Supermacht Wissenschaft

Ein Kommentar zu dem Buch von Lars Jaeger

Vorwort

Im ersten Teil des Buches versucht der Physiker, Philosoph und Unternehmer Dr. Lars Jaeger eine Übersicht zu geben, wo heute, im Jahre 2017, die moderne Wissenschaft, Technologie und Technik auf den wichtigsten Fachgebieten in etwa stehen und welche Entdeckungen und Erfindungen unmittelbar bevorstehen.

Im zweiten Teil konstatiert der Autor, dass auf vielen Gebieten der Fortschritt von Wissenschaft und Forschung unkoordiniert voranschreitet und der Gesellschaftlichen Kontrolle zu entgleiten scheint. Er diskutiert die möglichen Chancen und Gefahren, die daraus für die Weiterentwicklung der Menschheit entstehen können.

Im dritten Teil versucht er schließlich Wege aufzuzeigen, die es ermöglichen könnten, die Kontrolle über die zukünftige Entwicklung wiederzuerlangen und in der Hand zu behalten.



Teil I

1- Die Hauptrichtungen der Technologischen Entwicklungen

Auf der Grundlage neuer Erkenntnisse der Naturwissenschaften hat sich das Tempo der technologischen Entwicklung dramatisch erhöht, so dass nur noch in Ausnahmefällen das Ausmaß der Fortschritte und Veränderungen von der Öffentlichkeit direkt oder auch nur zeitnah wahrgenommen werden. Dabei ist die Liste der Schlüsseltechnologien, die unser Leben massiv beeinflussen werden, länger, faszinierender und oft auch beängstigender als je zuvor:

Nur die Allerwenigsten sind in der Lage, die Komplexitäten der heutigen wissenschaftlichen Fachdisziplinen zu durchdringen und die Situation der gesellschaftlichen Entwicklungsdynamik fundiert zu beurteilen. Das betrifft auch die politischen Entscheidungsträger und gefährdet die demokratische Steuerung der Gesellschaft.



2- Wunderwelten

An Hand der In der Medizin in den letzten 100 Jahren erzielten Fortschritte schildert der Autor in diesem Abschnitt Rolle und Bedeutung der wissenschaftlichen Forschungen in den vorgenannten Schlüsseltechnologien für die  weitere Entwicklung der Menschheit und zeigt an zahlreichen Beispielen, wie die Ergebnisse dieser Forschungen zur Bekämpfung von Krankheiten genutzt wurden, wo etwa die Forschungsfront liegt und was noch in naher Zukunft erreicht werden könnte. Allein durch Anwendung dieser wissenschaftlichen Forschungsergebnisse konnten die Lebensverhältnisse der Mehrheit der Menschen entscheidend verbessert werden.



3- Die Gefahren ungesteuerten Fortschritts

Obwohl der wissenschaftliche Fortschritt nachweisbar die Lebensverhältnisse der Menschen insgesamt verbessert hat, ist in der öffentlichen Meinung die Tendenz festzustellen, diese Fortschritte negativ zu bewerten und zu befürchten, das wir die Folgen dieser Entwicklung nicht im Griff haben. Die Gründe für diesen merkwürdigen Spagat sieht der Autor vor allem darin, dass weltweite Umwälzungsprozesse stattfinden, die von lokalen Akteuren nicht mehr beeinflussbar sind. Die zunehmende Komplexität und Schnelligkeit dieser Prozesse überfordert unser Verständnis  und von einem gemeinsamen Ansatz aller Länder der Welt zum gemeinsamen Handeln kann bisher nicht die Rede sein. Besonders folgende 5 Themen bestimmen diese negative Wahrnehmung:

Trotz der offensichtlichen Faktenlage reichen offenbar die intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten des Menschen nicht aus, um gegen die vielfältigen Bedrohungen wirksam anzugehen. Ein Grund dafür kann sein, dass zeitlich sehr entfernt liegende Risikoszenarien in unserem limbischen System kaum Reaktionen erzeugen, da wir persönlich kaum mehr davon betroffen sein werden und wir nicht aus Erfahrung gelernt haben, unser Gehirn so zu nutzen, dass wir uns als Menschheit nicht selbst auslöschen dürfen. Können wir die Funktionsweise unseres Gehirns verbessern?

