Mensch und Gesellschaft im "Freiberger Modell"
Die mit dem Menschen erreichte Stufe der Evolution stellt eine Schwelle dar, auf der es erstmalig möglich wird, dass sich der spontane, zufällige Evolutionsprozess in einen bewusst geführten, mit theoretischer Voraussicht ausgestatteten und damit ein Ziel verfolgenden Prozess verwandelt. Bereits bei der Untersuchung gesellschaftlicher Evolutionsprozesse wurde festgestellt, dass durch theoretische Probemutationen eine wesentliche Beschleunigung des Evolutionsprozesses erreicht wurde, weil auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse wenig aussichtsreiche Versuche gar nicht erst in der Realität ausgeführt werden müssen, wenn sie im Widerspruch zu bereits erkannten Gesetzmäßigkeiten stehen. Zunächst erfolgt dies in Auswertung und Anwendung vorwiegend analytisch vorgehender Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften, aber auch bestimmter Sozial- und Geisteswissenschaften.
Ein weiterer Fortschritt wird mit den technischen Wissenschaften und mit den Gesellschaftswissenschaften erreicht, die sich die Aufgabe stellen, bisher erkannte Gesetze zu extrapolieren und die technische und gesellschaftliche Umwelt des Menschen bewusst und gezielt zu verändern. Mit den besonderen Aspekten dieser Wissenschaften befasst sich Frank Richter auf seiner Homepage, auf der er das prinzipielle Vorgehen dieser Wissenschaften im "Freiberger Modell" im einzelnen darstellt. Er schreibt:
1.Das eigentliche Untersuchungsobjekt der
Technikwissenschaften ist ja im Unterschied zu dem der
Naturwissenschaften weniger die Natur selber, sondern eher der
Mensch in seinen Beziehungen zur Natur, und zwar hinsichtlich der
in jenem Stoffwechsel zu entwickelnden und einzusetzenden
materiell-gegenständlichen Instrumente.
2. Das Ziel dieser Tätigkeit ist demzufolge weniger die
Abbildung einer bestimmten Realität, sondern die Schaffung von
Realität, deren Gestaltung und nicht zuletzt Beherrschung, und
dies auf der Grundlage von konstruktiven Ideen.
3. Die grundlegende Methode dabei ist weniger die Abstraktion,
also das in den Wissenschaften übliche Aufsteigen vom Einzelnen
zum Allgemeinen mit der einen und richtigen Theorie am Ende des
Erkenntnisprozesses, sondern die Konkretisierung. Hier geht es um
die interdisziplinäre Verknüpfung allgemeineren
wissenschaftlichen Wissens zu einer Singularität, zu einer
bestimmten Technik oder Technologie, die unter ganz bestimmten
Bedingungen funktionieren muss. Dafür gibt es in der Regel aber
mehrere Möglichkeiten (z.B. verschiedene Motortypen, Prozessoren
oder Stahlerzeugungsverfahren u.ä.), so dass hier Modellvielfalt
typisch ist.
Diese drei Aspekte auf eine materialistische
Erkenntnistheorie zu projizieren ist das "Freiberger
Modell".
Die Ergebnisse dieser Wissenschaften sind demnach zunächst
Modelle technischer oder gesellschaftlicher Prozesse, die dann im
Popperschen
Sinne einer Erprobung
oder Überprüfung in der industriellen oder gesellschaftlichen
Praxis unterzogen werden und schließlich als gesicherter
Bestandteil der Welt 3 dem Kulturpool der Menschheit hinzugefügt
werden und in dieser Eigenschaft die weitere Evolution des
gesellschaftlichen Systems wesentlich beeinflussen können. In
dieser Interpretation war der Marxismus-Leninismus ein in den
Gesellschaften des realen Sozialismus geprüftes Modell des
historischen Materialismus, das seine Bewährungsprobe nicht
bestanden hat.