Triumph des Bewusstseins

Die Evolution des menschlichen Geistes

Nach dem gleichnamigen Buch von Merlin Donald

 

Prolog

Die neurologische Hirnforschung sucht die Funktionsweise des Gehirns aus seinem biologischen Aufbau herzuleiten und zu verstehen. Diese Sichtweise ist zu einseitig und vernachlässigt die Tatsache, dass die Evolution des menschlichen Gehirns das Ergebnis des Zusammenwirkens von biologischer und kultureller Evolution war. Die charakteristischen Eigenschaften des menschlichen Bewusstseins sind deshalb nur zu verstehen, wenn man das Individuum als unlösbaren Teil der Gesellschaft betrachtet. Die Funktionen des Bewusstsein haben sich genau so entwickelt, dass der Mensch der von ihm entwickelten Kultur angepasst ist. Die biologische Struktur des Gehirns ist deshalb eine Folge der biologischen und kulturellen Entwicklung des Menschen.

 

1.        Das Paradox des Bewusstseins

Zahlreiche unter Laborbedingungen durchgeführte experimentelle Untersuchungen weisen eindeutig nach, dass die spezifischen Module des Gehirns unbewusst arbeiten und Sinneswahrnehmungen aufbereitet, koordiniert und weitergeleitet werden, bevor uns diese bewusst werden. Wenn man daraus aber die Schlussfolgerung zieht, wie dies manche Hirnforscher tun, dass alle Aktivitäten des Menschen unbewusst gesteuert werden, das Bewusstsein uns aber nur vorspiegelt, diese bewusst ausgelöst und beeinflusst zu haben, so schränkt man  die Funktionen des Bewusstsein auf die Wahrnehmungsfunktion ein, die auch vielen Tieren innewohnt und ignoriert gerade den Teil der Funktionen des Bewusstseins, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Die bewusste Wahrnehmungsfunktion ist aufmerksamkeitsgesteuert und maximal in der Lage, uns gleichzeitig 5 bis 7 Wahrnehmungen über 15 Sekunden im Kurzzeitgedächtnis zu halten. Danach müssen diese neuen Wahrnehmungen Platz machen.

 

2.        Das Leitsystem des mentalen Lebens

Der Zeitrahmen des Bewusstsein umfasst einen viel größeren Zeitraum als das Kurzzeitgedächtnis der Wahrnehmungsfunktion vermuten lässt. Auf einer mittleren Zeitebene von Minuten bis Stunden sind wir in der Lage, uns zum Beispiel in einer Gruppendiskussion sehr komplexe Zusammenhänge zur Meinung und Stimmung mehrerer Diskussionspartner parallel im Arbeitsgedächtnis abrufbereit zuhalten, kurzfristig bewusst zu machen und darauf zu reagieren. In derartigen Situationen handeln wir durchaus bewusst. Auch wenn viele unbewusst verlaufende Teilprozesse parallel laufen, werden doch die wesentlichen Gesprächsfäden vom Bewusstsein geführt und gesteuert. Hier zeigt sich, dass das Bewusstsein nicht nur passiv Wahrnehmungen und unbewusste Reaktionen darauf widerspiegelt, sondern eine darüber weit hinausgehende aktive Steuerungsfunktion hat. Das hierzu aktivierte Arbeitsgedächtnis ist einerseits vom Kurzzeitgedächtnis mit seiner sehr begrenzten Kapazität zu unterscheiden, andererseits aber auch vom Langzeitgedächtnis, in das nur ein sehr geringer Teil der im Arbeitsgedächtnis präsenten Informationen letztlich übernommen wird und aus dem heraus es viel schwieriger ist, eingespeicherte Erinnerungen wieder abzurufen. Auch sind viele der routinierten und unbewussten Wahrnehmungsprozesse und Handlungsabläufe nicht angeboren, sondern müssen unter Aufsicht des Bewusstsein aktiv aufgebaut, gelernt und instandgehalten werden. Das aktive Bewusstsein operiert im Zeitraum von Minuten und Stunden und spielt eine wesentliche Rolle beim Aufbau des Selbstbildes und eines zutreffenden Weltbildes, bei der langfristigen Planung und Steuerung unserer Handlungen und insbesondere unserer Interaktionen im gesellschaftlichen Umfeld, die stark von davon abhängen, inwieweit wir Verständnis für die Sichtweise und das Innenleben der uns umgebenden anderen Individuen haben. Dass dabei das Großhirn eine zentrale Rolle spielt, geht eindeutig aus dem Verhalten von Menschen hervor, bei denen dieser Teil des Gehirns beschädigt ist. Dies entspricht dem Befund, dass es gerade dieser Teil des Gehirn ist, in dem sich der Mensch am stärksten von den Tieren unterscheidet. Trotz erheblicher Fortschritte auf dem Gebiet der Hirnforschung ist diese aber noch weit davon entfernt, eine einheitliche Theorie des Bewusstseins entwickeln zu können.

 

3.        Der Bewusstseinsclub

 

Der Vergleich des grundsätzlichen anatomischen Aufbaus der Nervensysteme vieler Tiere lässt keinerlei Zweifel zu, dass auch das Gehirn ein Produkt der biologischen Evolution ist. Die mikroskopische Struktur und die Funktionalität der Nervenzellen sind die gleichen und die  makroskopischen Strukturen zeigen deutlich, wie sie im Laufe der Evolution der Tierarten auseinander hervorgegangen sind. Genetisch festgelegt sind aber nur die Funktionsprinzipien und der grundsätzliche Aufbau des Gehirns, während die innere Verschaltung der einzelnen Nervenzellen außerordentlich flexibel ist und entsprechend der gesamten Lebenserfahrung der einzelnen Individuen unterschiedlich im Laufe ihrer ontogenetischen Entwicklung erfolgt. Dies gilt insbesondere auch für die Großhirnrinde, in der die Funktionen des menschlichen Bewusstseins realisiert werden. Die außerordentlich große Komplexität des Gehirns ergibt sich daraus, dass allein in der Großhirnrinde ca. 600 000 kortikale Säulen mit durchschnittlich je 100 000 Nervenzellen auf unterschiedliche Art und Weise miteinander und mit den übrigen Regionen des Gehirns verschaltet sind.

Auch im Aufbau des Gehirns zeigt sich, dass unsere nächsten Verwandten im Tierreich die Schimpansen sind. Im menschlichen Gehirn gibt es im Vergleich zu den Primaten keine neuen Module, lediglich die Größenverhältnisse sind unterschiedlich zu Gunsten des Großhirns.

Mit der Evolution des Gehirns hat sich auch das Bewusstsein entwickelt. Ob und ab wann Tiere ein Bewusstsein besitzen, hängt sehr davon ab, wie wir  Bewusstsein definieren. Hierfür gibt es 3 Möglichkeiten:

·             Fasst man Bewusstsein als einen Aktivitätszustand des Gehirns auf, der durch Wachheit und Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist, so kann man vielen Tieren, vor allem fast allen Säugetieren ein Bewusstsein zuschreiben.

·             Fasst man Bewusstsein als die Fähigkeit auf, alle Sinneswahrnehmungen zu koordinieren, die Aufmerksamkeit auf ein vorgefasstes Ziel zu lenken und die Bewegungen dahingehend zu steuern, so sind alle höheren Säugetiere wie Hunde, Katzen, Delphine und Menschenaffen sowie viele Vogelarten als mit Bewusstsein begabt einzustufen

·             Die dritte Definition macht Erkenntnisprozesse und die Fähigkeit zur Symbolisierung zum Kriterium für Bewusstsein und schließt damit von vornherein aus, dass die meisten Tiere Bewusstsein haben könnten. Lediglich bei Menschenaffen sind dann erste Ansätze von Bewusstsein erkennbar, denn es gelingt mitunter, ihnen die Anwendung von Symbolen beizubringen und sie sind in der Lage, Sprache zu verstehen und sich im Spiegel selbst zu erkennen.

 

Merlin Donald hält diese 3 Möglichkeiten zur Definition von Bewusstsein für zu starr und bevorzugt eine größere Anzahl von Kriterien, nach denen die Qualität des Bewusstseins vieler Tiere eingeschätzt werden kann:

 

Alle diese unterschiedlichen Kriterien für Bewusstsein tragen dazu bei, unter den jeweiligen Lebensbedingungen die Reaktionsfähigkeiten der Lebewesen zu steigern und dienen der eigentlichen Funktion des Bewusstsein, durch Flexibilität die Anpassung des Lebewesens an die Umweltbedingungen zu verbessern.

Hieraus erwächst die Funktion des Bewusstseins, den eigenen Körper zu erkennen und von der Umwelt unterscheiden zu lernen. Ein solches Selbstbewusstsein ist erstmalig bei Primaten zu erkennen und bildet die Grundlage für die höheren geistigen Funktionen der Hominiden. Diese Funktionen haben sich in der Evolution der Hominiden schrittweise entwickelt und entwickeln sich heute in der gleichen Reihenfolge bei der ontogenetischen Entwicklung der Kinder. Dabei tragen immer gerade diejenigen Funktionen und Fähigkeiten am stärksten zur Weiterentwicklung der Art bei, die jeweils bei der Mehrzahl der Individuen noch nicht vorhanden sind, aber mit Anstrengung erlernt werden können. Durch Vergleich der Fähigkeiten heutiger Affen, wildlebender Menschenaffen und enkulturierter Menschenaffen mit denen des Menschen gewinnt man eine Vorstellung, in welchen Schritten sich die höheren geistigen Fähigkeiten des Menschen entwickeln konnten. Der Autor stellte die Entwicklung dieser Fähigkeiten in folgender Tabelle zusammen:

 

4.     Drei elementare Stufen des Bewusstseins

Auch wenn es zunächst so scheinen mag, als wäre unser Bewusstsein mit unserem Körper eng verbunden und unser ganz persönlicher Besitz, so ist doch zu beachten, dass sich dieses Bewusstsein nur im engen Zusammenhang mit der menschlichen Kultur entwickelt hat und entwickeln konnte. Es ist gerade das Bewusstsein und die Kultur, die den Menschen gemeinsam aus dem Tierreich herausheben. Dieser enge Zusammenhang weist darauf hin, das ein Verständnis der Leistungen des menschlichen Geistes nur unvollkommen gewinnbar ist, wenn dieser isoliert als Leistung eines Individuums und nicht auch als Ergebnis der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft betrachtet und analysiert wird.

Die Leistungen des Gehirns sind vielfach vergleichbar mit den Leistungen eines Computers. Aber nicht nur Kapazität und Leistungsumfang übersteigen die eines heutigen Computers um Größenordnungen, sondern auch die grundlegenden Funktionsprinzipien der Informationsverarbeitung sind völlig andere und sind am ehesten mit einem analog-digitalen Hybridsystem vergleichbar, das redundant und unexakt arbeitet. Insbesondere werden Informationen im Gedächtnis nicht lokal mit festen Adressen gespeichert, sondern durch Verschaltungsmuster mit wechselnden Verknüpfungsstärken realisiert.

Grundsätzlich ist der Aufbau und die Funktionsweise des Gehirns bei den Affen, den Menschenaffen und den Menschen gleich. Die primären Areale der Hirnrinde stehen direkt mit den Sinnesorganen und den Neuronen, die Muskeln steuern, in Verbindung.

Die sekundären Areale empfangen Signale aus den primären Arealen und werten sie komplex, aber getrennt für die unterschiedlichen Sinnesmodalitäten aus oder steuern komplexe Bewegungsabläufe durch Signale an die primären motorischen Areale. Die sekundären Areale sind bereits bei den Menschenaffen größer als bei den übrigen Affen und dienen beim Menschen zum Erkennen von Objekten und Gesichtern oder zum Aufschlüsseln akustischer Muster und gesprochener Sprache.

In den tertiären Arealen werden die Wahrnehmungen der verschiedenen sekundären Areale miteinander koordiniert, zu komplexen Erkenntnissen verarbeitet, zu mentalen Weltmodellen verbunden und Handlungen geplant. Bei Menschenaffen sind die tertiären Areale bereits weiter entwickelt als bei den Affen, aber bei den Menschen sind sie auf ein vielfaches gewachsen und zum beherrschenden Faktor geworden. Nur in ihnen entsteht Bewusstsein, wir wissen aber noch nicht, wie das im Detail vor sich geht. Wir wissen aber, dass im rechten Scheitellappen unser Körperselbstbild und unser Weltbild entsteht, im linken Scheitellappen die Grammatik und die Bedeutungen der Sprache erfasst werden und in der vorderen Stirnhirnrinde das für langfristiges Planen, Selbsteinschätzung und Beurteilung zwischenmenschlicher Beziehungen wichtige mit mittelfristigen Speicherzeiten operierende Arbeitsgedächtnis liegt. Ein Zusammenhang dieser Bewusstseinsvorgänge mit elektromagnetischen und mit Stoffwechselvorgängen in diesen Regionen ist eindeutig nachgewiesen, ihr Aktivitätsniveau erhöht sich bei konzentrierter Aufmerksamkeit.

In der Evolution der Lebewesen als erstes entstanden ist als unterste Stufe des Bewusstseins die perzeptuelle Bindung. Auf dieser Stufe werden die von verschiedenen Sinnesorganen gelieferten Wahrnehmungen durch Konzentration der Aufmerksamkeit zu Objekten und Ereignissen verbunden. Die Geschlossenheit des Wahrnehmungseindruckes scheint auf einer vom Thalamus gesteuerten Synchronisation der Aktivitäten der beteiligten Neuronen bei Frequenzen von ca 40Hz zu beruhen, ist Voraussetzung für die Steuerung auch einfacher Handlungen und weiterführender Planungen und erhöht bei Säugetieren die Anpassungsfähigkeit in ihrer Lebenswelt bedeutend. Bindungsprozesse erfolgen zunächst unter Kontrolle des Bewusstsein, werden dann automatisiert und treten bei wiederholter Anwendung nicht mehr ins Bewusstsein.

Dem Bewusstsein der Stufe 2  liegt das Kurzzeit-Arbeitsgedächtnis zu Grunde. Es vergrößert den Aktionsradius der perzeptuellen Bindung, denn der Zeitrahmen der Verarbeitungsprozesse kann auf mehrere Sekunden ausgedehnt werden. Damit können mehrere und  auch aktuell nicht mehr wahrnehmbare Objekte gleichzeitig vorstellbar gehalten und mit unmittelbar darauffolgenden Ereignissen verbunden werden. Das ermöglicht auch die Verbindung der Elemente komplexer Handlungsabläufe, die durch Wiederholung automatisiert und nicht mehr bewusst ausgeführt werden. Das gleichzeitige Bewusstwerden mehrer Objekte und Ereignisse ermöglicht erst die Konstruktion von Kausalketten, die die Grundlage rationalen Denkens bilden.

Auf der 3.Stufe kann das Individuum Denken und Verhalten über längere Zeitspannen hinweg regulieren. Zur Weiterentwicklung der bereits auf der 2.Stufe vorhandenen Fähigkeiten treten Eigenwahrnehmung und Selbstkontrolle, langfristiges Planen, Ordnen von Wertvorstellungen und Ausführung sozial angemessener Verhaltensweisen. Die gesamten Lebenserfahrungen werden koordiniert und zu einem Weltbild integriert, das kontinuierlich auf Grund neuer Erfahrungen ergänzt, verändert und im Langzeitgedächtnis aufbewahrt und abrufbereit gehalten wird.

Die dreistufige Hierarchie des Bewusstseins ist nur bei Primaten vollständig vorhanden und nur bei uns Menschen voll entfaltet. Diese volle Entfaltung geht über die von den Primaten erreichten Fähigkeiten hinaus und ist eng verbunden mit der kulturellen Entwicklung, die den Gebrauch von Symbolen einschließlich sprachlicher Ausdrucksformen und Begriffe ermöglicht.

 

5.     Condillacs Statue (Der schrittweise Aufbau des Bewusstseins)

Das Gehirn und das Bewusstsein eines neugeborenen Kindes befinden sich etwa auf dem Niveau eines Schimpansen. So wie sich das Bewusstsein der Hominiden in Wechselwirkung mit ihrer Kultur entwickelt hat, wird das Gehirn des heranwachsenden Kindes durch sozialen Kontakt mit seiner Umgebung geformt. In der Philogenese des Menschen ist dabei eine Plastizität herausselektiert worden, die charakteristisch für das menschliche Gehirn ist und die es heute den heranwachsenden ermöglicht, sich sehr flexibel auf verändernde Lebensverhältnisse einzustellen. Während die Entwicklung des Bewusstsein der Tiere nur durch erbliche Faktoren und durch direktes Erfahrungslernen bestimmt wird, kommt beim Menschen als dritter und wesentlicher Faktor hinzu, das die Algorithmen der geistigen Tätigkeit durch Aufnahme der Symbolkultur des sozialen Umfelds unmittelbar von Mensch zu Mensch übertragen werden können. An dieser Übertragung ist der sich entwickelnde Geist aktiv beteiligt und die Übertragung gelingt nur durch Konzentration der Aufmerksamkeit. Jede Instruktion erfordert zunächst die Ausrichtung der Aufmerksamkeit des Lernenden und des Lehrenden auf ein gemeinsames Objekt und der Lernende muss sich selbst aktiv ein adäquates Bild seiner Umwelt im Gehirn aufbauen. Diese notwendige Aktivität begründet die Grundauffassung des Konstruktivismus.

Bewusstsein ist nicht angeboren, angeboren sind aber Grundfähigkeiten wie Neugier, Assoziationsvermögen, emotionale Bewertung von Sinneseindrücken und ein leeres Gedächtnis. Auf dieser Grundlage bildet sich Bewusstsein durch aktives Lernen und üben in folgenden Schritten:

Eine Vorstellung von den Objekten und Ereignissen der Außenwelt erlangt das Bewusstsein erst durch Kombination unterschiedlicher Sinnesmodalitäten. Die größte Bedeutung hat dabei der aktive und nicht nur passive Tastsinn, ohne den das Bewusstsein den eigenen Körper nicht von den Objekten der Außenwelt unterscheiden könnte. Erst durch ein genügend großes Arbeitsgedächtnis gelingt es, die einzelnen Sinnesempfindungen Objekten und Ereignissen der Außenwelt zuzuordnen und so miteinander zu verbinden, dass ein kohärentes Bild entsteht. An der Kohärenz seines Weltbildes arbeitet das Erkenntnisbedürfnis des Bewusstseins ein Leben lang.

Lernen erfordert stets vom Bewusstsein gesteuerte Aufmerksamkeit und üben. Auf diesen Steuerungsprozess hat die Kultur einen entscheidenden Einfluss. Nach der Lernphase werden Lerninhalte und Fähigkeiten zu Gedächtnisinhalten, die auch unbewusst abgerufen werden können. Der Aufbau des Bewusstseins und seiner Fähigkeiten ist somit ein Werk des Bewusstseins selbst, das Bewusstsein konstruiert sich selbst. Wie die Analyse der geistigen Entwicklung eines Kindes zeigt, das im Alter von 18 Monaten taub und blind wurde, spielt dabei aber der Kontakt mit der sozialen Umwelt und ihrer Symbolkultur eine entscheidende Rolle. Ohne den kulturellen Anstoß von außen und den ständigen Kontakt mit der Kultur kann sich das spezifisch menschliche Bewusstsein nicht aufbauen und seine Inhalte werden in starkem  Maße von der Kultur geprägt.

 

6.     Die ersten Hybridintelligenzen der Erde

Was den Menschen aus dem Tierreich hervorhebt, ist der Übergang vom individuellen Bewusstsein zum kollektiv operierenden Bewusstsein vieler Individuen. Durch diesen Übergang wurde der Erkenntnisprozess grundlegend verändert und individuelle Erkenntnisse und individuelles Wissen  wurden aus dem individuellen Bewusstsein und aus dem individuellen Gedächtnis in die kollektiven Speicher der Kultur, in Sitten und Gebräuche, Institutionen und Gegenstände ausgelagert. Umgekehrt konnte das individuelle Bewusstsein auf diese kollektiven Speicher zurückgreifen und dadurch seine Möglichkeiten und Fähigkeiten vervielfachen. Im ersten Schritt erfolgte die Abstimmung gemeinsamer Handlungen auf der Grundlage der Mimesis, mit deren Hilfe die Evolution der Sprache vorbereitet und die Konventionen der sprachlichen Symbolik fixiert werden konnten. Das erforderte die gleichzeitige Entwicklung des Gehirns und insbesondere die Differenzierung des Arbeitsgedächtnisses in mehrere Sektoren zur gleichzeitigen Betrachtung von Gegenwart und Vergangenheit und von Selbst und Gegenüber. Entstanden aus den Kommunikationsbedürfnissen kleiner Gruppen entwickelte sich die Sprache zu einem mächtigen Instrument, mit dessen Hilfe die Erfahrungen und Erkenntnisse der einzelnen Individuen verallgemeinert und in Mythen, Religionen und später in den Wissenschaften zum Allgemeinwissen der Gesellschaft zusammengefasst werden konnten, das dann umgekehrt in starkem Maße die Entwicklung des Bewusstseins und die detaillierte Ausgestaltung des Gehirns der Individuen förderte und beeinflusste.

 

7.     Der Triumph des Bewusstseins

 

Den größten Einfluss auf die weitere Entwicklung des Gehirns des modernen Menschen hatte die Erfindung und breite Anwendung der Schriftsprache. Das Schriftgehirn ist eine kulturelle Hinzufügung zum vorschriftlichen Zustand des Gehirns. Wir wissen heute, dass die Schrift tief in die Operationsmodi des Bewusstseins eingreift und das relative Größenwachstum und die Dichte der Synapsen in bestimmten Regionen und Funktionsgefügen des Gehirns beeinflusst, auch wenn die neuronalen Schaltkreise der Schriftlichkeit noch weitgehend unerforscht sind. Die mit der Schrift verbundene Symboltechnik veränderte das Denken der Menschen grundlegend.

Symbole können sich im Gehirn befinden oder als materielle Objekte vorliegen. Sie erweitern den biologischen Speicher des Bewusstseins aufs Unermessliche. Das dynamische Bewusstsein lernte mit dem äußeren Gedächtnisfeld genau so umzugehen wie mit dem inneren, was seine Möglichkeiten enorm erweiterte, da im äußeren Gedächtnisfeld das gesamte Wissen der Gesellschaft zur Verfügung steht, neue Technik zur Suche und Auffindung geschaffen werden konnte und ein zuverlässiger Langzeitspeicher für eigenes Wissen gesichert ist. Über das äußere Gedächtnisfeld besteht allerdings auch die Möglichkeit, den menschlichen Geist von außen her zu programmieren und zu beeinflussen und damit in großem Maße Kulturgut in das innere Verhalten einzuschleusen mit positiven und negativen Folgen für das Individuum.

Während der episodische Kern des Bewusstseins noch ganz auf die Zwecke des Individuums ausgerichtet ist, wird durch die mimetische Erweiterung, die sprachliche Erweiterung und die symbolische Erweiterung das Individuum immer mehr in die Kultur eingebunden und auf die Zwecke des gesellschaftlichen Kollektivs gelenkt. Das Bewusstsein vollendet sich, indem es am Ende über diesen kollektiven Prozess nachdenkt.