 

4- Stand und Perspektiven der Neurowissenschaften

Wir beginnen gerade erst, die Funktionsweise unseres zentralen Nervensystem mit den Methoden aus Neurowissenschaft, Genetik evolutionärer Psychologie und Physik komplexer Systeme zu begreifen. Doch gibt es bereits erstaunliche Ergebnisse und Anwendungen.

Dem Autor liegen Informationen vor, das es möglich ist, mit elektromagnetischen Verfahren

Eine Weiterentwicklung dieser Techniken wird nicht nur unsere intellektuellen Fähigkeiten erweitern, sondern auch unser Selbstverständnis verändern.

Darüber hinaus ermöglichen die Fortschritte der Gentechnik, fehlerhafte Abschnitte der Gene aus den Molekülketten der DNA gezielt herauszuschneiden und durch andere zu ersetzen, so dass damit genetisch bedingte Krankheiten geheilt und Prinzip auch die für die Intelligenz des Menschen verantwortlichen Gene verändert und somit auch die Denkfähigkeiten und andere Eigenschaften des Menschen möglicherweise verbessert werden könnten.

Dies alles wirft ethische Fragen auf, die einer internationalen Abstimmung und einheitlichen Regelung bedürften, die bei weitem noch nicht in Sicht ist. Wollen wir wirklich den Menschen verändern und soll der neue Mensch ein molekulargenetischer Bioapparat, eine neuro-optimierte Denkmaschine, ein ferngesteuertes Kollektivmitglied oder ein autonomes Individuum sein? Schon ist die künstliche Herstellung einzelner Gene ein Standardverfahren und wird von verschiedenen Firmen kommerziell angeboten, um Pflanzen und Bakterien mit bestimmten Eigenschaften zu züchten und es gibt Aufrufe namhafter Wissenschaftler, derartige Forschungen einzuschränken.



Teil II

5- Der gläserne Mensch

In diesem Kapitel vermittelt Jaeger einen Eindruck, in welchem riesigen Ausmaße bereits heute über das Internet und vor allem über Smartphones Daten über das Verhalten der Menschen gesammelt und für welche Zwecke sie verwendet und ausgenutzt werden. Dabei verdoppelt sich die insgesamt produzierte Datenmenge von Jahr zu Jahr und die Anzahl der Falschmeldungen übersteigt die Anzahl der Fakten. Positive und negative Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen sind deutlich sichtbar, die Entwicklung scheint nicht aufhaltbar und die langfristigen Auswirkungen sind nicht abschätzbar.



6- Blackbox

Die meisten Menschen sind intellektuell nicht in der Lage, die wissenschaftlichen Grundlagen der Technologien und der mit ihrer Hilfe hergestellten Produkte zu verstehen, dennoch funktionieren diese Produkte und werden von den meisten gekauft, angewendet und benutzt. Dies erzeugt Unsicherheit und ein ungutes Gefühl. Der Autor führt zahllose Beispiele für diese Situation an, benennt neueste Erkenntnisse besonders der Naturwissenschaften und der Informationstechnik und deren Anwendungen, die im Grenzbereich unserer Erkenntnis liegen und selbst einem gebildeten Leser es schwer machen zwischen Realität und Science Fiktion zu unterscheiden. Man ist sogar geneigt, dem Autor zu unterstellen, selbst nicht mehr zuverlässig unterscheiden zu können, ob das, was er da schreibt, gesicherte Erkenntnis oder Zukunftserwartung ist. So entsteht insgesamt der Eindruck, dass der wissenschaftliche Fortschritt der Kontrolle des Menschen entgleitet und tatsächlich die Gefahr besteht, das künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz überflügeln, sich selbständig weiterentwickeln und letztendlich die Herrschaft über den Menschen erringen könnte. Immer deutlicher wird, dass unser Weltbild keine objektive Realität darstellt, sondern diese nur in verschiedenen Modellen abbildet, die jeweils in Teilbereichen eine genähert richtige Bedeutung haben, insgesamt aber nicht zusammenpassen.

