf um eine (ungerecht) höhere Bewertung der eigenen Leistung, im Kampf um Privilegien.
Die Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit erfordert die permanente soziale Auseinandersetzung. Die Form dieser Auseinandersetzung wird durch die politische Schicht bestimmt, welche die gesellschaftliche Führung innehat und durch den Kampfeswillen der sich benachteiligt fühlenden Produzenten.
Da soziale Gerechtigkeit soziale Ungleichheit beinhaltet, muss immer dem einen genommen werden, was dem anderen gegeben wird. Der, dem genommen wird, widersetzt sich diesem Umstand desto aktiver, je tiefer hierdurch seine Lebensgrundlagen berührt werden. Das wiederum heißt, das mit dem allgemeinen Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums die Chancen für die Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit wachsen, ganz einfach, weil der Widerstand derer, denen genommen wird, nachlässt. Dies wiederum bedeutet, dass mit dem Fortschreiten der menschlichen Gesellschaft die Chancen für den erfolgreichen Kampf um soziale Gerechtigkeit zunehmen!
Andererseits ist heute bereits abzusehen, dass die Herrschaft über die objektiven (materiellen) Produktivkräfte im Verhältnis zur Herrschaft über die subjektiven (Wissen, Informationen, intellektuelles Eigentum ...) an Bedeutung verliert, damit einerseits sich die Felder der sozialen Auseinandersetzung verlagern, andererseits sich die Ausgangslagen der sozialen Kräfte annähern.
Demgegenüber gewinnt ein anderes Problem an Schärfe: mit der territorialen Ausweitung der arbeitsteiligen Beziehungen werden die gestern noch Unterprivilegierten (in den entwickelten Industriestaaten die lohnabhängig beschäftigen Massen) zu Privilegierten im Verhältnis zu den Volksmassen in den Entwicklungsländern. Doch soziale Gerechtigkeit ist ebenso wie soziale Gleichheit an territoriale Grenzen nicht (mehr) gebunden. Die einfachste Form der sozialen Auseinandersetzung ist die Wanderungsbewegung, die Wanderung vom Gebiet mit niedriger Lebensqualität, mit schlechteren Verwertungsbedingungen der Ware Arbeitskraft, zu günstigeren Gebieten. Das schafft neuen Wettbewerb, neue Konkurrenz, neue Widersprüche - Widersprüche, welche die Entwicklung weiter vorantreiben.
6. Macht, Gerechtigkeit und Gleichheit
Soziale Gerechtigkeit kann also nur im Ergebnis eines Verteilungskampfes durchgesetzt werden. Es ist dabei sicherlich unzweifelhaft, dass wirtschaftliche und politische Machtverhältnisse ungleiche Voraussetzungen für beteiligte Gruppen, Schichten und Klassen schaffen. Wir haben es quasi mit Wettbewerbsverzerrungen zu tun. Diese wirken im wesentlichen auf folgenden Ebenen:
Daraus folgt eine der Grundforderungen einer Gesellschaft sozialer Gerechtigkeit der freie und unentgeltliche Zugang aller zu allen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen ohne Ansehen der Eltern, der Rasse, des Geschlechts (9), etc.
Die Errichtung eines Bildungsmonopols, die Schaffung von Eliteschulen u.s.w. war und ist zu allen Zeiten ein wirksames, wenn auch nicht so sichtbares Mittel, frühzeitig Abkömmlingen privilegierter Schichten zu Wettbewerbsvorteilen zu verhelfen.
Ein ganz übles Mittel der Verzerrung jeglicher sozialer Gerechtigkeit ist die Herausbildung eines Geburtsadels, sei es auf Basis politischer oder materieller Machtfolge. Dabei tritt ein Dilemma zu Tage: die Ansammlung von Erbschaftstiteln, materiellen oder immateriellen, ist ein wesentlich leistungsfördernder Faktor für den Erblasser. Nimmt man ihm die Möglichkeit, wird er in der zweiten Lebenshälfte mit hoher Wahrscheinlichkeit in seiner Leistungsbereitschaft nachlassen. Demgegenüber schlägt die Annahme einer Erbschaft jeglicher sozialer Gerechtigkeit mit der Faust direkt ins Gesicht, was ganz sicher nicht besonders begründet werden muss.
