Gehirn und Geist

Wie aus Materie Bewusstsein entsteht

Nach Gerald M. Edelman und Giulio Tononi

 

  1. Das Verhältnis zwischen Gehirn und Geist ist seit langem philosophisches Streitobjekt. Inzwischen setzt sich immer mehr die Auffassung durch, das Bewusstsein sei eine Funktion des Gehirnes und als solche einer wissenschaftlichen Erforschung zugänglich. Dabei ist zu klären, welche physikalisch-chemischen Prozesse Bewusstsein erzeugen, welche Selektionsprozesse die Evolution des Bewusstseins hervorrufen und wie die subjektiven Erlebnisqualitäten entstehen. Charakteristische Eigenschaft des Bewusstseins ist die ungeheure Vielfalt der möglichen unterschiedlichen Bewusstseinszustände bei ständig einheitlicher und kohärenter Präsenz.
  2. Grundlegende Strukturelemente der Anatomie eines Gehirns sind 100 Milliarden Neuronen, die über eine Million Milliarden Synapsen miteinander verschaltet sind. Ein Neuron ist in der Lage, eingehende elektrochemische Signale zu addieren, an andere Neuronen weiterzuleiten oder die Aktivität anderer Neutronen zu hemmen. Die Anzahl der möglichen unterschiedlichen Verschaltungen ist hyperastronomisch groß. Wie im einzelnen der Schaltplan aussieht, ist individuell verschieden und nicht nur durch Vererbung festgelegt, sonder repräsentiert gleichzeitig die Gesamtheit der Lebenserfahrungen des jeweiligen Menschen, verändert sich daher im Laufe der Zeit.

Drei grundlegende Funktionsprinzipien bestimmen die Art der Verschaltungen im Gehirn:

 

  1. Experimentelle Untersuchungen mit elektroenzephalographischen, magnetenzephalographischen, positronenemssionstomographischen und kernspintomographischen Methoden zeigten, dass bewusstes Erleben stets mit der gleichzeitigen Aktivierung voneinander weit entfernter Areale der Großhirnrinde verbunden ist. Für verschiedenartige Erlebnisse werden unterschiedliche Areale aktiviert, auch bei gleichen Erlebnissen sind die aktivierten Areale bei verschiedenen Personen unterschiedlich. Dies zeigt deutlich, dass die Struktur des Gehirns auch von den Lebenserfahrungen abhängt, das Bewusstsein aber stets korreliert ist mit der gleichzeitigen Aktivierung weit voneinander entfernter Areale der Großhirnrinde. Für die Aufrechterhaltung des Bewusstseins sorgt hingegen eine in den evolutionsbiologisch ältesten Teilen des Gehirns gelegene Region, die sog. Formatio reticularis. Diese Region sorgt für das Einschalten des Bewusstseins im Wachzustand und für das Ausschalten in der Phase des Tiefschlafes. Im REM-Schlaf ist das Bewusstsein aktiv, aber von äußeren Reizen abgekoppelt. Bei Störungen in dieser Region kommt es zum Koma.

In der Lernphase für bestimmte Handlungen ist das Bewusstsein stets aktiv. Mit zunehmendem Training wird die Anzahl der beteiligten Areale des Großhirns reduziert und die Aktivität beschränkt sich auf die für die Ausführung der Handlung unbedingt erforderlichen Schaltkreise. Wenn die Handlung zur Routine geworden ist, sind nur noch wenige Schaltkreise daran beteiligt und die Handlung tritt aus dem Bewusstsein, wird unbewusst.

Die Aktivität der einzelnen Neuronen ist im Wachzustand und im Tiefschlaf nicht sehr voneinander verschieden. Das wesentliche Merkmal eines ausgeschalteten Bewusstsein besteht darin, dass dann alle Neuronen der Großhirnrinde synchron feuern, so dass keine differenzierten Signale übertragen werden, während bei aktivem Bewusstsein zahlreiche Neuronen nichtsynchron feuern und eine große Vielfalt verschiedener Signale übertragen wird. Diese Vielfalt repräsentiert einen großen Informationsgehalt.

 

  1. Die Selektionstheorie neuronaler Gruppen macht 3 Hauptaussagen:

Bei einer bestimmten Reiz-Input-Situation ergeben die reentrant vernetzten Schaltkreise eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Erzeugung eines Outputs (Degeneriertheit). Unter dem Einfluss der Bewertungssysteme wird die Zahl der Möglichkeiten reduziert und eine bestimmte Handlung selektiert. Dieser reentrante Vorgang erzeugt das Bewusstsein.

 

  1. Das Gedächtnis ist nichtrepräsentational, das heißt die Gedächtnisinhalte sind nicht in einer Art Code abgelegt, der aufgerufen werden kann, um frühere Situationen erneut exakt darzustellen. Gedächtnis ist vielmehr die Fähigkeit, eine Handlung unter ähnlichen Bedingungen wiederholen zu können. Gedächtnis besteht in der wiederholten Aktivierung einer Population paralleler Schaltkreise, die einen ähnlichen Output erzeugen, der aber durch inzwischen eingetretene Veränderungen an einigen Schaltkreisen modifiziert ist. Das biologische Gedächtnis ist nicht streng replikativ, sondern hat Eigenschaften, die es der Wahrnehmung erlauben, die Erinnerung zu verändern und der Erinnerung ermöglichen, Wahrnehmung zu verändern.(siehe hierzu auch Damasio)
  2. Erste Voraussetzungen für die Entwicklung des Bewusstseins finden sich bereits bei den niederen Wirbeltieren, die in der Lage sind, Wahrnehmungen zu kategorisieren und zu Objekten und Ereignissen zu verbinden und diese zu bewerten. Mit der Entwicklung der Vögel und Säugetiere bilden sich die Strukturen der Gehirnanhänge und die Vernetzung aller Teile des Gehirns durch reentrante wechselseitige Verbindungen, was als Voraussetzung für die Entstehung des primären Bewusstseins anzusehen ist. Das primäre Bewusstsein dieser Tiere ist als höchste Leistung in der Lage, Gegenwartswahrnehmungen zu einer einheitlichen Szenerie zu verbinden und mit Erinnerungen zu verknüpfen und zu bewerten. Erst der Mensch besitzt ein Bewusstsein höherer Ordnung, das in der Lage ist, mit Begriffen zu operieren, Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden und mit dem Selbstbewusstsein eine Vorstellung über sein eigenes Bewusstsein zu erwerben.
  3. Eine entscheidende Grundvoraussetzung für das Primärbewusstsein ist die Fähigkeit, verschiedenartige Reize, die von einem Objekt ausgehen, zu integrieren und als Objekteigenschaft zu interpretieren. Den Autoren ist es gelungen, diese Fähigkeit in einem Computermodell zu simulieren. In Anlehnung an die Anatomie und Physiologie der Netzhaut des Auges dienen als Input voneinander unabhängige Sensoren für Farbe, Form und Lage eines Objektes. Die gegenseitigen Verschaltungen zwischen diesen Systemen können durch ein Bewertungssystem verstärkt werden. Das System hatte die Aufgabe, zwischen einen grünen und einem roten Kreuz sowie einem roten Quadrat zu unterscheiden, die durch eine automotorisch gesteuerte Kamera angeboten wurden. In der Trainingsphase wurde das Bewertungssystems aktiviert, wenn die Kamera auf das zu erkennende Objekt gerichtet war. Nach einer gewissen Trainingszeit war das System in der Lage unter den gleichzeitig angebotenen Objekten das richtige mit 95% Wahrscheinlichkeit auszuwählen. Vermittelt wurde der Erkenntnisprozess durch die gleichzeitige Aktivierung der beteiligten Sensorsysteme, in dem diese ein funktionales Cluster bildeten. Derselbe Prozess spielt sich offenbar im thalamokortikalen System des Gehirns ab.

Ein funktionales Cluster wird dadurch definiert, das die zugehörigen Elemente untereinander stärkere Wechselwirkungswahrscheinlichkeiten aufweisen als mit den übrigen Elementen. Dies kann quantitativ durch Bestimmung der Informationsentropie der Teilsysteme eines Gesamtsystems ermittelt werden.  Man erhält dann einen Clusterindex CI, der das Verhältnis der Wechselwirkungwahrscheinlichkeiten innerhalb des Clusters zu denen der außerhalb verbleibenden Elemente angibt. Auf diese Weise wird die Bildung funktionaler Cluster durch Messungen am Gehirn experimentell nachgewiesen.

 

H(X) = Informationsentropie des Gesamtsystems X

H(xi) = Informationsentropie des Elementes i

I(X) = Integriertheit des Systems X
I(X) = Σ H(xi) – H(X)

I(X) ist gleich Null, wenn die Zustände der Elemente statistisch unabhängig voneinander sind

I(Xkj) = Integriertheit des Teilsystems j aus k Elementen)

MI(X;X- Xkj) = Wechselseitige Information des Teilsystems Xkj mit dem Rest des Systems

 

MI(Xkj;X - Xkj) = H(Xkj) + H(X-Xkj) - H(X)

 

Clusterindex CI(Xkj) = I(Xkj) / MI(X;X- Xkj)

8.      Ein bestimmter Bewusstseinszustand des Gehirn ist durch die Bildung eines funktionalen Clusters j zahlreicher aktivierter Neuronen k mit großem Clusterindex CI charakterisiert. Es gibt Milliarden möglicher solcher Cluster und damit ebenso viele mögliche Bewusstseinszustände. Die in einem bestimmten Bewusstseinszustand enthaltene Information als Reduzierung der durch alle möglichen Zustände gegeben Unsicherheit zur Gewissheit ist dann gegeben durch die Komplexität des Gehirns. Der Bewusstseinsinhalt des gerade aktiven funktionalen Clusters entspricht nach Ansicht der Autoren der oben definierten wechselseitigen Information  MI(Xkj;X-Xkj), die die statistische Abhängigkeit des funktionalen Clusters von den übrigen Teilen des Gehirns beschreibt. Der Bewusstseinsinhalt ist umso größer, je mehr Neurone zum aktiven Cluster gehören und je stärker diese Neurone von den nicht zum Cluster gehörenden abhängen. Die Gesamtheit der möglichen Bewusstseinszustände charakterisiert die Komplexität des Gehirns. Für alle Cluster j mit jeweils k zugehörigen Neuronen kann ein Mittelwert der wechselseitigen Information  <MI(Xkj;X - Xkj)> bestimmt und über alle k aufsummiert werden, um diese neurale Komplexität und damit die im Bewusstsein enthaltene Information quantitativ abzuschätzen.

 

Mit Simulationsmodellen unterschiedlicher anatomischer Verknüpfung und unterschiedlicher Anregung der Elemente können verschiedene Arbeitsweisen eines Gehirns simuliert werden, die sich in den Eigenschaften simulierter EEG äußern. Bei wenig Wechselwirkung ist die Komplexität gering und das EEG zeigt nur statistisch verteilte Aktiväten. Bei zufallsbedingten Verknüpfungen ist die Komplexität auch gering, aber die Aktivität der Elemente synchronisiert sich und das EEG bekommt Ähnlichkeit mit dem für Tiefschlaf und epileptische Anfälle typischen Mustern. Bei gehirntypischen Verknüpfungen ist die Komplexität groß und das simulierte EEG wird dem für REM-Schlaf ähnlich. Komplexität hängt nicht nur von den anatomischen Verknüpfungen ab, sondern sinkt bei abnehmender Rate der statistischen Aktivierung der Elemente, wie dies auch im Schlaf der Fall ist. Das EEG zeigt dann lange synchronisierte Wellen wie im Tiefschlaf.

 

Wie die Simulationen zeigen und wie wir alle wissen, kann unser Bewusstsein ab einer gewissen Komplexitätsstufe auch ohne äußere Reize funktionieren und Informationen verarbeiten. Die Komplexität des Gehirns kann aber nicht im isolierten Zustand, sondern nur in Wechselwirkung mit einer hochkomplexen Außenwelt entstehen. Dabei wird die im Laufe der Evolution entstandene, selektionierte und vererbte Komplexität durch die aus der Wechselwirkung mit der Außenwelt gewonnene Erfahrung weiter ausgebaut und der Komplexität der Außenwelt angepasst. Dies erfolgt schrittweise, indem auch relativ geringe Informationen aus der Außenwelt aufgenommen werden und zu größeren Umorganisationen des komplexen inneren Systems führen. Deshalb lernen wir auch kleine Veränderungen in einem bekannten Gebiet schneller als Zusammenhänge in einem völlig neuen Gebiet und die scharfe Trennung zwischen Übermittlung und Speicherung von Informationen verschwimmt. Auf einen neuen Reiz reagiert das Gehirn mit einer Erinnerung der Vergangenheit und geht in der Verarbeitung weit über die damit verbundene direkte Information hinaus. Die damit entstehenden Verknüpfungen führen zu parallelen (degenerierten) Verschaltungszuständen für den gleichen Bewusstseinsinhalt und erhöhen die Komplexität des Gehirns.

 

  1. Zur Entstehung und Erklärung von Bewusstsein stellten die Autoren folgende Hypothese auf:

·        Eine Gruppe von Neuronen kann dann und nur dann zur Entstehung von bewusster Erfahrung beitragen, wenn sie Teil eines weiträumig organisierten funktionalen Clusters ist, der durch reentrante Interaktionen im thalamokortikalen System binnen weniger hundert Millisekunden ein hohes Maß an Integration zu leisten vermag.

·        Ein solcher funktionaler Cluster muss hochdifferenziert sein, was in einer hohen Komplexitätsmaßzahl zum Ausdruck kommt.

·        Ein solcher funktionaler Cluster bildet ein flexibles dynamisches Kerngefüge, dem zeitabhängig unterschiedlich spezialisierte Neuronen zugehören, die nicht durch ihre Lokalität, sondern durch ihre funktionale Aktivität ausgezeichnet sind.

·        Bei unbewusst ablaufenden Vorgängen ist die Anzahl der beteiligten Neuronen zu gering. Erst bei Hinzutreten weiterer Neuronen und einer Erhöhung des Komplexitätsmaßes treten diese ins Bewusstsein.

·        Die Bildung von Assoziationen und die Aufeinanderfolge der Gedanken wird durch die Einbeziehung weiterer Neuronen und das Ausscheiden bislang aktiver Neuronen aus dem flexiblen Kerngefüge bewirkt.

·        Bei Lernvorgängen reduziert sich die Anzahl der beteiligten Neurone bis die routinierte Handlung unbewusst ausgeführt wird.

Die vorgestellte Hypothese kann alle bisher erforschten Eigenschaften des Bewusstseins erklären, für ihre endgültige Bestätigung  werden jedoch weitere experimentelle Untersuchungen mit den bekannten und weiter zu verfeinernden Methoden (EEG, MEG, PET und KST) gefordert.

 

  1. Im Rahmen o.g. Hypothese sind die Qualia, die speziellen Qualitäten der subjektiven Erfahrungen wie  Farbe, Wärme, Schmerz, Geräusche, vorstellbar als Punkte in einem N-Dimensionalen Raum, der aufgespannt wird von der Gesamtheit aller möglichen flexiblen Kerngefüge. Ausgehend von den gleich bei der Geburt vorhandenen körperlichen Empfindungen werden durch die Wirkung zunehmender Reizerfahrungen aus der Außenwelt laufend neue Dimensionen des Empfindungsraumes herausdifferenziert, in denen sich fürderhin das flexible Kerngefüge des Bewusstsein bewegen und unterschiedliche Bewusstseinszustände realisieren kann. Bewusste Erfahrungssammlung und Aufbau des Gedächtnisses sind somit eng miteinander verknüpft.
  2. Das flexible Kerngefüge besitzt Eingangs- und Ausgangsportale, über die monodirektionale Verknüpfungen zu den motorischen oder sensorischen Hirnrindenzentren laufen, die routinemäßig ablaufende Bewegungen und routinemäßige Verarbeitungen von Sinnesreizen steuern. Wegen der nur monodirektionalen Verbindungen gehören diese nicht zum flexiblen Kerngefüge und bleiben unbewusst. Über derartige Portale werden auch andere unbewusst arbeitende Zentren für Sprechen, Denken, Planen und ähnliche Leistungen gesteuert, deren Ergebnisse erst nach dem Durchlaufen mehrerer synaptischer Zwischenschritte an das flexible Kerngefüge zuruckgemeldet werden. Bei einem komplizierten Lernprozess werden mehrere solcher unbewusst ablaufender Routinevorgänge über das flexible Kerngefüge miteinander verknüpft. Nach mehrmaliger bewusster Ausführung einer solchen Handlung verstärken sich die synaptischen Verknüpfungen der unbedingt erforderlichen  Schaltkreise und isolieren sich damit von den übrigen Schaltkreisen des flexiblen Kerngefüges, bis sie nicht mehr dazugehören und der ablaufende Prozess aus dem Bewusstsein verschwindet. Der Ablauf des eingelernten Prozesses wird normalerweise später durch ein Ausgangsportal des flexiblen Kerngefüges ausgelöst. Bei psychischen Störungen wie z.B. Zwangsneurosen wird der Prozess durch Fehlsignale gehäuft ausgelöst und führt zu den beobachteten Krankheitsbildern. Andere psychische Erkrankungen könnten durch Aufspaltung des flexiblen Kerngefüges in mehrere mehr oder weniger isolierte und aktivierte Teilkerne erklärt werden.
  3. Bereits höhere Tiere besitzen ein Primärbewusstsein, das im wesentlichen alle Sinnesempfindungen der Gegenwart zu einem einheitlichen Erlebnis verbindet, in das frühere Erlebnisse automatisch integriert sind. Das Primärbewusstsein ist jedoch nicht in der Lage, vergangene Erlebnisse von gegenwärtigen zu unterscheiden und Projektionen in die Zukunft zu erzeugen. Diese Leistungen vermag erst das erstmalig beim Menschen in Erscheinung tretende sog. Höhere Bewusstsein zu erbringen, das aber bereits ein entwickeltes Primärbewusstsein zur Voraussetzung hat. Bereits das Primärbewusstsein kann Sinneswahrnehmungen kategorisieren und damit die Vorstufe einer Begriffswelt erzeugen, aber erst die soziale und affektive Kommunikation der Menschen miteinander, die damit verbundene Entwicklung der Sprache, der Begriffssymbole und einer besonderen Region des Gehirn, in der die Bearbeitung der Sprache erfolgt, ermöglicht ein höheres Bewusstsein, das nicht nur Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden vermag, sondern auch die Bildung abstrakter Begriffe gestattet und zur Erkenntnis des anderen Menschen als eines ebenbürtigen Lebewesens und damit auch zum Selbstbewusstsein, zum Erkennen des eigenen Bewusstseins führt.
  4. Trotz aller Fortschritte der Neurowissenschaften wissen wir noch nicht genau, was bei der Formulierung von Gedanken im einzelnen im Gehirn vor sich geht. Einbezogen sind beim Denken jedenfalls abwechselnd große Teile der Großhirnrinde, die sich zu einen flexiblen Kerngefüge verbinden, in das auch das Sprach- und Begriffszentrum integriert ist, bei weitem aber nicht gleichzeitig das gesamte Gehirn. Ausgelöst wird das Denken normalerweise durch Aktivitäten des Primärbewusstseins in Zusammenhang mit seiner Wechselwirkung mit den Sinnesorganen. Obwohl Denken stets ein bewusster Vorgang ist, wird es von unbewussten Routinehandlungen und emotionalen Prozessen erheblich beeinflusst.
  5. Die Aufklärung der Arbeitsweise des Gehirns, wie das Gehirn Information verarbeitet, steht in engem Zusammenhang mit der Frage, was Information überhaupt ist. Wenn wir den Ausdruck Information für die Beschreibung eines Naturzustandes völlig unabhängig von einem menschlichen Beobachter – gewissermaßen aus göttlicher Perspektive – verwenden wollen, dann ist Information per definitionem objektiv. Wird Information aber auf eine Weise definiert, die einen historischen Prozess voraussetzt, an dem entweder ein Gedächtnis oder ein erblicher Zustand beteiligt ist, dann kann sie erst mit dem Ursprung des Lebens entstanden sein. Es hat den Anschein, als bevorzugen die Autoren die 2. Definition, womit auch der Begriff der Information eine etwas andere Bedeutung erhält und mit Informationsaustausch verwechselbar wird. Sein kommt dann vor dem Beschreiben und Information ist Beschreibung.

Eine ähnliche Unschärfe zeigt sich im Verhältnis zwischen Selektion und Logik. Die Autoren postulieren: Selektion kommt vor Logik. In der Natur ist Selektion der einzige Richter, der Entscheidungen trifft, die nicht immer logisch sind, weil Logik eine Erfindung des Menschen sei, die nicht immer zutrifft. Die Natur trifft durch Selektion Entscheidungen auch dort, wo es keine logischen Begründungen gibt. Zufall kommt vor Teleologie, das Gehirn arbeitet nicht nach den Algorithmen der Logik, sondern durch Prozesse der Selektion.

Philosophische Postulate der Autoren:

·        Es gibt eine reale Welt, die sich durch physikalische Gesetze beschreiben lässt

·        Es hat eine Evolution stattgefunden, der Geist geht aus ihr hervor und ist daher Bestandteil der Natur

·        Weder dualistische Trennung von Materie und Geist noch reduktionistische Ableitung des Geistes aus der Quantenmechanik, wie dies Penrose versucht, sind mit dem evolutionären Grundprinzip verträglich

·        Bewusstsein und unser Wissen um die reale Welt entsteht als Ergebnis der physikalischen, psychologischen und sozialen Interaktionen unseres Geistes und unseres Körpers mit dieser Welt. Diese Interaktionen bestehen aber nicht in einem direkten Informationstransfer und unsere Wahrnehmungen stimmen nur eingeschränkt mit den tatsächlichen Qualitäten der wahrgenommenen Objekte überein, weil unsere Mittel zur Wahrnehmung nur von begrenzter Reichweite sind.

·        Die Erkenntnistheorie muß den evolutionär entstandenen Möglichkeiten, Gegebenheiten und Erfordernissen Rechnung tragen, d.h. dass wir das Wissen erwerben können, das wir brauchen und demzufolge auch unser eigenes Bewusstsein wissenschaftlich erforschen können. Da die materielle Grundlage des Geistes ein individuelles, jeweils einzigartiges Gehirn ist, sind dem jedoch gewisse natürliche Grenzen gesetzt-

·        Bewusstsein ist nichts passives, sondern wirkt als physikalischer Prozess auf die Gestaltung der realen Welt zurück.

  

November 2004

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