Der große Entwurf

nach dem Buch von Stephen Hawking und Leonard Mlodinow

 

1.    Das Geheimnis des Seins

Vorstellungen über die Funktionalität des Universums entwickelten die Menschen bereits in der Frühzeit in Form von Mythologien. Aber erst seit dem !7. Jahrhundert gibt es eine naturwissenschaftliche Forschung auf der Grundlage experimenteller Beobachtungen. Dabei versuchen wir die reale Welt immer besser durch theoretische Modelle zu beschreiben, die jedoch oft nur einzelne Seiten der Realität richtig wiederspiegeln und miteinander unverträglich sind. Wie zuverlässig ist unser Wissen über die objektive Realität?

 

2.    Die Herrschaft des Gesetzes

Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften entstand die Überzeugung, dass das Geschehen im Universum von allgemeingültigen Naturgesetzen bestimmt wird, die immer und überall ohne Ausnahme gelten und die nicht von irgendwelchen Göttern geschaffen, verändert oder außer Kraft gesetzt werden können. Wo letzteres der Fall zu sein scheint, haben wir die zu Grunde liegenden Gesetzmäßigkeiten noch nicht richtig erkannt oder sind nicht in der Lage, die vielfältigen komplexen Zusammenhänge rechnerisch nachzuvollziehen. Wir behelfen uns in solchen Fällen mit der Formulierung effektiver Gesetze und Theorien, die komplexe Zusammenhänge modellieren und die nur die gerade betrachteten wesentlichen Erscheinungen in der realen Welt richtig beschreiben.

 

3.    Was ist Wirklichkeit?

Die klassische Naturwissenschaft beruht auf der Vorstellung, dass es eine reale Außenwelt gibt, deren Eigenschaften eindeutig vom wahrnehmenden Beobachter unabhängig sind. Diese Überzeugung wird in der Philosophie als Realismus bezeichnet. Unsere Vorstellungen von dieser Realität sind aber stets modellabhängig. Nicht ganz exakt formuliert das Hawking so: “Es gibt keinen abbild- oder theorie-unabhängigen Realitätsbegriff“. Gemeint dürfte damit aber wohl sein: Unser Realitätsbegriff ist nicht abbild- oder theorie-unabhängig. Hawking nennt das dann modellabhängigen Realismus. Unser Wissen von der wirklichen Welt hängt von dem angewendeten Modell ab und dieses Modell ist mehr oder weniger gut und wird von den Wissenschaften laufend verbessert.

Ein Modell ist gut, wenn es

 

Es scheint so, als könne kein einzelnes Modell, keine einzelne Theorie alle Aspekte des Universums beschreiben.

 

4.    Alternative Geschichten

In atomaren Größenordnungen und für Elementarteichen gelten die Gesetze der Quantenphysik. Das  bedeutet, dass sich Teilchen auch als Wellen verhalten und ausbreiten können. Wie auch bei mechanischen Wellen kann die Wellenausbreitung auch als eine Überlagerung von Kugelwellen, die von jedem Ort der Welle neu ausgehen, beschrieben werden. Die quantenmechanische Welle beschreibt eine Wahrscheinlichkeitsamplitude für das Auftreten eines Teilchens am jeweiligen Ort, deren Amplitude bestimmt ist durch die Überlagerung der Kugelwellen mit ihrer jeweiligen Phase. In der Feynmanschen Darstellung der Quantentheorie wird diese Überlagerung als Vektor-Summe aller Phasen der Wellen beschrieben, die auf allen möglichen Pfaden vom Ausgangspunkt zum jeweils betrachteten Punkt gelangen könnten. Da die Wahrscheinlichkeit des Auftretens des Teilchens durch die Wellenamplituden bestimmt wird, beeinflussen alle möglichen Pfade, die diese Welle in der Vergangenheit durchlaufen hat, die Auftrittswahrscheinlichkeit des Teilchens am jeweils betrachteten Endpunkt. Vom Endpunkt, der Gegenwart, aus gesehen, kann ein dort vorhandenes Teilchen in der Vergangenheit also an allen den Orten gewesen sein, die diese Welle durchlaufen hat. Dies erklärt u.a. die Interferenzmuster hinter einem Doppelspalt. Die konkrete Beschreibung eines Doppelspaltexperimentes mit verzögerter Wahl (des „Teilchenweges“) muss man jedoch mit der Skepsis betrachten, die immer angebracht ist, wenn ein Theoretiker ein (Gedanken-) Experiment beschreibt.