Jeder privilegierten Gruppe, Schicht, Klasse oder Kaste ist es eigen, ihre Privilegien mit Klauen und Zähnen zu verteidigen, je gewaltsamer und gewissenloser, je größer diese Privilegien sind. Hier gibt es keine der politischen Freiheiten, deren Einschränkung nicht versucht wird im Interesse der Wahrung einmal errungener Privilegien. Der ständige Kampf um die Wahrung und Stärkung der politischen Freiheiten ist darum eine wesentliche Voraussetzung, Privilegien einzudämmen und Wettbewerbsverzerrungen im Verteilungskampf zu beseitigen.
Politische Freiheit ist die unabdingbare Voraussetzung für den fairen Wettbewerb um die Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums, für soziale Gerechtigkeit.
Je größer und umfangreicher die politischen Freiheiten und ihre aktive Nutzung, desto aussichtsreicher der Kampf für soziale Gerechtigkeit.
Die zweite Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit ist die Eindämmung von aus wirtschaftlicher Macht geborener Einflussnahme auf die Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums. Im wesentlichen geht es hierbei um die aus der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, das heißt über Grund und Boden, über Finanzmittel, neuerdings über Informationen und über diese verbreitende Medien. Dabei geht es heute gar nicht mehr zuallererst um das juristische Eigentum. Nur allzu häufig sind juristisches Eigentum und Verfügungsgewalt voneinander getrennt. Darum brachte auch die breite Vergesellschaftung der Produktionsmittel im Hinblick auf die Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit im Realsozialismus bestenfalls einen Anfangserfolg. Mögen die Väter der Vergesellschaftung noch achtbare Männer gewesen sein, die bewusst auf Privilegien verzichteten (oder es jedenfalls versuchten), so waren ihre Töchter und Söhne diesen Anfechtungen wesentlich weniger oder gar nicht gewachsen. Offensichtlich war die Übergabe der Produktionsmittel in die Hände der Produktionskollektive (siehe Titos Jugoslawien) auch nicht erfolgreich. Das Patentrezept fehlt also. Bleibt das Wissen um das Problem und die weitere Suche nach erfolgversprechenden Wegen. Allerdings ist eines klar: ohne politische Freiheit ist eine gesellschaftliche Kontrolle über die Verfügungsgewalt über die objektiven Produktivkräfte ebenso undenkbar.
Je umfangreicher und weitreichender die politischen Freiheiten, desto unantagonistischer wird die Konkurrenz um eine gerechte Leistungsbewertung ausgetragen werden.
Je geringer der gesamtgesellschaftliche Reichtum, welcher zur Verteilung ansteht, desto härter, ja blutiger, der Konkurrenzkampf.
7 Politische Freiheit und Revolution
Das Recht auf Revolution habe ich explizit aus den politischen Rechten herausgestrichen, obwohl ich mir durchaus darüber im Klaren bin, dass ohne Revolutionen, das heißt ohne bewaffnete, blutige Aufstände und Umstürze, die gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit undenkbar ist Grund genug, um einige Worte über das Verhältnis von politischer Freiheit und Revolution zu verlieren.
Subjektive Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung ist der Verteilungskampf um den gesamtgesellschaftlichen Reichtum. Die Menschheit hat in ihrer Entwicklung bereits eine Reihe von Gesellschaftsformationen geschaffen und wieder überwunden, jeweils abhängig vom Stand der Entwicklung der Produktivkräfte und gekennzeichnet durch das System der arbeitsteiligen Beziehungen.
Einteilungen der historischen Entwicklung gibt es sowohl solche, welche sich an oberflächlichen Erscheinungsformen orientieren, und andere, welche versuchen, den inneren Kern einer Phase der gesellschaftlichen Entwicklung zu kennzeichnen.
