Schurz, Gerhard: Evolution in Natur und Kultur,

Teil 3: Das anthropische Prinzip in der Kosmologie

5.    Anthropisches Prinzip und zielgerichtete Evolution

Nachdem die Wahrscheinlichkeit für eine zufällige Entstehung höheren Lebens durch Evolution auf der Erde nicht mehr als unglaublich klein anzunehmen war, hat man festgestellt, dass eine Reihe fein austarierter Bedingungen vorliegen musste, damit überhaupt Leben entstehen konnte. Auch das Universum als Ganzes befindet sich nicht in einem unveränderlichen Zustand, sondern hat eine dynamische Entwicklung hinter sich. Leben konnte nur entstehen, nachdem

·       ein Stern geeigneter Größe und Masse

·       In einer mittleren Entfernung vom Zentrum einer Galaxie entstanden war, der

·       ein Planetensystem mit einem Planeten geeigneter chemischer Zusammensetzung besaß, der

·       stabil in einer geeigneten Entfernung den Stern umkreiste,

·       so dass es nicht zu sehr großen Schwankungen der Energieeinstrahlung und damit der Oberflächentemperatur des Planeten kommen konnte. Außerdem musste

·       ein Mond existieren, der die Erdachse stabilisierte und

·       ein massereicher äußerer Planet, der die Erde vor dem Einschlag großer Meteore hinreichend schützte.

 

Aus der Abschätzung der Häufigkeit des Vorkommens aller dieser Bedingungen in unserer Galaxie ergab sich eine geschätzte Häufigkeit des Vorkommens primitivsten Lebens in unserer Galaxie zwischen 1 und 1000. und eine Wahrscheinlichkeit für die Entstehung intelligenter Spezies von 1 zu zehn Millionen. Wir müssen demzufolge heute annehmen, dass wir die einzigen intelligenten Lebewesen in unserer Galaxie, der Milchstraße, sind.

Darüber hinaus ergibt sich die Konsequenz, dass unser gesamtes Universum in der Form, in der es heute existiert, nur existieren kann, weil eine Reihe von Naturkonstanten Werte haben, die in einem sehr geringen Spielraum um genau die Werte liegen, die wir bis heute gemessen haben. Diese Naturkonstanten sind die Gravitationskonstante, das Verhältnis zwischen Elektronenmasse und Nukleonenmasse und das Verhältnis zwischen der Stärke der Kernkraft und der elektromagnetischen Kraft. Würden diese Werte der Naturkonstanten durch Zufall aus einem insgesamt denkbaren möglichen Bereich ausgewählt, so würden in einem solchen Universum Sterne nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu einer Zahl mit 229 Nullen entstehen können. Diese Erkenntnis warf erneut die Frage auf: Wie, warum und durch was oder wen wurden die Naturkonstanten gerade so festgelegt, dass der Mensch entstehen konnte?

Das von verschiedenen Wissenschaftlern hierzu aufgestellte Anthropische Prinzip besagt etwas unscharf folgendes:

„ Die Parameter unseres Universums sind gerade so justiert wie sie sind, weil darin komplexes intelligentes Leben existiert.“

Es liefert eine Begründung in dem Sinne, dass eine solche Justierung notwendig war, weil die Existenz des Menschen Tatsache ist. Wenn die Parameter nicht so justiert wären, könnte der Mensch nicht existieren. Diese Begründung ist aber keine wissenschaftliche Erklärung in dem Sinne, dass sie den kausalen Realgrund liefert, warum aufgrund wissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten diese Parameter gerade so eingestellt wurden, dass der Mensch entstehen konnte.

Man kann das Anthropische Prinzip auch als Zweckerklärung interpretieren, die besagt, dass die Parameter so justiert wurden, damit der Mensch entstehen konnte. Dies unterstellt aber entweder einen intelligenten Kreator, der einen bestimmten Zweck verfolgte, oder ein teleologisches Naturprinzip, das ein Ziel anstrebt und damit eine zeitlich rückwärts gerichtete Kausalwirkung voraussetzt, die nirgends beobachtbar ist.

Eine andere Interpretationsmöglichkeit wäre die Unterstellung eines evolutionären Zufallsprozesses, der unter den Myriaden von möglichen Paralleluniversen mit variierenden Parametern das entwicklungsfähigste ausselektiert. Das erforderte die Ausarbeitung  einer kosmologischen Evolutionstheorie, wie sie Smolin versucht hat, die aber von vorn herein spekulativ bleiben muss, weil es aus prinzipiellen Gründen keinerlei empirische Daten gibt und geben kann, die Auskunft über die Eigenschaften von Paralleluniversen geben könnten, mit denen unser Universum in keinerlei Wechselwirkung steht.

Spekulativ wäre eine solche Theorie vor allem deshalb, weil alle Wahrscheinlichkeitsaussagen subjektive Wahrscheinlichkeiten enthalten. Objektiv-statistische Wahrscheinlichkeiten bedeuten den Grenzwert der Beobachtung der Häufigkeit vieler Ereignisse, der es ermöglicht, die subjektiv-epistemische Wahrscheinlichkeit eines zu erwartenden Ereignisses vorher zu sagen. Nicht wiederholbare Ereignisse lassen jedoch keine Bestimmung der objektiven Wahrscheinlichkeit zu und die angenommenen Ausgangswahrscheinlichkeiten von Hypothesen sind immer subjektiv-epistemisch. Zur Abschätzung der letzteren geht man häufig von Gleichverteilungsannahmen aus, die wegen ihrer Abhängigkeit von der sprachlichen Formulierung der Ausgangssituation immer subjektiv bleiben.

Die Suche nach einer wissenschaftlichen Erklärung, warum die Naturkonstanten gerade die Werte haben, die sie haben, bedeutet letztlich Suche nach einer Letzterklärung, die es auch in der Wissenschaft wie in der Religion nicht geben kann, denn jede wirkliche Erklärung muss immer wieder auf andere Erklärungen zurückgreifen und führt deshalb stets auf einen unendlichen Regress, der nicht auflösbar ist.

Bei derartigen Letztfragen ist der Wissenschaftler immer aufs neue mit dem Kreationismus konfrontiert. Solange der Kreationismus aber keinerlei Aussagen über empirisch überprüfbare Tatsachen macht (Minimaler Kreationismus), ist er unkritisierbar und deshalb bereits aus methodologischen Gründen zu verwerfen. Der rationalisierte Kreativismus behauptet jedoch, dass alle bereits bekannten empirischen Tatsachen durch einen Schöpfer geschaffen wurden. Diese Aussage ist deshalb als unwissenschaftlich zu verwerfen, weil sie nicht dem Vorhersagekriterium genügt. Das Vorhersagekriterium verlang von jeder wissenschaftlichen Hypothese, dass sie nicht nur alle bekannten empirischen Tatsachen, sondern auch unbekannte, aber potentiell erkennbare Tatsachen richtig erklärt. Dies leistet auch der rationalisierte Kreationismus a priori nicht, der deshalb auch mit Hilfe des baysianischen Bestätigungskriterium nicht glaubwürdiger gemacht werden kann. Nur das Vorhersagekriterium erlaubt eine Abgrenzung zwischen wissenschaftlichen und spekulativen Theorien.

Smolin hat auf weitgehend wissenschaftlich begründbaren Thesen aufbauend eine evolutionäre Erklärung für die grundlegenden Parameter unseres Universums entwickelt, die dennoch die Schwelle der Spekulation nicht überwinden konnte, so dass die Letztfrage unserer Existenz notgedrungen weiterhin offen bleibt.

 

Teil 4: Prinzipien der verallgemeinerten Evolutionstheorie