Wichtigste Aufgabe der Gegenwart wäre es deshalb, dass das gesellschaftliche Führungspersonal den Willen entwickelt, die Fortschritte in der Quantenphysik und im Bereich der künstlichen Intelligenz mindestens soweit zu verstehen, dass Gefahren abgeschätzt und sich bietende Gestaltungsspielräume erkannt und genutzt werden können.



7- Schleudertrauma

Einerseits wäre es ohne die riesigen Fortschritte der Gentechnik nicht möglich gewesen, die heutige und ständig wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, andererseits birgt diese Technik die Gefahr, nicht-reparable Änderungen unserer ökologischen Umweltsysteme hervorzurufen, die das Weiterbestehen der Menschheit in Frage stellen könnten. An vielen Beispielen wird gezeigt, wie nahe positive und negative Folgen der durch die CRISPER-Technologie perfektionierten Anwendungsmöglichkeiten von Genmanipulationen beieinander liegen. Hinzu kommt, dass die wissenschaftliche Forschung zunehmenden in Großunternehmen konzentriert ist, in denen wirtschaftliche Gewinn- (und militärische) Interessen Vorrang vor den Interessen der Allgemeinheit bei der Auswahl der Forschungsrichtungen haben. Dies korrumpiert auch die beteiligten Wissenschaftler, deren Karriereinteressen bis auf wenige Ausnahmen Vorrang vor ethischen Bedenken gewinnen.

Bisher liegt die Reaktion der meisten Menschen auf die Ambivalenz der modernen Wissenschaften und Technologien irgendwo zwischen müdem Schulterzucken und einem verzweifelten Fatalismus. Doch dürfen wir uns nicht passiv in eine unumstößlich erscheinende technologische Zukunft begeben, sondern wir müssen daran arbeiten, diese Zukunft aktiv zu gestalten.“



8- Die Suche nach der Wohlfühlzone

Durch Verarbeitung unserer Sinneseindrücke produziert unser Gehirn ein Modell der Welt. Dieses enthält zugleich ein Modell unseres Selbst. Unser Selbstmodell lässt uns glauben, dass die Welt bzw. wir selbst wirklich so sind, wie das Modell in unserem Gehirn dies repräsentiert. Dies ist ein Irrtum, das Modell ist aber näherungsweise so gut, dass wir uns in der Welt zurechtfinden können und die Beziehungen zu anderen Menschen darauf aufbauen können. Die mit Hilfe künstlicher Intelligenz erzeugte virtuelle Realität ist aber heute bereits in der Lage, unser Selbstmodell so zu täuschen und zu manipulieren, dass es die virtuelle Welt für real hält, wie zahlreiche Experimente zur Steuerung von Avataren mit Hilfe von Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI) und zur Verhaltensmanipulation von Versuchspersonen mittels digitaler Brillen zeigen. Gewaltige Forschungsmittel werden bereitgestellt, um die Funktionsweise des menschlichen Gehirn zu entschlüsseln, die dazu beitragen werden, das Verhalten der Menschen noch gezielter manipulieren zu können. Mit der Schaffung virtueller Wohlfühlzonen können Menschen sowohl aus der realen Welt herausgeführt als auch in ihr zu bestimmten Verhaltensweisen veranlasst werden. Mit der möglichen Erschaffung übermenschlicher Intelligenz und künstlichen Bewusstseins wird die Frage aufgeworfen, ob wir unter diesen Umständen Herr über die Technik bleiben oder ob umgekehrt die Technik Herr über uns werden wird. Für die Menschheit wird es höchste Zeit, einen Wohlfühlraum für die Zukunft zu definieren, in dem wir uns aufhalten wollen und nicht unser Menschsein aufgeben müssen.