Einteilungen nach oberflächlichen Erscheinungsformen orientieren sich an subjektiven Erscheinungsformen, sind in ihrem philosophischen Inhalt immer idealistisch. Am bekanntesten sind Einteilungen nach
So kennen wir das Augustäische Zeitalter der Entwicklung des Römischen Reiches um den Beginn der christlichen Zeitrechnung, zuvor das Zeitalter des Hammurabi oder das des Pharaonen Ramses. In der altgriechischen Geschichte werden die Zeitalter eines Perikles und eines Großen Alexanders im dritten Jahrhundert vor der christlichen Zeitzählung hervorgehoben. In späteren Epochen unterscheiden wir unter anderen die Zeitalter Karls des Großen und fast tausend Jahre später die des Sonnenkönigs Ludwig, des Fridericus Rex oder die Napoleonische Ära. Allen diesen Charakterisierungen ist gemeinsam, dass der Höhepunkt der Entwicklung in einer bestimmten Region, eines bestimmten Gemeinschaft mit dem Namen des aktuellen Herrschers verbunden wird, so, als sei diese jeweilige Blütezeit das Verdienst dieses Herrschers. Häufig ist es ja genau andersherum: der so Geehrte war der Nutznießer vergangener Generationen, verstand es vielleicht, eine geschichtliche Entwicklung abzuschließen, den akkumulierten Reichtum besonders hervorzustellen ... und war damit bereits der eigentliche Verursacher des folgenden Niedergangs der jeweiligen Gemeinschaft.
Diese personenbezogene Periodisierung der Geschichte fußt auf der idealistischen Annahme, dass Persönlichkeiten die Geschichte der Menschheit "machen" würden. Sie überschätzt damit maßlos die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte. Herrscherpersönlichkeiten können sich geschichtlichen Entwicklungen lediglich entgegenstellen, damit Katastrophen der von ihnen beherrschten Gemeinschaften bedingen (Hitler), oder sich geschichtliche Entwicklungen zu Nutze machen, sich gar an ihre Spitze stellen, ihnen zum Durchbruch verhelfen (Roosevelt). In beiden Fällen gehen sie in die Historie ein, häufig in beiden Fällen gar als "bedeutende" Persönlichkeiten. In der Geschichte der Entwicklung der Menschheit ist die Rolle von Persönlichkeiten nicht zu negieren. Das hat seine Ursache darin, dass Geschichte schließlich und endlich von Menschen gemacht wird. Es soll uns aber nicht zur Schlussfolgerung verführen, diese Persönlichkeiten wären die Ursachen einer geschichtlichen Entwicklung. Diese liegen weitaus tiefer - in der Entwicklung der Produktionssphäre der Menschen.
Eine Periodisierung nach Herrschaftsformen unterscheidet Zeitalter der Monarchie, der Diktatur, der Autokratie, der Demokratie. Hier ist unbestritten, dass es sich um eine Periodisierung nach Erscheinungsformen der Organisation menschlicher Gemeinschaften handelt. Häufig wird sie herangezogen, um zu unterstreichen, dass sich die Entwicklung der Menschheit als ewiger Kreislauf wiederhole, dass "alles schon mal dagewesen" sei.
Die Unterscheidung der historischen Entwicklung der Menschheit nach kriegerischen Ereignissen - das Zeitalter der Trojanischen Kriege (Beginn des ersten Jahrtausends vC), das Zeitalter des Feldzugs Alexanders des Großen (3. Jahrhundert vC), das Zeitalter der Punischen Kriege (3. - 2. Jahrhundert vC), das Zeitalter der germanischen Völkerwanderung (3. - 4. Jahrhundert nC), das der Kreuzzüge (13. - 14. Jahrhundert nC), das Zeitalter der "Glaubens"kriege nach der Reformation (16 .- 17. Jahrhundert), der Friderizianischen Kriege im 18. Jahrhundert und das der großen Weltkriege (20. Jahrhundert) bevorzugt, gesellschaftliche Katastrophen als Merkmal heranzuziehen. Diese gruben sich ins Gedächtnis der Menschen häufig tiefer ein als die Namen bedeutender Herrscherfiguren. Damit kennzeichnen sie bestimmte Zäsuren - ohne deren Ursachen zu benennen.
Neben diesen Periodisierungsversuchen nach subjektiven Erscheinungsformen der geschichtlichen Entwicklungen kennen wir Einteilungen nach inhaltlichen Gesichtspunkten bestimmter Etappen:
Die Periodisierung nach Werkstoffen, Produktionsmethoden oder Stellung der Produzenten im Produktions-Reproduktions-Prozess fußt zwar auf dem objektiven Kriterium der Produktion als Grundlage jeglicher menschlicher Gemeinschaft, nimmt damit für sich in Anspruch, im philosophischen Sinne materialistisch zu sein, bleibt aber doch bei Erscheinungsformen des Produktionsprozesses stehen.
