Die Macht der Meme oder

Die Evolution von Kultur und Geist

(Die memetische Theorie von Susan Blackmore)

 

Was sind Meme?

Meme sind Elemente einer Kultur, die nicht auf genetischem Wege, sondern durch Imitation (Nachahmung) weitergegeben werden. Auf dieser Grundlage entwickelte Susan Blackmore eine Theorie der kulturellen Evolution, in der Meme eine analoge Rolle spielen wie die Gene in der Darwinschen Theorie der biologischen Evolution. Aus dem Wettstreit der Meme um die weiteste Verbreitung lassen sich solche Phänomene wie die Entwicklung des überdimensionierten menschlichen Gehirns, der Entwicklung der Sprache, des Altruismus und des Internet erklären und Erscheinungsformen des menschlichen Bewusstseins ableiten.

Der universelle Darwinismus

So wie in der biologischen Evolution die Gene mit ihrer Variabilität, ihrer Selbstreproduzierbarkeit und ihrer Selektierbarkeit die Träger des evolutionären Algorithmus sind, können in der kulturellen Evolution des Menschen die Meme als die Träger dieses Evolutionsalgorithmus betrachtet werden. Auf der Basis ihrer Variabilität und Vielfalt, ihrer Stabilität, ihrer exakten Kopierbarkeit und ihres Charakters als symbolische Anweisungen können die Meme für die Kultur die analogen Funktionen wie die Gene für die Organismen übernehmen. Das hat zur Folge, dass solche kulturellen Gepflogenheiten in der Gesellschaft selektiert werden und sich durchsetzen, deren Meme am leichtesten von den Menschen aufgenommen werden, die sich schnell, leicht und exakt kopieren lassen und die eine schnelle Weitergabe auf Grund ihrer Eigenschaften fördern und somit den Wettlauf mit weniger "erfolgreichen" Memen bezüglich ihrer Verbreitung in der Gesellschaft gewinnen.

Die Evolution der Kultur

Im Unterschied zu soziobiologischen Theorien der kulturellen Entwicklung geht die Memetik nicht davon aus, dass die Entwicklung der Kultur ausschließlich im Interesse der Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit der Individuen, also im "Interesse" der Gene erfolgt. Sie unterstellt eine davon unabhängige, durch einen zweiten Replikator angetriebene Entwicklung, den Wettbewerb der Meme. Dies ist naheliegend, da viele kulturelle Entwicklungen zwar nach dem gleichen Prinzip wie die biologische Evolution erfolgen, aber viele Artefakte keineswegs unmittelbar den menschlichen Interessen und Bedürfnissen nach Nahrung und Wohnung dienen, wie z.B. Kunstwerke, Kultbauten und viele technische Produkte. Obwohl es starke Wechselwirkungen zwischen der biologischen und der kulturellen Entwicklung gibt, ist letztere deutlich schneller und das sich wandelnde Verhalten der Menschen wird mindestens ebenso stark von ihren Memen wie von ihren Genen bestimmt. So sind z.B. altruistische Verhaltensweisen den Interessen der Gene kontraproduktiv, liegen aber im direkten Interesse der Verbreitung der Meme. Ein wesentliches Merkmal ist auch, dass Gene nur vertikal von Generation zu Generation weitergegeben werden, während die Meme im Zuge fortschreitender Entwicklung immer mehr und immer schneller auch horizontal verbreitet werden.