 

5.    Die Theorie von Allem

In diesem Kapitel werden die Widersprüche aller derzeit gültigen und gängigen physikalischen Theorien und deren Konsequenzen aufgezeigt.

Die grundlegenden Gesetze der Quantenphysik beschreiben den unauflösbaren Widerspruch des Teilchen-Welle-Dualismus, der allen Elementarteilchen gleichzeitig Teilchen- und Wellen-Eigenschaften zuweist, was die Heisenbergsche Unschärferelation zur Folge hat. Die zwischen den Elementarteilchen wirkenden Kräfte setzen Kraftfelder voraus, die auf Grund der universellen Gesetze der Quantenphysik ebenfalls gequantelt sind. Deshalb werden Kraftfelder in der Quantenfeldtheorie mit Hilfe von Kraftteilchen (Bosonen) beschrieben.

Es existieren 4 Klassen von Naturkräften

 

Die Quantenelektrodynamik beschreibt die Wechselwirkung geladener Teilchen mit Photonen. 1967 gelang die Vereinigung der elektromagnetischen Kräfte mit der schwachen Kernkraft zur elektroschwachen Kraft in einer einheitlichen Theorie, was zur Entdeckung von drei neuen Elementarteilchen W+, W- und Z° führte. Die starke Kernkraft wird mit Hilfe der Quantenchromodynamik beschrieben, die mit Baryonen und Mesonen operiert. Eine Vereinigung mit der elektroschwachen Theorie zur einer Großen Vereinigten Theorie verlangte eine Zerfallsrate von Protonen, die durch Beobachtungsdaten nicht gestützt werden konnte. Deshalb wird heute das sog. Standardmodell der Elementarteilchenphysik mit  nicht vereinheitlichten Kräften als erfolgreichste Theorie betrachtet, obwohl es die Gravitation nicht einbezieht.

Eine Quantentheorie der Gravitation konnte nicht einbezogen werden, weil Quantenfluktuationen des Vakuums Schwierigkeiten mit sich bringen: Wegen der Heisenbergschen Unschärferelation gibt es kein Vakuum, denn alle Felder können nicht gleichzeitig selbst und mit ihrer Änderungsrate gleich Null sein. Dies hätte eine unendliche Anzahl virtueller Teilchen zur Folge, welche die Krümmung der Raumzeit unendlich werden ließe. Eine mögliche Lösung wäre eine „Supergravitationstheorie“, bei der postuliert wird, dass jedes Materieteilchen ein Kraftteilchen als Partner hat, wodurch die Unendlichkeiten aufgehoben würden. Die erforderlichen Partnerteilchen müssten dann aber sehr große Massen besitzen und konnten experimentell bisher nicht nachgewiesen werden.

Unendlichkeiten ließen sich auch vermeiden, wenn Elementarteilchen nicht als punktförmig, sonder sondern als lineare Schwingungsmuster betrachtet würden. Dann hätte die Raumzeit aber nicht 4, sondern 10 Dimensionen, von denen 6 zu kompakten Unterräumen aufgewickelt wären. Die verschiedenen möglichen Arten der Aufwicklung der Extradimensionen definieren mindestens 5 verschiedene Stringtheorien, die neuerdings als verschiedene Näherungen einer 11-dimensionalen M-Theorie betrachtet werden. Außerdem stellte sich heraus, dass auch die Supergravitationstheorie als eine mögliche Näherung der M-Theorie betrachtet werden kann. Die genaue Art und Weise des Aufwickelns der Extradimensionen bestimmt dann die Werte der physikalischen universellen Konstanten, die Ladung des Elektrons und die Art der Wechselwirkungen zwischen den Elementarteilchen. Man schätzt, dass es bis zu 10^500 verschiedene Möglichkeiten der Aufwicklung und deshalb auch ebenso viele verschiedene Universen mit jeweils ihren eigenen Naturgesetzen geben könnte. In einem von diesen möglichen Universen leben wir.