Eine inhaltliche Abbildung der Entwicklung des Produktions-Reproduktions-Prozesses bietet nur die Periodisierung nach der Entwicklung der Arbeitsteilung in der menschlichen Gemeinschaft, hatten wir doch im vorigen Kapitel hervorgehoben, dass die menschliche Gesellschaft der optimalen Gestaltung der Produktion zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Art Mensch dient. Eine materialistische Betrachtungsweise muss demzufolge zur Periodisierung der Menschheitsentwicklung nach der Entwicklung der Arbeitsteilung führen.
Die Arbeitsteilung ist ein Produkt der Spezialisierung der Menschen in ihrer Tätigkeit im Rahmen des Produktions-Reproduktions-Prozesses. Hierbei müssen wir unterscheiden:
Die biologische Spezialisierung ergibt sich aus der natürlichen Fortpflanzungsbiologie der Menschen, welcher nun einmal in weibliche und männliche Exemplare unterteilt sind, wovon die weiblichen den Nachwuchs hervorbringen. Zumindest aus der Ernährung des Nachwuchses in der Säuglingsphase ergibt sich, dass der natürliche Prozess eine Arbeitsteilung bei der Reproduktion der Gattung Mensch vorbestimmt, dass es Aufgabe zuerst der Frauen ist, die Kinder nicht nur zu gebären, sondern ebenso in der ersten Wachstumsphase zu betreuen.
Die Spezialisierung im Produktionsprozess erfolgte in mehreren Stufen:
- Sammler und Jäger, später Ackerbauer und Viehzüchter
später kamen hinzu:
- Handwerker
- Intelligenz und Künstler
welche sich im Laufe der Entwicklung noch vielfach unterteilten.
Somit kann man folgende grundsätzliche Etappen der Arbeitsteilung erkennen:
Mit der Erhöhung des Kompliziertheitsgrades der Produktion wuchs ständig die Tiefe der Arbeitsteilung sowohl im Lenkungs- und Leitungsprozess wie auch in den Tätigkeiten in der Produktion.
Die arbeitsteiligen Beziehungen umfassen jeweils den Produktions-Reproduktions-Prozess einer bestimmten Gemeinschaft von Menschen. Der Umfang und die Größe einer derartigen Gemeinschaft wird durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte, im wesentlichen durch den Entwicklungsstand der Informationsmittel und Transportmöglichkeiten, bestimmt.
Eine arbeitsteilige Einheit wird dadurch charakterisiert, dass in ihr alle lebensnotwendigen Güter selbst erzeugt werden, dass sich der Fremdaustausch mit anderen arbeitsteiligen Einheiten im allgemeinen auf im Territorium nicht oder unzureichend vorhandene Rohstoffe und auf Luxusgüter erstreckt. Eine arbeitsteilige Einheit stellt damit den Bereich eines einheitlichen Binnenmarktes dar.
Der Binnenmarkt ist ein Wirtschaftsraum, welche einen in sich geschlossene Produktion-Reproduktions-Kreislauf gewährleistet, wobei Rohstoffe über Außenhandelsbeziehungen eingeführt werden können. Über den Außenhandelsmarkt werden Güter, die im Territorium nicht erzeugbar sind, und Luxusgüter ausgetauscht.
Der innere Markt entscheidet über die Lebensfähigkeit einer bestimmten Organisationseinheit von Menschen, der äußere leistet nur Hilfestellung. Im inneren Markt muss der Warenaustausch ohne Begrenzungen erfolgen können, die äußeren Marktbeziehungen sind durch staatliche Eingriffe und Lenkungsmaßnahmen, zum Beispiel Zölle, charakterisiert, welche als Hauptziel den Schutz der inneren Marktverhältnisse (und selbstverständlich so ganz nebenbei die persönliche Bereicherung der Herrschenden) haben.
Der innere Markt der Horde oder Sippe war auf diese begrenzt. Sie erzeugte alles Lebensnotwendige. Unter den Bedingungen der altägyptischen Bewässerungswirtschaft war Arbeitsteilung, damit auch Produktionslenkung, sprich gesellschaftliche Unterordnung und Herrschaft, demgegenüber wesentlich höher spezialisiert - die Bewässerungswirtschaft erforderte auch wesentlich größere territoriale Gebilde eines einheitlichen Marktes.