Teil III

9- Der unbestechliche Blick

Um den im Teil II dargestellten Gefahren wirksam begegnen zu können, muss die Menschheit ihr Verhalten grundsätzlich ändern. Obwohl die Entwicklung der modernen Wissenschaften erst die Voraussetzungen für das Entstehen dieser Gefahren geschaffen hat, wäre die pauschale Ablehnung der Wissenschaft aber der falsche Weg. Im Gegenteil können und müssen die Wissenschaften mit ihren Methoden einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung dieser Gefahren leisten. Einen wichtigen Ausgangspunkt hierzu sollte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 sein, die bereits die wesentlichsten Prinzipien für die generelle Zusammenarbeit aller Völker formuliert, und die konsequent umgesetzt werden muss. Diese Umsetzung erfordert eine Haltung, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich an Wahrheiten zu orientieren, auch wenn es eine absolute Wahrheit nicht gibt. Eine solche Haltung nennt Jaeger Spiritualität, die auch einer rational und empirisch argumentierenden Wissenschaft zu Grunde liegen müsste. Die stärksten Feinde einer solchen Haltung sind Dogmen, intellektuelle Faulheit und persönliche Interessen. Im Bayesianischen Geist müssen die Ergebnisse der Wissenschaft immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden, um der Wahrheit immer näher zu kommen. Die ethischen Leitplanken im Umgang mit dem wissenschaftlichen Fortschritt bestehen aus Ehrlichkeit im Nichtwissen, rationaler Abwägung der Risiken und klarem, aber immer wieder korrigierbarem Handeln.



10- Der Mythos von der unsichtbaren Hand

Beim Versuch, eine gesellschaftliche Instanz zu finden, die in Frage käme, den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt zuverlässig zum Wohle aller in Zukunft zu steuern, zeigt der Autor eine gewisse Ratlosigkeit:



11- Big Talk

Die in den vorangegangenen Kapiteln vorgenommene Analyse des Zustandes und der Dynamik der gegenwärtigen Gesellschaft zeigt eindeutig, dass es nicht linear so weitergehen kann wie bisher und dass große Veränderungen bevorstehen. Weil kein einzelner Mensch mehr die Komplexität dieser Vorgänge übersehen kann, muss die gesellschaftliche Gesamtheit entscheiden, was wir wollen und wohin es gehen soll, nicht einzelne Interessenvertreter oder Experten. Wir brauchen eine ausgeprägte Berichterstattung über wissenschaftliche und technologische Entwicklungen in der Tages – und Wochenpresse, im Internet und eine intensive Zusammenarbeit von Experten, Journalisten, Intellektuellen und mündigen Bürgern, um die Reaktionszeiten der Politik zu verringern. Das Ziel der Politik kann nicht ein für alle mal festgelegt werden, sondern es sind immer wieder neue Zielbestimmungen vorzunehmen, um in einem Versuchs- und Irrtums- Prozess die geeignetsten Wege in die Zukunft zu finden. Das humanistische Weltbild verschafft uns zwar einen ersten fundamentalen Konsens in der Gestaltung unserer technologischen Zukunft: Wir wollen als Individuen unsere Autonomie behalten, aber individueller Egoismus ist ein Auslaufmodell. Wir müssen das auf Konkurrenz ausgelegte Weltbild überwinden und kollektiv nach gemeinsamen Vernunftsprinzipien handeln. Eine Verschiebung vom Ich zum Wir, von individuellen Partikularinteressen zu einem kollektiven Bewusstsein findet bereits statt, die konkreten Wege zum gemeinsamen Handeln müssen schnellstens gefunden werden.



12- Manifest

Zur Beherrschung der auf die Gesellschaft zukommenden Herausforderungen hält Jaeger die Realisierung der folgenden Maßnahmen für erforderlich:

Es kann nicht darum gehen, die Wissenschaften zu verteufeln oder auf Teufel komm raus zu nutzen, sondern sie in angemessenem Umfang zur Verbesserung der Lebensbedingungen einzusetzen.

04.06.2018
Bertram Köhler