Ist Intelligenz erblich?

Kommentar zu dem Buch von Dieter E. Zimmer

 

1.    Warum dieses Buch

Der Autor kritisiert die SPD-Führung, weil sie mit ihrer Kritik an dem Buch von Sarrazin nicht das brisante Thema der Einwanderungspolitik aufgegriffen hat, das die Diskussion auslöste, sondern mit dem diffusen Vorwurf des Biologismus, Sozialdarwinismus und Rassismus zu erkennen gab, in der Frage des Anteils von Erblichkeit und Umweltbedingtheit von Intelligenz nicht auf der Höhe  der Zeit zu sein. Deshalb erschien es angebracht, gerade dieses inzwischen wissenschaftlich weitgehend geklärte Problem von Grund auf ausführlich darzustellen und Missverständnisse auszuräumen.

 

2.    Ein Eklat

Nachdem in den USA vor 1970 durch intensive Fördermaßnahmen vergeblich versucht worden war, Schulleistungen und Bildungsstand der schwarzen und unterprivilegierten Bevölkerung entscheidend zu verbessern, erschienen erste Untersuchungen, die solche Maßnahmen in Zweifel stellten und zumindest einen wesentlichen Anteil von Erblichkeit des Intelligenzquotienten unterstellten. Daraufhin entbrannte ein heftiger Streit zwischen den Verhaltensgenetikern, die eine solche Erblichkeit nachzuweisen versuchten, und den Kulturtheoretikern, die von einer absoluten Gleichheit aller Menschen ausgingen, alle kulturellen Errungenschaften mit Erziehungs- und Bildungsmaßnehmen begründen wollten und einen Einfluss der Gene leugneten. Mitte der 90er Jahre erarbeitete eine hochkarätige Kommission ein Gutachten, das den Streit mit der Feststellung beendete, individuelle Unterschiede der Intelligenz seien zu erheblichen Teilen genetisch bedingt und daher erblich, lassen sich aber durch Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen zwar vermindern, jedoch nicht beseitigen. Dieses Ergebnis wurde in der Folgezeit immer wieder angezweifelt, konnte aber nicht widerlegt werden und wurde weiter untermauert.

 

3.    Der gedoppelte Mensch

In welchem Maße körperliche Eigenschaften und Verhaltensweisen eines Menschen durch genetische oder Umwelt-Einflüsse bestimmt werden, kann durch die Zwillingsforschung ermittelt werden. Dazu werden Merkmale von Zwillingen miteinander verglichen, die entweder eineiig oder zweieiig sind und gemeinsam oder getrennt aufgewachsen sind und gelebt haben. Insgesamt wurden in zahlreichen voneinander getrennten Studien  weltweit 800 000 Zwillingspaare untersucht. In der umfangreichsten Studie wurden bis 1990 in Minneapolis 330 eineiige Zwillingspaare untersucht, von denen 56 getrennt und 274 zusammen aufgewachsen waren. Eineiige Zwillinge sind dadurch charakterisiert, dass sie exakt die gleichen Gene besitzen, so dass alle  festgestellten Unterschiede ihrer Eigenschaften auf Umwelteinflüsse zurück zu führen sind. Eine spätere Neuanalyse des Intelligenzquotienten einer Gruppe von insgesamt 126 getrennt aufgewachsenen Zwillingspaaren ergab einen Korrelationskoeffizienten von 0,69, gegenüber 0,88 bei einer Gruppe gemeinsam aufgewachsener. Dies belegt, dass in der untersuchten Gruppe von Erwachsenen die individuellen IQ-Unterschiede zu höchstens drei Vierteln auf die Gene und mindestens zu einem Viertel auf nichtgenetische Einflüsse zurückzuführen sind. Wie sich aus Korrelationskoeffizienten die Erblichkeit errechnet, wird in Abschnitt 7 gezeigt.

 

4.    Die Messung des Unermesslichen

Es gibt zwar keine exakte Definition von Intelligenz, jedoch ist die Fachwelt sich darüber einig, dass Intelligenz „abstraktes Denken und Schlussfolgern, Problemlösungsfähigkeit und die Fähigkeit zum Wissenserwerb“ umfasst. Die damit charakterisierte Eigenschaft bestimmt den Schulerfolg und den Berufserfolg in vielen qualifizierten Berufen, weshalb jahrzehntelang nach einem messbaren Auswahl-Kriterium zur Bestimmung dieser Eigenschaft gesucht wurde. Genau zur Prüfung und Bestimmung dieser Eigenschaft wurde der IQ-Test entwickelt, der aus einer Zusammenstellung von etwa einem Dutzend Einzelaufgaben unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades besteht, die so ausgewählt sind, dass sie im Mittel keine besonderen Begabungen und spezifischen Kenntnisse und Erfahrungen bevorzugen, die in verschiedenen Kulturen unterschiedlich sind. Infolge dieser Auswahl kann und soll der IQ-Test nicht den ganzen Menschen umfassend beschreiben, insbesondere aber keine Aussage machen über Eigenschaften wie Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit, Wissbegier, Ehrgeiz, Gedächtnis, Motivation und Kreativität sowie über moralische Kriterien. Dies wird häufig aus Unkenntnis nicht beachtet. Des weiteren wird die Schwierigkeit der Einzeltests so festgelegt, dass gerade die Hälfte der Anzahl der Individuen einer repräsentativen zufälligen Auswahl aus der Gesamtbevölkerung die Hälfte der Tests bewältigt und die andere Hälfte nicht. Die Maßzahl für den IQ-Wert des getesteten Individuums und für die Bewertung der Einzeltests werden so festgelegt, dass sich in der Gesamtpopulation eine Verteilung der Intelligenz nach einer Gauß’schen Normalkurve einstellt, deren Maximum bei 100 liegt (durchschnittliche Intelligenz) und deren Breite so normiert wird, dass 25 % der Population Werte über 110 erreichen (überdurchschnittliche Intelligenz) und 25 % der Population Werte unter 90 % aufweisen (unterdurchschnittliche Intelligenz). (Die Standardabweichung der IQ-Verteilungskurve beträgt dann 15 Werte und 2/3 der Population haben IQ-Werte innerhalb der Standardabweichung) Infolge dieser Normierung beziehen sich Intelligenzquotienten immer auf die zu Grunde gelegte normalverteilte Durchschnittspopulation. Die mittlere Zuverlässigkeit des Testergebnisses einer Testperson beträgt 4 Punkte, die maximal auftretenden Abweichungen zwischen zwei gleichartigen Tests 10 Punkte. Damit hat sich der IQ-Test als ein zuverlässiges Messinstrument zur Bestimmung von Intelligenz als einer menschlichen Eigenschaft erwiesen, die für bestimmte Aspekte von Bedeutung ist, aber bei weitem nicht den gesamten Menschen charakterisiert und deshalb nicht überbewertet werden darf. Statistische Zusammenstellungen über die Verteilung des Intelligenzquotienten in verschiedenen Berufen zeigen, dass in hochqualifizierten Berufen nur Menschen mit wenigstens durchschnittlichen IQ-Werten arbeiten, während in Berufen mit niedrigeren Qualifikationsansprüchen alle IQ-Werte vorkommen. Auch wenn diese Korrelation statistisch nachgewiesen ist, beweist das noch nicht, ob hohe Intelligenz Voraussetzung für die Ausübung qualifizierter Berufe ist oder ob Intelligenz durch die Ausübung hochqualifizierter Berufe erworben oder gesteigert wird.

 

5.    Eine Pyramide aus Faktoren

Es war von vornherein klar, dass Intelligenz keine einfache, lineare Eigenschaft ist, die man in mehr oder weniger großem Umfang besitzen kann, sondern die komplex ist und sich aus mehreren unterschiedlichen Fähigkeiten zusammensetzt. Deshalb bestehen IQ-Tests auch nicht aus einer einzigen Aufgabe, sondern aus einem  ausgewogenem Gemisch von zehn bis 14 solcher Aufgaben unterschiedlicher Art und Schwierigkeit. Aus Untersuchungen der Korrelationen, in welchem Maße Personen unterschiedlicher Intelligenz gewisse Einzeltests gleich oder unterschiedlich bewältigten, ergab sich die Schlussfolgerung, dass eine kognitive Grundfähigkeit g alle Einzeltests in unterschiedlichem Maße beeinflusst. g allein aber kann nicht gemessen werden, jedoch kann in Form eines Korrelationskoeffizienten der g-Gehalt jedes Einzeltests bestimmt werden, der beschreibt, in welchem Ausmaß die kognitive Grundfähigkeit bei der Bewältigung des Test in Anspruch genommen wird. Es zeigte sich für die verschiedenen Tests ein g-Gehalt zwischen 0,41 und 0,78. Für kulturfreie und kulturabhängige Tests ergaben sich aber ähnliche g-Gehalte. Verschiedene Versuche, die Intelligenz in unterschiedliche eigenständige Faktoren zu zerlegen und damit ohne einen g-Gehalt auszukommen, erwiesen sich als Irrtum. Im Gegenteil zeigte sich, dass alle erprobten breitgefächerten IQ-Tests einen g-Gehalt zwischen  0,83 und 0,88 haben und damit im wesentlichen diesen, d.h. eben die kognitive Grundfähigkeit messen.

Während die durch den IQ messbare rationale Intelligenz nicht weiter zerlegbar scheint, sind jedoch daneben zwei weitere ziemlich davon unabhängige Grundeigenschaften zu erkennen, die den Namen Intelligenz verdienen, die soziale Intelligenz und die emotionale Intelligenz. Die soziale Intelligenz besteht in der Fähigkeit, soziale Situationen zu erfassen, Konflikte zu lösen und andere im eigenen Sinne zu beeinflussen. Trotz Bemühungen ist es aber nicht gelungen, eindeutige Testkriterien für die Messung von sozialer Intelligenz zu finden und letztere von der rationalen Intelligenz abzugrenzen. Es scheint aber eine hohe Korrelation zwischen beiden zu geben und auch die soziale Intelligenz einen hohen g-Gehalt zu haben. Die emotionale Intelligenz hängt zwar wesentlich vom Limbischen System ab und agiert deshalb häufig ganz anders als die rationale, scheint aber dennoch schwach mit g= 0,2 mit letzterer  korreliert zu sein, entzieht sich jedoch exakter Messbarkeit und wird mit dem IQ-Test nicht erfasst.

 

6.    Das g-hirn

Die in der Hirnforschung durchgeführten Untersuchungen zeigen eindeutig, dass die intellektuelle Grundfähigkeit im wesentlichen von drei messbaren Eigenschaften des Gehirns bestimmt wird, von dem Hirnvolumen, von der Verarbeitungsgeschwindigkeit der Wahrnehmungen und Informationen und von der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses.

Zwischen dem Gehirnvolumen und dem IQ wurden Korrelationsfaktoren von 0,33 bis 0,55 gemessen. Für das Hirnvolumen ergaben Zwillingsstudien Erblichkeiten von 0,85. Zu 16% sind Intelligenzunterschiede auf ein unterschiedliches Hirnvolumen zurückzuführen.

Die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns, messbar durch Bestimmung von Reaktionszeiten, korreliert mit dem IQ zu 0,4 bis 0,5 und bestimmt damit bis zu 20% der Intelligenzunterschiede, die Verarbeitungsgeschwindigkeit ist aus Zwillingsuntersuchungen zu 52% als erblich ermittelt.

Obwohl das Arbeitsgedächtnis umfangreicher als der Kurzzeitspeicher des Gehirns ist, wird seine Kapazität im wesentlichen durch letzteren bestimmt. Die Kapazität des Kurzzeitspeichers ist aber gut messbar und liegt bei unterschiedlichen Personen zwischen 2 und 10 Informationen, die für nur 6 bis 10 Sekunden behalten werden können. Die nicht immer übereinstimmende Größe des visuellen und des auditiven Kurzzeitspeichers korreliert mit g zu 0,73 und bestimmt damit 53 % des IQ, die Geschwindigkeit, mit der der Kurzzeitspeicher auf den neuesten Stand gebracht werden kann, bestimmt etwa 16 % der Varianz von g. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Intelligenz eine Funktion des Gehirns ist und von seinen Strukturen abhängt.

 

7.    Was ist das: Erblichkeit

Eigenschaften und Verhaltensweisen des Menschen werden einerseits über die Gene von vorangegangenen Generationen übernommen und ererbt, andererseits durch eigene Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit der Umwelt im Laufe des eigenen Lebens erlernt und erworben. Mit „Erblichkeit“ wird der Anteil jeder einzelnen Eigenschaft bezeichnet, der in den Genen fixiert ist und sich im jeweiligen Phänotyp manifestiert. Maßgebend für die Vererbung ist der Anteil der Gene, der identisch ist mit Genen der jeweiligen Vorfahren. Da jeder Nachkomme grundsätzlich nur die Hälfte der Gene jeweils von Mutter und Vater erbt, sind die Gene mit diesen zu jeweils exakt 50% identisch, mit denen der Großeltern jedoch nur noch zu 25%. Geschwister haben zwar auch jeweils die Hälfte der Gene der Eltern geerbt, aber in sich verschiedene Hälften. Ihre Gene sind untereinander deshalb nur im Mittel zu 50% gleich, können aber in jeweils 2 Individuen beliebig zwischen 0% und 100% gleich sein. Zweieiige Zwillinge sind genetisch normale Geschwister, können also von 0 bis 100% gleiche Gene besitzen, haben im Mittel aber zu 50% gleiche und sind sich dementsprechend ähnlich oder unähnlich. während eineiige Zwillinge immer zu 100% die gleichen Gene besitzen. Da alle Eigenschaften ererbt oder erworben sein können, ermöglicht die Zwillingsforschung auf Grund dieser Tatsachen die Bestimmung der mittleren Erblichkeit für jede einzelne Eigenschaft, wenn genügend Zwillinge untersucht werden, so dass aussagekräftige Mittelwerte gebildet werden können. Dies geht aber nur unter der Voraussetzung, dass Zwillinge immer den gleichen passiven Umweltbedingungen ausgesetzt waren. Nur unter dieser Voraussetzung kann man annehmen, dass die festgestellte größere Ähnlichkeit  der Eigenschaften eineiiger Zwillinge gegenüber zweieiigen auf die Übereinstimmung der Gene zurückzuführen ist. Da aber auch zweieiige Zwillinge im Mittel 50% ihrer Gene gemeinsam haben, wird ihre größere Unähnlichkeit auch nur von der Hälfte ihrer Gene hervorgerufen. Ähnlichkeit wird durch den Mittelwert der Korrelation der Eigenschaften aller Zwillinge  gemessen, die Differenz der mittleren Korrelationsfaktoren zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen entspricht deshalb einer doppelt so gro0en Erblichkeit. Größere Ähnlichkeiten und Korrelationen müssen dann gleichen Umweltfaktoren zugeschrieben werden.