Wichtigster Grundsatz für den inneren Markt ist der Gleichbehandlungsgrundsatz für alle Waren. Das bedeutet, dass keine Ware in Bezug auf ihren Produzenten diskriminiert werden darf - auch nicht die Ware Arbeitskraft.
Im Bereich des inneren Marktes muss Freizügigkeit für alle Anbieter ihrer Arbeitskraft herrschen. Ich schrieb bewusst "Anbieter ihrer Arbeitskraft" und nicht "Produzent", da dies nicht das Gleiche sein muss. Ein Produzent, welcher nicht gleichzeitig auch Besitzer seiner Arbeitskraft ist, also ein Sklave, Höriger oder Leibeigener, fällt nicht unter dieses Freizügigkeitsgebot im Rahmen des inneren Marktes. Hieraus ist ersichtlich, dass Zollgrenzen, Passgrenzen, Visumgrenzen gleichzeitig Grenzen des jeweiligen inneren Marktes darstellen. Der Bereich des jeweiligen inneren, des Binnenmarktes fällt demzufolge mit dem territorialen Herrschaftsbereich einer unabhängigen Territorialmacht zusammen.
Jede Gesellschaftsformation war im wesentlichen durch drei Phasen charakterisiert:
Die Abstiegs- oder Absturzphase ist die Phase der gesellschaftlichen Krise einer Gesellschaftsformation. Werden die politischen Freiheiten eingeschränkt, so wird diese Krise nur noch vertieft. Es gibt aber durchaus Beispiele in der Geschichte, in welcher unter Nutzung der politischen Freiheiten gesellschaftliche Krisen (relativ) unblutig überwunden wurden, und die gesellschaftlichen Verhältnisse der Entwicklung der Produktivkräfte nachgeführt werden konnte. Gelingt dies nicht, ist dazu die führende politische Schicht nicht bereit, so brechen die Verteilungskämpfe gewaltsam auf, nehmen den Charakter von Revolutionen an. Revolutionen sind immer nur das Ultima ratio. Revolutionen läuten a priori nicht (immer) den Fortschritt ein, mag davon ein jeder Revolutionär auch zutiefst überzeugt sein. Revolutionen brechen lediglich ein verkrustetes Herrschaftsgefüge auf, schaffen Platz für ein neues. Ob dies dann ein besseres ist, muss sich immer erst noch erweisen anhand der Möglichkeiten, welche den Produktivkräften für ihre Entwicklung nun eröffnet werden. Maß des Erfolgs oder Misserfolgs einer gesellschaftlichen Revolution ist immer die nachfolgende mittelfristige wirtschaftliche Entwicklung, die erreichte Produktivität bleibt schließlich und letztlich das Maß.
Es mag den Anschein haben, als habe dieser Abschnitt nichts mit dem Thema, dem Streben nach sozialer Gleichheit oder auch nur Gerechtigkeit zu tun. Dem ist nicht so: Schließlich galt es nachzuweisen, dass gewaltsame Umstürze gesellschaftlicher Verhältnisse auch kein Weg zu mehr sozialer Gleichheit oder Gerechtigkeit sind, wie im Überschwang menschlicher Ungeduld häufig angenommen wird Ungeduld in Anbetracht des Missverhältnisses von menschlicher Kurzlebigkeit und Geschwindigkeit der Annäherung an soziale Gerechtigkeit.
8. Die Chancen für soziale Gerechtigkeit heute
Will man die Chancen für die Durchsetzung sozialer Gleichheit oder sozialer Gerechtigkeit in der Gegenwart und überschaubaren Zukunft von etwa 20 50 Jahren einschätzen, muss man sich zuerst ein Bild vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Verhältnisse machen. Die Produktivkräfte und ebenso die von ihnen abhängigen gesellschaftlichen Verhältnisse verlaufen nach objektiven Gesetzmäßigkeiten, welche vom Menschen nur beschleunigt oder verzögert werden können, sich demzufolge entweder evolutionär oder mit Brachialgewalt durchsetzen.