 

6.    Unser Universum wählen

Kosmische Beobachtungsdaten weisen darauf hin, dass unser Universum expandiert und vor 13,7 Milliarden Jahren aus einem sehr kleinen Gebiet sehr hoher Dichte hervorgegangen ist. Eine solche Expansion ist mit einer kugelsymmetrischen Lösung der Einsteinschen Gravitationsgleichungen beschreibbar. Da zur Zeit Null dieser Lösung der relativistischen Gravitationstheorie aber sowohl die Massen- und Energiedichte wie auch die Krümmung der Raumzeit unendlich gewesen sein müssten, kann diese Gravitationstheorie auf den Zeitpunkt Null nicht angewendet werden. Außerdem müssten bei so kleinen Dimensionen Quanteneffekte unbedingt berücksichtigt werden. Auch wenn es noch keine geschlossene Quantengravitationstheorie gibt, so muss in der Nähe des Urknalls dennoch unser Wissen von der Allgemeinen Relativitätstheorie mit dem der Quantentheorie verbunden werden. Eine der Schlussfolgerungen ist die Hypothese einer Inflationsphase, in der sich das Universum nach dem Quantenereignis des Urknalls innerhalb von  10^(-30) s mit Überlichtgeschwindigkeit um einen Faktor 10^30 ausdehnt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass bei extrem starker Krümmung der Raumzeit Zeit und Raum nicht mehr unterscheidbar sind und sich die Zeit wie eine zusätzliche Raumdimension verhält. Das hat zur Folge, das die Zeit wie die gekrümmte Oberfläche einer Kugel keinen Rand und damit auch keinen Anfang hat. Unter Quantenbedingungen bildet sich das Universum spontan und entwickelt sich in der Inflationsphase als Wahrscheinlichkeitswelle in alle von der M-Theorie prognostizierten Richtungen, d.h. es bilden sich alle möglichen Universen mit ihren unterschiedlichen Naturkonstanten und Naturgesetzen, von denen einige instabil sind und schnell wieder verschwinden, während andere sich ausdehnen und entwickeln. Wenn wir uns für „unser“ Universum interessieren,  müssen wir entsprechend der Feynmanschen Darstellung der Quantentheorie die Wahrscheinlichkeitsamplituden aller möglichen Entwicklungspfade addieren, die zur Gegenwart unseres Universums beitragen, während die übrigen möglichen Pfade uns nicht interessieren. Das Universum entwickelt sich also nicht zwangsläufig in einer kausalen Ursache – Wirkungskette nur zu dem Universum, in dem wir leben, sondern wir beobachten nur die Entwicklung desjenigen Universums, in dem wir leben, die anderen Möglichkeiten können wir gar nicht beobachten und deshalb interessieren sie uns nicht.

 

7.    Das scheinbare Wunder

 

Zahlreiche Naturkonstanten und Naturgesetze sind so aufeinander abgestimmt, dass im Universum die Bedingungen für die Entwicklung des Lebens entstehen konnten. Dies kann entweder auf den „Intelligent Design“ eines Gottes zurückgeführt werden, oder eben darauf, dass die M-Theorie eine Vielzahl von Entwicklungsmöglichkeiten zulässt und der Mensch davon nur das Universum sehen kann, in dem er lebt. Die Suche nach einer „Theorie für Alles“, aus der sich logisch die Zahlenwerte aller Naturkonstanten unseres Universums ableiten lassen sollen, scheint aufgegeben worden zu sein.

 

8.    Der große Entwurf

Das Verhalten des Universums wird bestimmt durch einen vollständigen Satz von Naturgesetzen. Die von uns erkannten  Naturgesetze modellieren in unserem Gehirn ein Abbild der Wirklichkeit, an dem wir uns orientieren und das für uns die reale Welt darstellt. Ein gut konstruiertes Modell schafft eine eigene Realität. Dass auch ein ganz einfacher Satz von Regeln eine funktionierende Welt bilden kann, zeigt das „Spiel des Lebens“ von John Conway. In dieser Welt aus einer schachbrettartigen Anordnung von Quadraten, von denen jedes einzelne entweder tot oder lebendig ist, gibt es nur drei Regeln:

·       Ein lebendes Quadrat mit zwei oder drei lebenden Nachbarn lebt auch im nächsten Zeitschritt

·       Ein totes Quadrat mit genau drei lebenden Nachbarn wird im nächsten Zeitschritt lebendig

·       In allen anderen Fällen ist ein Quadrat im nächsten Zeitschritt tot.

Je nach dem gesetzten Anfangszustand verhalten sich kompliziertere Muster von Quadraten ganz unterschiedlich:

 

Das Beispiel  von Conways Spiel des Lebens zeigt, dass selbst ein einfacher Satz von Gesetzen ähnlich komplexe Eigenschaften hervorrufen kann, wie sie intelligentes Leben aufweist, und dass es zu einer Art Evolution kommen kann. Es muss viele Sätze von Gesetzen mit solchen Eigenschaften geben, die jeweils ein Universum definieren.

Wer wählt im Universum die fundamentalen Gesetze aus und wer setzt die Anfangsbedingungen?

In einem realen Universum sind isolierte Materiekörper die Pendants von Objekten wie Gleitern. Jeder Satz Gesetze, der eine stabile, kontinuierliche Welt beschreibt, besitzt einen Energiebegriff. Dabei ist die Energie eine Erhaltungsgröße, deren Wert sich mit der Zeit nicht ändert. Die Naturgesetze des Universums müssen so beschaffen sein, dass ein isolierter Körper einen positiven Energieinhalt haben muss. Wäre er negativ, so könnte an jedem Ort und jederzeit ein Körper aus dem Nichts in einem Zustand der Bewegung entstehen, dessen negative Energie durch die positive Bewegungsenergie aufgewogen wird. Nur wenn es Energie kostet, einen isolierten Körper zu erschaffen, ist das Universum lokal stabil.

Wie kann dann aber ein ganzes Universum aus dem Nichts entstehen? Hier liegt der Grund, warum es eine Naturkraft wie die Gravitation geben muss. Die Gravitationsenergie ist negativ. Ein Körper wie ein Stern mit bestimmter Masse  besitzt um so mehr negative Gravitationsenergie, je kleiner er ist, aber seine Gesamtenergie bleibt immer positiv, auch wenn er zu einem Schwarzen Loch zusammenstürzt. Dafür sorgt die sehr kleine Gravitationskonstante.

Während aber die in der Materie gebundene Energie linear mit der Masse eines Körpers zunimmt, wächst dessen Gravitationsenergie quadratisch mit der Masse an. Bei der sehr großen Masse eines ganzen Universums wird eine Grenze erreicht, ab der die negative Gravitationsenergie die in der Masse gebundene Energie überschreitet. Je größer die Masse, um so mehr wird die überschüssige negative Gravitationsenergie durch Bewegungsenergie der Masse kompensiert. Nur wenn es ein Gravitationsgesetz gibt, können ganze Universen mit sehrgroßer Masse in sehr kleinen Räumen mit sehr großer Bewegungsenergie (Temperatur) aus dem Nichts entstehen (Urknall!).

Die M-Theorie ist die allgemeinste  supersymmetrische Gravitationstheorie und zudem prinzipiell in der Lage, die Unendlichkeiten bei den Naturkonstanten der Teilchentheorien mit nur punktförmigen Teilchen zu vermeiden. Sie gestattet zwar nicht die logische Ableitung der Werte der Naturkonstanten unseres Universums, wie man das von einer „Theorie für Alles“ ursprünglich erwartete, könnte dafür  aber ein Modell zur Erklärung der Entstehung einer Vielzahl von Universen mit den unterschiedlichsten Werten der Naturkonstanten aus dem Nichts sein – und wäre damit eine „Theorie für Alles“ einer anderen Art.