Aus der Memperspektive

Meme bestimmen das kulturelle Verhalten des Menschen. Die gegenseitige Konkurrenz der Meme führt dazu, dass gerade diejenigen Meme die weiteste Verbreitung finden und sich kulturell durchsetzen, welche den Menschen durch ihren Inhalt dazu veranlassen, Kontakt zu anderen Menschen zu suchen und sie selbst weiterzugeben. Nur solche Gedanken sind Meme, die kopiert und durch Imitation weitergegeben werden können und auch weitergegeben werden. Lerninhalte, die durch eigenständiges Lernen im Prozess Versuch – Irrtum oder durch Belohnung und Bestrafung erworben werden, sind keine Meme. Meme werden durch die Beobachtung des Verhaltens Anderer und durch Nachahmung dieses Verhaltens neu erworben, ohne dass hierzu ein rationales, tiefgehendes Verständnis dieses Verhaltens erforderlich ist. Dennoch erfordert diese Nachahmung eine genaue Beobachtung und Analyse des betreffenden Verhaltens und eine Umsetzung der Vorgänge in das eigene Verhalten. Das ist nur möglich bei einer diesbezüglich selektierten Struktur des Gehirns. Nur Menschen sind in der Lage, derartige Imitation zu bewerkstelligen. Sie unterscheiden sich darin grundlegend von den meisten Tieren und es ist zu vermuten, dass die Entwicklung der Imitationsfähigkeiten einen wesentlichen Beitrag zur Selektion des großen Gehirns der Menschen geleistet hat.

Drei Probleme mit Memen

Ein Mem ist im Wesentlichen dadurch charakterisiert, dass es eine symbolische Information in Form einer Anweisung enthält, die eine gewisse Langlebigkeit hat und durch Imitation kopiert werden kann. Seine Größe bzw. seine Funktionseinheit ist nur dadurch bestimmt, dass es noch selbständig reproduziert und verbreitet werden kann und wird. Als Vehikel kommt jedes beliebige Speichermedium in Frage und seine Vergleichbarkeit mit einem Gen bezieht sich nur auf seine Eigenschaften als variabler, seine eigene Reproduzierbarkeit fördernder Replikator.

Das große Gehirn

Seit langem suchen Evolutionsbiologen nach stichhaltigen Gründen für die Entwicklung der Größe des menschlichen Gehirn, das in Anbetracht des Aufwandes für die in einer Jäger- und Sammlergesellschaft anstehenden Aufgaben überdimensioniert erscheint. Es gilt als sicher, das ein größeres Gehirn/Körperverhältnis mit den dadurch verbesserten Wahrnehmungs- und Koordinierungsleistungen dem Menschen als Großwildjäger Selektionsvorteile verschaffte und somit Gene für große Gehirne bevorzugt wurden. Man hält deshalb die Vergrößerung des Gehirns auf das Doppelte für durchaus begründbar, das Gehirn hat sich jedoch in der fraglichen Zeit auf das dreifache vergrößert. Als Begründung dieser für einen Jäger überdimensionale Vergrößerung stellte Susan Blackmore folgende These auf: Das für einen Jäger gutentwickelte Gehirn gestattete die komplizierte Funktion der Imitation von Verhalten, das ihm zunächst Überlebensvorteile verschaffte und deshalb positiv selektiert wurde. Gleichzeitig entstanden damit jedoch Meme als zweiter Replikator neben den Genen. Die Replikatoreigenschaften der Meme erzeugten nun ihrerseits einen Selektionsdruck zur weiteren Vergrößerung des Gehirns über die Größe hinaus, die zur direkten Erlangung genetischer Vorteile zweckmäßig gewesen wäre und führten zur genetischen Bevorzugung des besten Imitators als Objekt der Nachahmung und bevorzugten Paarung. Auf diese Weise vergrößerte sich das Gehirn bis zur für den Organismus maximal verkraftbaren Größe.

Die Ursprünge der Sprache

Die Sprache ist ein überaus geeignetes Medium zur Verbreitung von Memen. Da das so ist und das vergrößerte Gehirn Sprache ermöglichte, wurde die Entwicklung der Sprache auch genetisch gefördert. Die auf der ganzen Welt einheitlichen grammatischen Grundprinzipien der Sprache ermöglichen auf Grund ihrer digitalen, komplexen Struktur exaktere Kopien aller Meme. Deshalb ist zu vermuten, dass es gerade die notwendigen Eigenschaften der Meme waren, welche die Entwicklung der Sprachen und parallel dazu die Entwicklung der körperlichen Sprachfähigkeiten der Menschen beförderten. Gleichzeitig zeigt sich hier die Selbstförderung der Meme sehr deutlich, denn die Nachahmung von Rednern verbreitet die "Rede – Meme" bedeutend besser als die Nachahmung von Schweigern die "Schweige – Meme".

Die Koevolution von Memen und Genen

Ohne die Memetik ist es sehr schwierig, eine darwinistische Erklärung für die Funktion der Sprache und für die Entwicklung ihrer grammatikalischen Regeln zu finden. Die Memetik liefert einen neuen Zugang zur Evolution von Sprache. Nach dieser Theorie ist Sprache sowohl ein Produkt genetischer als auch memetischer Selektion. Die menschliche Sprachfähigkeit stellte primär für die Meme einen Selektionsvorteil dar, nicht für die Gene. Die Meme veränderten dann die Umwelt, in der die Gene selektiert wurden, mit dem Ergebnis, das immer bessere memverbreitende Apparate gebaut wurden. Die Funktion der Sprache besteht also in der Verbreitung von Memen. Die Erfolgskriterien eines Replikators bestehen in hoher Wiedergabetreue, hoher Verbreitungsrate und Langlebigkeit. Die Entwicklung der grammatischen Struktur der Sprachen in Form von Buchstaben, Wörtern und Sätzen und die Entwicklung der Medien von gesprochener Sprache über Schrift, Druck, Fotokopie und elektronische Speichermedien zielten genau auf diese Erfolgskriterien hin.

Der memetische Antrieb und Dennets Turm

Nach den Vorstellungen von Dennet vollzieht sich die Evolution der Lebewesen auf mehreren, aufeinander aufbauenden Ebenen.

 

Meme und Sex

Die genetische Evolution hat Gehirne hervorgebracht, die sich bevorzugt mit Sex, Essen und Macht beschäftigen, weil diese Themen in der Periode der Evolution des Gehirns wichtig für die Überlebenswahrscheinlichkeit waren. Die Meme, die wir bevorzugt wählen, spiegeln deshalb gerade diese Themen wieder. Die kulturellen Gepflogenheiten, die sich auf dieser Basis entwickelten, spiegeln einen zunehmenden Einfluss der Meme auf die Selektion der Gene wider:

 

Sex in der modernen Welt

In den zurückliegenden Jahrhunderten der Menschheitsentwicklung wurden auch die Meme überwiegend vertikal von Generation zu Generation weitergegeben. Obwohl die Meme zunehmend Einfluss auf das Verhalten der Menschen gewannen, wirkten sie parallel zu den Genen in Richtung auf eine Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit. Ihre Wirksamkeit war deshalb gegenüber der Wirksamkeit der Gene kaum erkennbar und die auf der Wirksamkeit der Gene beruhenden Theorien der Sozialbiologie konnten die kulturellen Entwicklungstendenzen hinreichend gut erklären. Im 20. Jahrhundert änderte sich das in den Industriegesellschaften grundlegend. Die Verbreitung der Gene erfolgt nun infolge des Fortschritts der Informationstechnologien überwiegend horizontal. Im Wettstreit der Gene und Meme haben die Meme eindeutig gewonnen und üben einen bestimmenden Einfluss auf die weitere Evolution aus. Das ist die Ursache einer bedeutenden Veränderung der kulturellen Gepflogenheiten:

Wenn heute noch durch die Geburtenkontrolle bzw. durch die fehlende Geburtenkontrolle in den Entwicklungsländern der Bestand der menschlichen Art insgesamt nicht gefährdet ist, werden hier in der nächsten Zeit gravierende Veränderungen zu erwarten sein, die den genetischen Fortbestand der Menschheit in Frage stellen können. Allerdings muss auch erwartet werden, dass bei einer möglichen Abnahme der Weltbevölkerung den Memen Ausbreitungsmöglichkeiten auf natürliche Weise wieder entzogen werden, so dass sich im Wettstreit um die Entwicklung der Gene und Meme ein Gleichgewicht einstellen wird, ganz abgesehen davon, dass die Auswirkungen der Gentechnologie und der Manipulation der menschlichen Gene noch gar nicht abzusehen sind.

Die memetische Theorie des Altruismus

Die traditionelle Soziobiologie erklärt den Altruismus als gegenseitigen Altruismus, d.h. alle uneigennützigen Handlungen erfolgen als oder in Erwartung einer wie auch immer gearteten "Rückzahlung" der Leistungen und nützen damit letztendlich der Ausbreitung der eigenen Gene. Evolutionär erfolgt der erste Anstoß zu dieser Art Altruismus im Zuge der Verwandtenselektion und dehnt sich aus in Gruppen von Menschen, die einander kennen und die sich wiederbegegnen. Es gibt jedoch auch eine Art von Altruismus, der weit darüber hinaus geht und nicht auf diese Weise erklärt werden kann. Zur Erklärung eines solchen Altruismus wird oft auf mystische und religiös begründete Moralvorstellungen zurückgegriffen, die Memetik bietet jedoch eine andere Erklärungsmöglichkeit: Altruismus ist selbst ein Memkomplex, der sich selbstständig weiterverbreitet. Altruistische Meme werden häufiger weiterverbreitet, weil altruistisches Verhalten automatisch mehr Kontakte zu anderen Menschen hervorbringt als egoistisches Verhalten und sich deshalb von selbst kopiert, weiterverbreitet und verstärkt. Den ersten Anstoß zu dieser Art mag ruhig ein gegenseitiger Altruismus gegeben haben, der sich aber aufgrund der Replikatoreigenschaften der Meme von selbst weiterverbreitert hat, weil er unabhängig davon imitiert wurde, ob er echt oder nur vorgetäuscht war. Der ursprünglich in den Genen verankerte Verwandtenaltruismus hat Altruismus - Meme erzeugt, die sich von selbst weiterverbreiten und am Ende durch bevorzugte Paarung von Altruisten die bevorzugte Weitergabe von Altruismus-Genen wiederum befördern. Nach dieser Theorie ist Altruismus also durch Kooperation des Gen - Mechanismus mit dem Mem - Mechanismus entstanden. Gleichzeitig behindert übertriebener Altruismus sicherlich aber auch die Überlebenswahrscheinlichkeit der Gene in gewissem Maße. Der Wettstreit zwischen den Memen und den Genen muss deshalb letztendlich auch zu einem dynamischen Gleichgewicht zwischen Egoismus und Altruismus führen. Dieser zunächst nur auf Spekulation aufgebaute Mechanismus könnte nach Ansicht Blackmores ein aussichtsreiches Forschungsvorhaben begründen.

Der Altruismustrick

Nach den grundlegenden Prämissen der Memtheorie haben auf grund ihrer Evolutionsgeschichte sowohl altruistische Meme wie auch Meme, die sich auf Sex, Essen und Macht beziehen, außerordentlich gute Chancen für ihre weitere Verbreitung. Das wird ausgenutzt, um andere Memkomplexe, die sich nicht so leicht verbreiten lassen, mit ihnen zu koppeln und diese zu tarnen. Es gibt außerordentlich viele Beispiele für menschliche Verhaltensweisen, die Altruismus nur vortäuschen, ohne es wirklich zu sein, die immer wieder imitiert werden und sehr erfolgreich sind. Das beginnt bei netten, inhaltslosen Grußformeln und endet bei gezielten Werbegeschenken. Die Werbeindustrie führt vor, wie man beliebige Produkte mit Sex oder Altruismus koppeln und dadurch besser verkaufen kann, wie man durch altruistisch angestrichene Vorleistungen moralische Verpflichtungen erzeugen und Menschen beeinflussen kann.

Meme des New Age

Memkomplexe, die übersinnliche und sensationelle Inhalte haben, erzielen oft eine große Verbreitungs- und Überlebenswahrscheinlichkeit, wie z.B. UFO-Geschichten und Entführungen durch Aliens, Wunderheilungen, Nahtodeserfahrungen und astrologische Weissagungen. Der Erfolg dieser Memkomplexe beruht meistens darauf, dass unnachprüfbare Behauptungen als Tatsachen dargestellt und mit offensichtlich wahren Begebenheiten eng verknüpft werden zu einem Memkomplex, der nur gemeinsam kopiert und weiterverbreitet wird, so dass Wahres und Erfundenes nicht mehr trennbar ist.

Religionen als Memkomplexe

Die große Verbreitung der Weltreligionen kann dadurch verstanden werden, dass alle diese Religionen Memkomplexe darstellen, in denen bewusst mit Nachahmung und Imitation (der Priester) operiert wird und altruistisches Verhalten und Ideengut sowie Wahrheitsbehauptungen wichtige Bestandteile bilden. Auch die Wissenschaften sind Memkomplexe, die nicht nur wahre Bestandteile enthalten. Aber im Gegensatz zu den Religionen gehören zur Wissenschaft Methoden, mit denen man wahre Meme von falschen unterscheiden kann. Deshalb ist Wissenschaft wahrhaftiger als Religion.

Ins Internet

Vom Standpunkt der Memetik sind Sprechen, Schreiben, Drucken, Telefonieren, Faxen und Internetkommunikation Elemente der Evolution von Kopiermaschinen für Meme. So wie sich in der biologischen Evolution Gene zusammen mit den Organismen als ihren Kopiermaschinen entwickelt haben, so entwickeln sich heute in der technischen Evolution Meme zusammen mit ihren Kopiermaschinen, sie befinden sich lediglich noch auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe.

Der ultimative Memplex

Bekanntlich ist es noch nicht gelungen, menschliches Bewusstsein und Selbstbewusstsein genauer als "irgendwo im Großhirn" zu lokalisieren. Sie sind nur zusammen mit der Tätigkeit eines lebendigen Gehirns vorhanden. Aus der Sicht der Memetik ist Selbstbewusstsein ein großer Komplex von Memen in Form von Erfahrungen und Verhaltensweisen, die im Gehirn laufend immer wieder kopiert, verändert, ergänzt und gespeichert werden. Das Gehirn ist die Maschinerie, die diesen Memkomplex am Leben erhält. Das kontinuierliche Selbstbewusstsein wird hervorgerufen durch die Replikatoreigenschaften der Meme. Wie genaue Messungen der zeitlichen Aufeinanderfolge von Analyse der Sinneswahrnehmungen, Entschlussfassung durch Hirntätigkeit, Ausführung einer resultierenden Handlung und Bewusstwerden dieser Handlung zeigen, täuscht uns unser Bewusstsein über die Reihenfolge dieser Aktivitäten. Wir führen nicht bewusst in "freiem Willen" eine Handlung aus, sondern wir werden uns erst nach der Entscheidung und Ausführung einer Handlung bewusst, was wir tun wollen und was wir getan haben. Unser Ich-Bewusstsein ist eine Illusion, ein "Selbstplex" von Memen, der jedoch wichtig ist für die Bewahrung der Meme, die wir zur Bewältigung unserer Lebensprozesse in unserer Umwelt brauchen.

Aus dem Memrennen hinaus

Nehmen wir die Vorstellung, dass unser Selbstbewusstsein nichts weiter ist als ein gigantischer Memkomplex, der auf der physischen Maschinerie eines menschlichen Körpers einschließlich seines Gehirns, einer Mem – Maschine, läuft, als Tatsache (Blackmore jedenfalls tut dies, solange es keine bessere Theorie des Bewusstseins gibt), so ergeben sich weitreichende Konsequenzen:

Unser Körper und unser Gehirn wurden von der natürlichen Selektion gestaltet, die über lange Zeiten der Evolution auf Gene und Meme wirkte. Unsere Gene stammen alle von unseren Vorfahren und unsere Meme stammen aus unserer memetischen Umwelt und von allen den Menschen, mit denen wir Kontakt hatten. Unser Selbst ist ein sich selbst schützender Memkomplex, in den alle die Meme Eingang gefunden haben, die gegenüber anderen Memen in unserer memetischen Umwelt einen selektiven Vorteil hatten und die durch unser auf der Basis unserer Gene entstandenes Gehirn eine besondere Förderung erfuhren.

Der freie Wille ist nicht der Initiator von Handlungen, sondern alle Handlungen beruhen auf komplexen Interaktionen zwischen Memen, Genen und all ihren Produkten in einer komplizierten Umwelt. Der freie Wille dient lediglich zur nachträglichen Erklärung der von unserem Selbstplex von Memen ausgelösten Handlungen, kontrolliert diese aber nicht.

Die kulturell – soziale Evolution wird in der gleichen Weise wie die biologische Evolution durch Gesetzmäßigkeiten und Zufälle vorangetrieben, nicht aber bewusst auf ein vorgegebenes Ziel hin gelenkt. Sie wird von den Replikatoren und ihrer Umwelt gesteuert, nicht durch etwas, das davon getrennt ist und sich Bewusstsein nennt, weder durch göttliches noch durch menschliches Bewusstsein.

Die kreativen Errungenschaften der menschlichen Kultur sind Produkte der memetischen Evolution, genauso, wie die schöpferischen Errungenschaften der biologischen Welt Produkte der genetischen Evolution sind. Bewusstsein hat eine Wirkung auf den Verlauf dieser Evolution, ist aber nicht Urheber von Kreativität, denn wirklich kreative Akte erwachsen häufig gerade in einem Zustand, in dem das Selbst – Bewusstseins verloren ist.

Planung im Sinne von Voraussicht gibt es nicht. Menschliche Planung ist lediglich eine komplexe Extrapolation menschlicher Erfahrungen aus der Vergangenheit in die Zukunft.

Die Erkenntnis, dass es kein bewusstes Selbst in unserem Inneren gibt, dass es nur eine Illusion ist, dass wir mit freiem Willen unser Leben bestimmen, ist zunächst verwirrend und erschreckend. Man muss und kann sich selbst von dieser Tatsache durch folgende Übungen überzeugen:

Während sich bei den meisten Leuten der Selbstplex ständig verstärkt, weil sie alles was geschieht, auf ihr Selbst beziehen, beginnen die beschriebenen Übungen den Selbstplex auszuzehren und helfen, falsche Vorstellung von Selbstbewusstsein fallen zu lassen. (Man vergleiche hierzu die etwas andere Auffassung von Selbstbewusstsein bei Damasio)

Es ist nicht notwendig, laufend bewusst Entscheidungen für sein weiteres Leben zu treffen. Diese Entscheidungen ergeben sich automatisch, sobald der Zeitpunkt hierfür gekommen ist. Vom memetischen Standpunkt gesehen ist der Selbstplex nicht dazu da, Entscheidungen zu treffen oder das Leben zu erleichtern, sondern er ist zur Weiterverbreitung der Meme da, aus denen er besteht. Kluge Gehirne, ausgestattet mit vielen Memen, sind durchaus in der Lage, vernünftige Entscheidungen ohne einen Selbstplex zu treffen, der sie durcheinander bringt. So ungewöhnlich diese Sichtweise auch ist, sie steht jedoch nicht in Widerspruch mit den Erkenntnissen von Damasio.

Der Verlust des Selbstplexes führt nicht zum Verfall der Moral, wie man befürchten könnte. Die Selektion der Gene und Meme führt auch weiterhin zu einem Gleichgewicht zwischen Egoismus und Altruismus. Wegfallen würden Selbstbeschuldigungen, Selbstzweifel, Gier, Ärger und alle Arten von destruktiven Emotionen. Wir werden freier leben können ohne länger Opfer des egoistischen Selbstplexes zu sein.

Kritischer Kommentar: 

Die Autorin spricht den Memen eine derart selbständige Existenz zu, die meines Erachtens nicht gerechtfertigt ist. Es wird vergessen, dass Meme ihre Bedeutung erst erlangen, indem der Mensch ihnen diese zuweist. Die hierzu notwendigen Lernprozesse werden z. B. hier deutlicher dargestellt.

So wie Dawkins "egoistisches Gen" eine zu einseitige Sicht auf die biologische Evolution liefert und Wechselwirkungen mit dem Organismus unterrepräsentiert sind, kann Susan Blackmores Memetik  die kulturelle Evolution allein nicht allseitig beschreiben. Es fehlt hier die materielle Seite. Was die Gene für das Lebewesen sind die Meme für das Energon.

 Man vergleiche hierzu auch die Ausführungen von Pürschel zur Memetik und die Vorlesung von Hans Mohr zu den biologischen und kulturellen Wurzeln von Moral und Recht.