Bei den Produktivkräften ergibt sich folgendes Bild: Das Ende der kostenlosen Nutzung der Naturressourcen zeichnet sich im globalen Maßstab ab, bzw. ist in einigen Teilen der Erde bereits erreicht. Nicht nur die Bodenschätze wie Erze, Kohle, Öl und Gas gehen zur Neige, viel gefährlicher ist die Situation beim Trink- und Brauchwasser, sowie bei den landwirtschaftlichen Nutzflächen. Der extensiven Entwicklung der Produktion zu Lasten der Naturressourcen ist ein natürliches Ende gesetzt. Die Produktion ist auf die Anwendung natur- und ressourcenschonender Technologien, auf die abfallvermeidende bzw. abfallnutzende Kreislaufwirtschaft der Rohstoffe umzuorientieren. Es sind energiesparende Technologien durchzusetzen, die energieintensiven Technologien werden sonst einfach mangels Energiebereitstellung absterben bzw. so teuer werden, dass sich neue energiesparende Technologien aus rein wirtschaftlichen Überlegungen durchsetzen entweder bewusst gesteuert von der Menschheit oder durch sozio-ökonomische Zusammenbrüche erzwungen. Die in der bisherigen Menschheitsgeschichte bestimmende extensive Entwicklung der Produktivkräfte muss durch eine intensive abgelöst werden, bzw. wird durch diese abgelöst werden. (10)
Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden durch die Erfordernisse der Arbeitsteilung bestimmt. Gegenwärtig, das heißt im Jahre 2000, sind wir Zeuge des Abschlusses des Übergangs von der Arbeitsteilung im Rahmen eines Nationalstaates zu einer Arbeitsteilung innerhalb von Staatenbünden im zumeist kontinentalen Rahmen, zumindest in den wirtschaftlich bestimmenden Regionen der Erde. Gleichzeitig zeichnet sich der Beginn des Übergangs zu einer globalen Arbeitsteilung ab, welcher voraussichtlich im begonnenen Jahrzehnt vollendet sein wird. Damit ist auch hier die Grenze der extensiven Entwicklung erreicht. Auch innerhalb einer globalen Arbeitsteilung werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Gebieten der Erde immens bleiben. Diese abzubauen bleibt der intensiven Entwicklung der arbeitsteiligen Beziehungen vorbehalten. Also auch hier ist innerhalb der nächsten 20 50 Jahre mit dem Übergang von der extensiven zur intensiven Entwicklung zu rechnen.
Was hat das nun alles mit politischer Freiheit, sozialer Gleichheit oder Gerechtigkeit zu tun? Sehr viel! Denn unter den Bedingungen der prognostizierten Entwicklung werden Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit territorial unteilbar!
Die politischen Freiheiten sind in den unterschiedlichen Regionen der Erde sehr unterschiedlich entwickelt, sie sind dort am höchsten, wo auch die wirtschaftliche Entwicklung am fortgeschrittensten ist und umgekehrt. Als sehr bedeutsam für die Durchsetzung politischer Freiheiten hat sich die "Ideologie der Menschenrechte" herausgestellt, allerdings nur bezogen auf die politischen Freiheiten für den Einzelnen, nicht bezogen auf kollektive politische Freiheiten. Zu anderen hat diese Ideologie den Nachteil, recht einfach zur Durchsetzung regionaler machtpolitischer Interessen und von Ausbeutungsverhältnissen missbraucht werden zu können, da sie per Definition auf das Einzelindividuum beschränkt bleibt, kollektive Interessen wie soziale Gleichheit oder Gerechtigkeit aus der Betrachtung ausschließt. Trotzdem muss diese Ideologie eine wesentliche Grundlage für jedes Bestreben nach sozialer Gerechtigkeit sein.
Auf der Erde bestehen immense Unterschiede in den Lebensbedingungen der Menschen. Diese auch nur annähernd in einem überschaubaren Zeitraum anzugleichen im Sinne der sozialen Gleichheit würde für die Masse der Bevölkerung in den entwickelten Industriestaaten tiefgreifende Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen bedeuten und von ihnen wohl kampflos nicht hingenommen werden (11). Unter gegenwärtigen Bedingungen wäre soziale Gleichheit nur in Armut möglich, damit nur unter diktaturähnlichen Verhältnissen, das heißt ohne politische Freiheiten.