 

Im Jahre 1981 wurden aus den bis dahin in 34 Studien untersuchten 4672 eineiigen Zwillingspaaren und den in 41 Studien untersuchten 5546 zweieiigen Zwillingspaaren für den IQ Korrelationsfaktoren von 0,86 bzw. 0,60 ermittelt, aus der Differenz von 0,26, somit eine Erblichkeit des IQ von 0,52. Jeweils gleiche Erziehungs- und Umwelteinflüsse erhöhten dann jeweils die Korrelationen um 0,08, so dass die scheinbar höhere   Erblichkeit bei eineiigen Zwillingen von 0,78 auf nichtlineare Effekte zurückgeführt werden müsste, etwa der Art, dass angeborene Intelligenz sich um den Faktor 1,5 selbst verstärkt, indem sie intelligenzfördernde Umgebungen sucht.

Eine zweite Methode zur Schätzung der Erblichkeit beruht auf Untersuchungen von getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen. Diese sind genetisch exakt gleich. Wenn die Adoptivfamilien hinreichend unterschiedlich sind, müssen deshalb alle Ähnlichkeiten genetisch bedingt sein. Eine 20 Jahre laufende Studie der Universität Minnesota ergab für solche Zwillinge einen Korrelationsfaktor und damit auch eine Erblichkeit des IQ von 0,75 in hinreichende Übereinstimmung mit der o.a. Methode, wenn man Selbstverstärkung des IQ annimmt. Damit in Übereinstimmung stehende Ergebnisse lieferte eine Adoptionsstudie mit 300 Kindern. Die Korrelation des IQ dieser Kinder mit dem ihrer Adoptivmütter sank in 10 Jahren von 0,13 auf 0,05, während die Korrelation mit dem IQ der leiblichen Mütter von 0,04 auf 0,14 anstieg, was den relativ geringen Einfluss der Umweltbedingungen auf den IQ belegt.

 

Wenn die Intelligenz zu 75% erblich ist, so bedeutet das und nur das, dass die in einer repräsentativen  Gruppe gemessenen Intelligenzunterschiede zu 75% auf unterschiedliche Gene, genauer: auf unterschiedliche Varianten (Allele) der für die Intelligenz relevanten Gene zurückgehen. Die Bedeutung des Begriffes „Erblichkeit“ wird oft falsch verstanden und fehlinterpretiert. Eine Erblichkeit des IQ von 75% bedeutet nicht:

Der durchschnittliche Wert der Erblichkeit lässt keinerlei Rückschlüsse auf die Höhe der Intelligenz und auf die Größe und die Unterschiede des IQ in der gemessenen Gruppe zu. Er charakterisiert lediglich das Verhältnis zwischen genetischen und Umwelteinflüssen auf den IQ. Er gibt keine Auskunft darüber, welche und wie viele Gene die Intelligenz beeinflussen. Wenn eine Gruppe von Anfang an in einer völlig identischen Umwelt leben würde, wäre die Erblichkeit des IQ 100%, weil die Umwelt dann keinerlei aktiven Einfluss auf die individuellen Unterschiede des IQ haben könnte. Dennoch könnte der angeborene IQ sich unterschiedlich mit dem Lebensalter ändern, wenn das Individuum sich seine eigene Umwelt sucht.

 

8.    Das Altern der Intelligenz

Nachdem das Individuum erwachsen ist, bleibt der IQ über Jahre hinweg erstaunlich konstant. Dennoch ergeben sich über das gesamte Lebensalter hinweg deutliche Veränderungen, die einer eingehenden Untersuchung bedürfen. Zur Messung solcher Veränderungen gibt es 2 verschiedene Methoden.

Bei einer Langzeitstudie wird ein repräsentatives Sample der Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg immer und immer wieder getestet. Während der Laufzeit der Studie wird das Sample aber immer kleiner und unrepräsentativer, weil Kranke und Untüchtigere mehr und mehr ausscheiden und nur diejenigen übrig bleiben, denen das Alter weniger anhaben kann. Solche Studien unterschätzen deshalb den etwaigen altersbedingten Verfall.

Bei einer Kohortenstudie misst man gleichzeitig Samples vieler verschiedener Altersstufen. Diese Methode hat jedoch den Nachteil, dass die Menschen verschiedener Jahrgänge unterschiedliche Lebenserfahrungen haben, die ihre Intelligenzentwicklung unterschiedlich beeinflusst haben könnte. Dies könnte nicht nur die Erblichkeit des IQ beeinflussen, sondern beeinflusst tatsächlich auch den IQ selbst: Jede Generation zeigt auf grund der veränderten Umweltbedingungen einen um 7 Punkte höheren IQ, wenn der IQ-Test unverändert bleibt. Um das zu korrigieren, wird der aktuell zu verwendende IQ-Test ständig nachjustiert, damit der Durchschnitt bei 100 verbleibt. Kohortenstudien tendieren deshalb dazu, den Abstand der Älteren zu den Jüngeren zu übertreiben.

Um die Nachteile beider Methoden abzuschwächen, wurde von 1956 bis 1991 eine Gruppe von 5000 Erwachsenen alle sieben Jahre wieder aufgefüllt und erneut getestet. Ergebnis war, dass die abstrakte Intelligenz mit 60 Jahren beginnt, merklich abzunehmen, was sich nach dem 74. Lebensjahr beschleunigt, wobei es aber große individuelle Unterschiede gab.

Weiterhin altern die verschiedenen Intelligenzkomponenten sehr unterschiedlich. Die Wahrnehmungs- und Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns beginnt schon im 25.Lebensjahr zu sinken, der Niedergang beschleunigt sich ab 74. Lebensjahr und erreicht im 80.Lebensjahr 2 Standartabweichungen. Während die Rechenfähigkeit erst ab 40. Jahr absinkt, steigen logische Denkfähigkeit, Raumorientierung, Sprachgedächtnis und Ausdrucksfähigkeit bis Anfang 40 sogar an und sinken erst ab 60 langsamer als Rechenfähigkeit und Wahrnehmungsgeschwindigkeit ab. Bis zum 88.Lebensjahr sinkt die Ausdrucksfähigkeit auf das Niveau, das sie im 25.Jahr hatte, die logische Denkfähigkeit und das Sprachgedächtnis um mehr als eine halbe und die Raumorientierung um fast eine ganze Standartabweichung ab, die Rechenfähigkeit und die Wahrnehmungsgeschwindigkeit aber über anderthalb Standartabweichungen.

Von Anstieg und Abfall der Intelligenz zu unterscheiden ist aber die Veränderung der Erblichkeit der intellektuellen Grundfähigkeit g : Vom Kleinkind bis zum Erwachsenenalter steigt ihre Erblichkeit von 0,26 auf 0,87 und der Einfluss der Familienumwelt sinkt auf nahezu Null. Davon ist etwas verschieden die Erblichkeit des IQ mit 0,7 bis 0,75.

Im frühen Kindesalter ist die Lernfähigkeit des Gehirns groß und dementsprechend groß ist der Einfluss der Umwelt auf den IQ. Bis zum Ende der Pubertät aber nimmt ihr Einfluss ab und der Einfluss der Gene zu, weil sich der Zustand des Gehirns unter ihrer Regie fixiert. Der Mensch löst sich vom Einfluss der Familienumwelt und sucht sich von seinem ererbten Gehirn selbstbestimmt die Umwelt, in der er leben möchte und damit steigt die Erblichkeit des IQ weiter an.

 

9.    Der verbleibende Spielraum

Zahlreiche Studien wurden durchgeführt, um den Einfluss verschiedener Umweltfaktoren auf die Entwicklung des IQ zu ermitteln. Ihre Ergebnisse sind sehr widersprüchlich und unübersichtlich. Immer wieder wurde aber festgestellt, dass Erblichkeit ein bedeutender Faktor bleibt, der durch verschiedenste Umwelteinwirkungen nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Am Ende bleibt eine Feststellung, die auch bereits Thilo Sarrazin getroffen hat: „Die beste Schule macht ein dummes Kind nicht klug, und die schlechteste Schule macht ein kluges Kind nicht dumm. Eine gute Schule kann aber entscheidend dazu beitragen, das vorhandene Maß an Intelligenz in vollem Umfang einzubringen und in tatsächliche kognitive Leistung umzusetzen.“ Adoptionsstudien ergaben, das zunächst von der Umwelt (Schichtzugehörigkeit und Lebensbedingungen) stark benachteiligte Kinder ihren IQ unter besseren Bedingungen um bis zu 10 bis 15 Punkte erhöhen konnten, während er im umgekehrten Fall um ebensoviel sank, erblich bedingte Unterschiede wurden dadurch aber nicht ausgeglichen.

 

10.                   Deine Umwelt, unsere Umwelt

Differenzierte Zwillings- und Adoptionsstudien brachten zutage, das die Varianz des Intelligenzquotienten aus drei Komponenten besteht, die sich unterschiedlich mit dem Lebensalter verändern. Die erbliche Komponente wird von den Genen bestimmt. Dieser Anteil steigt in den ersten 6 – 12 Lebensjahren von 40 auf 55% an, bleibt bis zum 18.Lebensjahr etwa konstant und steigt in den folgenden 6 Jahren stark bis auf 85% an. Die bei Geschwistern gleiche Familienumwelt verursacht zunächst einen Varianzanteil von 30 % , der ab einem Alter von 12 bis 16 Jahren zunächst leicht und ab 18 Jahren steil bis auf Null absinkt. Ein dritter Anteil wird von der auch bei Geschwistern unterschiedlichen Individualumwelt bestimmt und fällt von anfangs 20 % allmählich auf etwa 15 % ab. 5-10 % lassen Messfehler offen. Auch aus diesen Untersuchungen geht hervor, das der Intelligenzquotient des ausgereiften Erwachsenen im wesentlichen von den ererbten Genen und in geringem Maße von der selbstgewählten Umwelt, aber nicht mehr von äußeren Umweltbedingungen bestimmt wird. Die Frage, inwieweit Umweltverhältnisse, in denen ein Kind aufwächst, seine späteren Schul- und Berufserfolge tatsächlich beeinflussen, bleibt indessen immer noch ungewiss.

 

11.                   Der Flynn-Effekt

In allen Industrieländern wurde festgestellt, dass in den Jahre von 1890 bis 1990 der durchschnittliche IQ, gemessen an gleichbleibenden und gleich bewerteten Testaufgaben, zwar von Land zu Land unterschiedlich, aber überall und im Durchschnitt alle 3 Jahre um einen Punkt zugenommen hat. Alle vermuteten Gründe für diese Erscheinung konnten jedoch nicht für eine plausible Erklärung dingfest gemacht werden. Am wahrscheinlichsten ist eine Erklärung, die davon ausgeht, dass die Verbesserung der Lebenslage der untersten sozialen Schichten eine feststellbare geringe Verminderung der relativen Anzahl niedriger IQ-s hervorgerufen hat, die möglicherweise mit einer geringen Zunahme des Gehirngewichtes zusammenhängt.

Bessere physische Lebensbedingungen, ausgewogenere Ernährung, bessere Gesundheitsfürsorge, die Beseitigung von Kinderarbeit und ein Leben in einer weniger stumpfsinnigen, intellektuell anspruchsvolleren Umgebung hätten dann zu einer volleren Ausschöpfung der genetischen Potentiale geführt und eine Steigerung einiger spezieller kognitiver Leistungen bewirkt.

 

12.                   Heikel, heikler, am heikelsten

In diesem Kapitel wirft der Autor die naheliegende Frage auf, ob denn verschiedene gemessene Intelligenzunterschiede zwischen Angehörigen verschiedener Rassen grundsätzlich auf genetische Unterschiede zwischen den Rassen zurückgeführt werden können, enthält sich aber konsequent jeder persönlichen Stellungnahme zu diesem Problem. Er lässt ausschließlich Wissenschaftler zu Wort kommen, die diametral entgegengesetzte Ansichten dazu äußern, die z.T. wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ihre Untersuchungsergebnisse genetisch bedingte Intelligenzunterschiede zwischen den Rassen beweisen, aber auch solche, die die wissenschaftliche Solidität solcher Beweise begründet anzweifeln. Alles in allem scheint es tatsächlich keinerlei Studien zu geben, die einen solchen Zusammenhang wissenschaftlich zweifelsfrei belegen oder widerlegen können, einfach deshalb, weil diejenigen, die ihn beweisen wollten, es für unsinnig und schädlich halten, es zu tun. Unzweifelhaft ist aber, dass es in jeder Rasse Individuen gibt, die intelligenter sind als der Durchschnitt jeder anderen Rasse, so wie es auch in jeder Rasse Individuen gibt, die weniger intelligent als der Durchschnitt jeder anderen Rasse sind. Diese Feststellung ist die einzig relevante, die zählt.

 

13.                   Länder-IQ’s und PISA

Für 185 Staaten liegen Durchschnittswerte der IQ ihrer Bevölkerung von unterschiedlicher, meist zweifelhafter Relevanz vor. Diese aber korrelieren mit dem Pro-Kopf-Einkommen zwischen 0.54 im Jahr 1820 und 0,72 in den Jahren 1997/98. Ob sich aber das Pro-Kopf-Einkommen aus dem IQ erklärt oder ob es die Armut ist, die den IQ nach unten drückt, ist damit noch nicht bewiesen. Möglicherweise können arme Länder das Begabungspotential ihrer Bevölkerung nicht ausschöpfen und ihr Bildungsniveau so anheben, dass sie ihrer Armut allmählich entrinnen könnten. Irgendein Zusammenhang muss aber vorhanden sein. Auch wenn die Länder- IQ-Messungen zweifelhaft sind, spiegeln sie doch etwas Reales wider: Aus den PISA- Studien wurden für 86 Länder Bildungskoeffizienten berechnet, die mit einen Koeffizienten von 0,917 mit deren IQ korrelieren. Das zeigt, dass Intelligenz- und Schulleistungstests fast das gleiche Konstrukt messen.

Anhand von PISA- Ergebnissen zeigt der Autor, dass Sarrazins Unterstellung, der muslimisch-kulturelle Traditionshintergrund beeinträchtige den Schulerfolg türkischer und arabischer Einwandererkinder, weder bestätigt noch widerlegt werden kann.

Desgleichen kann auch weder bestätigt noch widerlegt werden, ob der faktische Leistungsrückstand turkstämmiger Schüler genetisch mitbedingt ist. Dass die Forderungen nach Zuzugserleichterungen für qualifizierte Fachkräfte auch der genetischen Mitbedingtheit von Intelligenz Rechnung tragen, ist im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf der Staaten sicher aber nicht abweisbar.

 

14.                   Immer höher hinaus

Wie bei der Intelligenz ist auch bei der Körpergröße im letzten Jahrhundert in den Industriestaaten eine deutliche Zunahme festzustellen. Umfangreiche Studien untersuchten auch hier den Einfluss von Erblichkeit und Lebensverhältnissen, ohne dass hierbei klare Zuordnungen herausgefunden werden konnten. Eines zeigte sich aber deutlich: Körpergröße und Intelligenz korrelieren mit einem Faktor 0,23, der zwar klein, aber deutlich von Null verschieden ist, und beide haben eine hohe Erblichkeit.

 

15.                   Fazit

Das Gebot nach Gleichheit vor dem Gesetz darf nicht mit Gleichheit der Eigenschaften und Begabungen der Menschen verwechselt werden. Ihre Intelligenz jedenfalls ist unterschiedlich und die Unterschiede der in  IQ-Tests gemessenen Intelligenz gehen bei Erwachsenen zu 60 bis 75% und bei Kindern zu 40 % auf unterschiedliche Gene zurück. Die Intelligenz ist normalverteilt, es gibt eben so viele unter- wie überdurchschnittlich Intelligente, und zwei Drittel aller Menschen sind mittelintelligent. Das ist nicht ungerecht und lässt sich nicht verändern. Viel ungerechter ist die Einkommensverteilung, die unsymmetrisch ist: Der Gipfel liegt weit unten, zwei Drittel der Bevölkerung liegen noch darunter und nur ein Drittel liegt über dem Durchschnitt.

Was die Gene vorbestimmen, ist kein fester IQ-Wert, sondern ein Potential, aus dem mit den verschiedensten Umweltgegebenheiten ein messbarer IQ wird. Minderintelligenz ist kein Grund für Geringschätzung, der Betroffene kann nichts dafür. Aufgabe des Schulsystems kann es nicht sein, die Intelligenzunterschiede zu nivellieren oder aufzuheben, sondern die vorgegebenen ererbten Potentiale jedes Menschen optimal zu entwickeln, wobei es maximal möglich ist, angeborene Intelligenz um 20 IQ-Punkte, das entspricht 20% des Durchschnittswertes, zu erhöhen. Die Feststellung und Anerkennung dieser Ungleichheit ist nicht ungerecht, ungerecht ist vielmehr, wenn diese Unterschiede falsch eingeschätzt und bewertet werden.

Nicht gerechtfertigt ist meines Erachtens aber, aus der Erblichkeit von Intelligenz die Sinnhaltigkeit der Forderung nach einer Einheitsschule in Frage zu stellen, wie dies der Autor zum Teil nahe legt. Zu bedenken ist zweifellos, dass bei gleichen Lernbedingungen in der Schule die genetischen Vorbedingungen der Intelligenz stärker hervortreten werden, als wenn durch frühzeitige Trennung der intelligenteren von den weniger intelligenten Schülern unterschiedliche Lernumwelten geschaffen werden, die zwar zu einer optimalen Förderung der Lernergebnisse führen können, aber gleichzeitig auch die Differenzen der Intelligenzniveaus verstärken. Im realen Leben müssen stets mehr oder weniger Intelligente miteinander auskommen und sollten auch dies so früh wie möglich lernen. Auch die Einheitsschule macht aus unterschiedlich intelligenten Schülern nicht gleichintelligente. Diese Wahrheit sollte man nicht unter den Teppich kehren.

 

Komplikationsbedingte Unsicherheiten

In diesem Abschnitt werden verschiedene Einwände untersucht, welche die Relevanz der Methoden zur Bestimmung der Intelligenzquotienten und damit auch die ermittelten Erblichkeiten in Frage stellen könnten. Verschiedene diesbezüglich spezielle Studien konnten jedoch die Relevanz der üblichen Methoden nicht in Frage stellen. Wenn man z.B. berücksichtigt, dass durch selektive Partnerwahl der IQ von Mutter und Vater meist positiv korreliert, so ist zwar der IQ zweieiiger Zwillinge  höher korreliert als bei nichtselektiver Partnerwahl, dies führt im Endergebnis bei Zwillingsstudien aber zu einer Unterschätzung der Erblichkeit des IQ. Verschiedene Effekte zweiter Ordnung können zwar die Ähnlichkeit zweieiiger Zwillinge verringern, aber sind nicht so groß, dass daraus völlig andere Erblichkeiten resultieren könnten. Feststellbar sind aber Wechselwirkungen  zwischen genetischen und Umwelteinflüssen auf den IQ, durch welche die Erblichkeit scheinbar verstärkt wird. Solche Effekte können zwar den Zahlenwert der Erblichkeit unsicher machen, aber nicht die hohe Erblichkeit ganz in Fragestellen.

 

Erläuterung von Begriffen

Der Korrelationskoeffizient r beschreibt quantitativ die Ähnlichkeit der Messreihen zweier Eigenschaften, die ansonsten nichts weiter miteinander zu tun zu haben brauchen. R liegt zwischen 1 und –1, bei r=0 sind die Messreihen völlig unabhängig voneinander.

Genetische Korrelation ist etwas völlig anderes und beschreibt den Verwandtschaftsgrad miteinander verwandter Personen und bedeutet den Anteil der Gene, die bei beiden identisch sein müssen oder durchschnittlich sind.

Korrelationen sind keine Kausalitäten, sie können, aber müssen nicht zufällig sein  und beschreiben nicht ursächliche Zusammenhänge.

Die Varianz eines Messwertes ist das gemittelte Quadrat der Abweichungen der einzelnen Messwerte einer Größe von ihrem Mittelwert.

Die Standardabweichung ist die Quadratwurzel aus der Varianz und hat die gleiche Dimension wie der Mittelwert der Messgröße, beschreibt also die quadratisch gemittelte Abweichung der Einzelmesswerte von ihren Mittelwert.

Eine Normalverteilung von Messwerten liegt immer dann vor, wenn ein Messwert von sehr vielen Einzelfaktoren beeinflusst wird und deshalb um einen mittelwert streut. (Gauß’sche Glockenkurve). Die Schwierigkeit der Einzeltests ist so ausgewählt, dass die Messwerte des IQ annähernd normalverteilt sind. Die Bewertung ist so normiert, dass sich

Die Normalverteilung ist dann so beschaffen, dass

 

Erblichkeit ist der Prozentsatz der gesamten Varianz einer Messgröße, der auf genetische Ursachen zurückzuführen ist. Die Standardabweichung des IQ von 15 Punkten ist gleichbedeutend mit einer Varianz von 225, davon entfallen bei einer Erblichkeit von 0,7 bis 0,75  also ca160 bis170 auf Vererbung und 55 bis 65 auf Umwelteinflüsse, die damit den IQ im Mittel um etwa + 8 Punkte verschieben.

 30.4.12
Bertram Köhler