Auch soziale Gerechtigkeit ist territorial nicht (mehr) teilbar, doch liegen hier die Verhältnisse anders als bei der sozialen Gleichheit, denn es fließt die Leistungsbewertung ein. Ich bin mir durchaus der Gefahr bewusst, in die Kategorie "Fremdenfeindlichkeit" eingestuft zu werden, komme aber nicht umhin zu konstatieren, dass die Leistungen des Durchschnittsproduzenten in Schwarzafrika nicht die Werte der Leistungen in den industriell hochentwickelten Ländern erreichen. Dies ist keine Frage des Fleißes oder der Arbeitsintensität, es ist einfach eine Frage der Effektivität und Produktivität. Soziale Gerechtigkeit lässt im Gegensatz zur sozialen Gleichheit derartige Unterschiede zu. Soziale Gerechtigkeit wird auch nicht von irgendwoher angewiesen, sondern setzt sich im tagtäglichen Wettbewerb durch. Aufgabe der politischen Bewegungen ist es, für diesen Wettbewerb gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen, das heißt, den Einfluss wirtschaftlicher und politischer Macht, ausgeübt aufgrund der Verfügungsgewalt über die Produktivkräfte, zu minimieren. Auf das "Wie" habe ich nach dem Scheitern des Experimentes "Verstaatlichung/Volkseigentum" keine umfassende Antwort. Doch eines ist klar: ohne politische Freiheiten ist die Herstellung (annähernd) gleicher Wettbewerbsbedingungen im Verteilungskampf der Produzenten nicht möglich.
Hieraus ergibt sich folgende Kette:
- Die "Ideologie der Menschenrechte" ist die gegenwärtig beste Grundlage im Kampf um die Erringung der individuellen politischen Freiheiten.
- Die individuellen politischen Freiheiten schaffen gute Voraussetzungen für den Kampf um die Minimierung des Einflusses der Eigentums- und Verfügungsformen über die Produktivkräfte auf den Verteilungskampf um den erzeugten Reichtum.
- Gleiche Voraussetzungen im Verteilungskampf um den erzeugten Reichtum ist die Grundlage für soziale Gerechtigkeit.
- Soziale Gerechtigkeit wird im permanenten Wettbewerb der Produzenten untereinander erzielt. Soziale Gerechtigkeit ist ein dynamischer Zustand, welcher wiederum die politischen Freiheiten für den Einzelnen erfordert.
Es ist offensichtlich, dass zwischen 2) und 3) etwas fehlt, nämlich wie der Einfluss der Eigentums- und Verfügungsformen über die Produktivkräfte auf den Verteilungskampf minimiert werden soll, das Ziel, zum Frommen wessen die politischen Freiheiten in dieser Phase genutzt werden sollen. Doch hier fehlt ein Patentrezept; unabdingbare Voraussetzung scheinen aber trotz des im 20. Jahrhunderts fehlgeschlagenen realsozialistischen Versuchs zu sein:
Es soll nicht geleugnet werden, dass mit dem Anwachsen der Bedeutung der subjektiven Produktivkräfte in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten gegenüber der Bedeutung der objektiven Produktivkräfte sich die Rolle der Produzenten gegenüber der Rolle der Besitzer bzw. Verfügungsberechtigten über die objektiven Produktivkräfte stärken kann.
Unter welchen Bedingungen sind soziale Gleichheit und politische Freiheit vereinbar? so lautete die Fragestellung eingangs. Die Antwort fällt eindeutig aus:
Ersetzt man nun "soziale Gleichheit" mit "sozialer Gerechtigkeit", zumal dieser "Verwechsler" in der sozialistischen Literatur nur allzu häufig gemacht wird, so ergibt sich eine völlig anderes Bild:
Soziale Gerechtigkeit setzt politische Freiheit voraus, ist mit ihr und ihren Grundelementen:
untrennbar verbunden.
Soziale Gerechtigkeit setzt sich nur im Wettbewerb der Produzenten aller Schichten und Gruppen, Klassen und Kasten durch.
Doch politische Freiheit ist allein für die Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit nicht ausreichend. Hierzu bedarf es noch:
Abschließend sei erwähnt, dass die Chancen der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit desto besser sein werden, je größer der gesamtgesellschaftliche Reichtum ist, je weiter die Produktivkräfte entwickelt sind.
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Anmerkungen: