Modelle sozialer Systeme
Hierarchisches Modell und Macht
1. Die erste Stufe in der Entwicklung eines sozialen Systems ist der Zusammenschluß von im Prinzip gleichartigen Elementen zu Erzielung einer quantitativ größeren Wirkung. Die in einem solchen System entstehenden Koordinierungprobleme sind am einfachsten durch eine hierarchische Systemstruktur zu lösen. Auch auf der nächsten Stufe der funktionellen Differenzierung der Strukturelemente ist der Funktionszusammenhang der Struktureinheiten noch wenig komplex, so daß es immer gelingt, die stark wechselwirkenden Teilsysteme in einer Hierarchielinie zu ordnen, so daß die Wechselwirkungen der Elemente auf den untersten Ebenen zwischen Hierarchielinien, die sich bereits auf oberen Ebenen verzweigen, nur gering sind. Die auf den oberen Etagen der Hierarchie sitzenden Elemente müssen deshalb nur wenig von den Vorgängen in den unteren Etagen wissen, um ihre Steuerungsaufgaben wahrnehmen zu können. Solange die Komplexität einer Aufgabe nur darin besteht, isoliert zu bearbeitende Aufgaben und Aktivitäten zu einer übergeordneten umfangreichen Gesamtaufgabe zu vereinigen, ist eine hierarchische Ordnung die optimale Struktur.
2. In einer hierarchischen Struktur ist Macht das alleinige Steuerungsmedium. Nur Macht kann die untergeordneten Funktionseinheiten zu der Funktionsweise zwingen, die vom übergeordneten System gefordert wird, um die Gesamtaufgabe zu realisieren.
3. Grundlage der Macht ist die Möglichkeit der Anwendung körperlicher Gewalt. Alle übrigen zivilisierteren Formen der Unterordnung unter die Anweisungen und Regelungen in einem hierarchischen System beruhen auf der Drohung mit Gewalt, der Möglichkeit der Drohung mit Gewalt und der "freiwilligen Einsicht", daß bei Nichtbefolgung von Anweisungen Gewaltanwendung möglich wäre. Auch der Einsatz ökonomischen Zwanges, der den wirtschaftlichen Ruin zur Folge haben könnte, beruht letztlich auf der Möglichkeit der Durchsetzung von Pfändungen und Vollstreckungen mit Hilfe staatlicher Gewalt.
4. Macht braucht zu ihrer Durchsetzung weder Begründungen noch Wissen, aber ein straff organisiertes hierarchisches System, das in der Lage sein muß, die an der Spitze angeordnete Anweisung an der Basis notfalls mit körperlicher Gewalt durchzusetzen. Diese Eigenarten begründen zugleich die Schwäche der Macht.
5. Zunehmende Komplexität bedeutet zunehmende Verflechtung der Aufgaben auf allen Ebenen, wodurch die Spitze der Hierarchie überfordert wird und nicht mehr in der Lage ist, die Koordinierung zwischen verschiedenen Hierarchielinien wahrzunehmen. Eine weitere Vertiefung der Hierarchieebenen kann das Problem nicht lösen, weil es die Komplexität nur verstärkt. Im Ergebnis ist weder eine effektive Koordinierung noch die Durchsetzung der Macht mehr möglich und das Hierarchische Modell zeigt sich zur Lösung dieser Aufgabe nicht mehr fähig.
Demokratisches Modell und Markt (Geld)
1. Wenn hierarchisch organisierte Systeme nicht mehr in der Lage sind, ihre internen Steuerungsaufgaben wahrzunehmen, so gibt es nur einen Ausweg: Die Teilsysteme müssen die Fähigkeit erwerben, sich selbst zu steuern, und autonom werden. In dieser Linie liegt der systemische Grundgedanke der Demokratie.
2. Glücklicherweise haben soziale Systeme von sich aus die Tendenz, sich zu autonomen selbstgesteuerten Einheiten zu entwickeln . Leider ist damit aber gleichzeitig das Bestreben verbunden, sich noch stärker gegen die Umwelt abzugrenzen und eigene Interessen zu entwickeln, so daß von vornherein die Tendenz besteht, daß das übergeordnete System seine Fähigkeiten zur Einwirkung auf die Teilsysteme verliert und die Koordinierung des Gesamtsystems zurückgeht. Insbesondere funktioniert Macht nicht mehr als Steuerungsmedium für das Gesamtsystem. In einer ersten Phase geht die Entwicklung dahin, daß sich das am weitesten ausgeprägte Teilsystem der Ökonomie vollständige Autonomie verschafft und sich das gesellschaftliche Gesamtsystem das Steuerungsmedium der Ökonomie, das Geld, als Steuerungsmedium des Staates zunutze macht. Der Staat selbst entwickelt sich zum selbstgesteuerten Politischen System, behält aber in seinem Inneren wesentliche Elemente des machtgesteuerten hierarchischen Modells bei und gibt nur nach und nach seine Steuerungsfunktion an ausgegliederte Teilsysteme ab, wenn er deren hierarchische Steuerung nicht mehr beherrscht. Nach und nach werden somit die anfänglich ureigensten Funktionen des Staates zur Produktion kollektiver Güter und Leistungen, wie Post, Telefon, Verkehrswesen, Ausbildung, bis hin zu Polizeiaufgaben ausgegliedert und in autonome, selbstgesteuerte (privatisierte) Systeme verwandelt.
3. Markt und Geld sind die dem demokratischen Modell angemessenen Steuerungsmedien. Mit Hilfe des Geldes gelingt es dem Staat, ansonsten weitgehend autonome Teilsysteme zu veranlassen, ihre internen Steuerungsfunktionen freiwillig in dem von ihm gewünschten Sinne zu verändern und Leistungen für das Gesamtsystem zu erbringen. Mit weiter zunehmender Komplexität des gesellschaftlichen Gesamtsystems verliert der Staat das Interesse an der Steuerung der von ihm ohnehin nicht mehr beherrschbaren Prozesse und entwickelt sich zu einem degenerierten, sich nur noch selbst steuernden autonomen System, das nur noch an seiner Selbstreproduktion bei den nächsten Wahlen interessiert ist und nur noch über dieses Interesse von außen beeinflußbar ist.
4. Während Macht nur als negative Stimulans wirkt und in ihrer Dimension dadurch begrenzt wird, daß Gewalt über den Tod hinaus nicht möglich ist, kann Geld in beliebiger Abstufung als positive Stimulans ohne jede Begrenzung seiner Dimension eingesetzt werden. Darauf beruht seine Wirkung als Steuerungsmedium in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft. Darüber hinaus ist es geeignet, nahezu jedes beliebige soziale System zu beeinflussen und somit eine Koordinierung autonomer Systeme zu bewirken, auch wenn es keine machtkontrollierten hierarchischen Beziehungen zwischen ihnen gibt.
5. Das Verhältnis von Politik und Ökonomie ist von vornherein dadurch gekennzeichnet, daß die Politik die Kontextbedingungen für die allseitige Wirksamkeit des Geldes als Steuerungsmedium setzte. Innere und äußere Sicherheit, Rechtssicherheit, Recht auf Privateigentum, Vertragsfreiheit und Vertragsrecht und die Bereitstellung von Machtmitteln zur Durchsetzung von Sanktionen und Zahlungsverpflichtungen sind die Vorleistungen der Politik , welche die Ökonomie nicht selbst schaffen konnte. Auf der Grundlage dieser Vorleistungen erhielt das ökonomische System eine nahezu unbeschränkte Autonomie, die es rücksichtslos für seine Interessen ausnutzte und das Geld zum Maßstab aller Dinge machte, so daß der Staat durch den entstehenden Geldmangel (Armut) seine Machtansprüche gefährdet sah und - solange er auf der Grundlage seiner noch vorhandenen Macht dazu in der Lage war - , sich gezwungen sah, neue Bereiche in seine Interessensphäre einzubeziehen, die durch das Stichwort Sozialstaat und Subventionspolitik gekennzeichnet werden können. Indem der Staat damit die Möglichkeit erhält, das Geld noch umfassender als Steuerungsmedium zu nutzen, entzieht er ihm aber seine ursprüngliche spontan erwachsene Bedeutung als Medium des wertäquivalenten Austauschs. Mit zunehmender Schwächung seiner Machtpositionen als hierarchisches System muß er diese Funktionen deshalb später wieder abbauen.
6. Mit der unbegrenzten Steigerungsmöglichkeit für den Einsatz von Geld zur Befriedigung gegenwärtiger und zukünftiger Bedürfnisse aller Art entwickelt das Geldsystem eine autonome Selbstreflexivität, die zu einer geschlossenen Operationweise führt. Im Endeffekt kann Geld mit Geld gekauft werden und der Handel mit Finanzen übersteigt den Handel mit Waren und Dienstleistungen um das 30 bis 50-fache. Es entwickelt sich eine virtuelle Ökonomie, die von der ursprünglichen Steuerungsfunktion völlig abhebt. Einerseits ist heute kein Staat mehr in der Lage, irgendwelchen Einfluß auf globale Finanztransaktionen zu nehmen, andererseits ist aber auch nicht mehr zweifelsfrei klar, ob diese virtuelle Ökonomie noch eine wirksame Rückkopplung zur realen Wirtschaft hat. Es gibt inzwischen 2 Beispiele von Zusammenbrüchen der virtuellen Ökonomie mit Börsenverlusten, die größer waren als die Börsenverluste in der Weltwirtschaftskrise, und die keinerlei Auswirkungen auf die realen Wirtschaftsprozesse hatten. Basis dieser Finanztransaktionen ist die Umsetzung von Wissensvorteilen über unmittelbar bevorstehende Veränderungen von Rohstoffpreisen und künftige Entwicklungstendenzen in ökonomische Vorteile des Akteurs. Deshalb ist die virtuelle Ökonomie auch der Hauptförderer von globalen Informationsnetzen und des Informationsmarktes.
7. Während innerhalb der Ökonomie das Geld seine Steuerungsfunktion voll entfalten kann und geradezu die Grundlage der autonomen Selbststeuerung dieses sozialen Teilsystems ist, müssen sich die Funktionssysteme der Gesellschaft außerhalb der Ökonomie der expansiven Dynamik des Geldes erwehren, um ihre eigene Autonomie und die spezifische Rationalität ihrer Zwecke zu bewahren.
So wie die sozialistischen Gesellschaften daran gescheitert sind, daß sie die Zwecke der Politik absolut gesetzt haben und alle anderen gesellschaftlichen Funktionen deren Zielen untergeordnet haben, "besteht in den demokratischen Industrieländern die Gefahr eines Absolutismus ökonomischer Zwecke, wenn sie es zulassen, daß die Expansivität der Ökonomie eine gesellschaftliche Ordnung der Indifferenz schafft, in der die Zukunft ökonomisch dispensibel wird, eine virtuelle Ökonomie die reale Ökonomie der Güter und Dienstleistungen erstickt, und eine fortschreitende Monetisierung des Wissens die einzige Instanz stranguliert, die unabhängige Situationsdefinitionen produzieren könnte."
8. Insbesondere das Erziehungssystem, das Gesundheitssystem und das Wissenschaftssystem müssen davor bewahrt werden, ihre eigenen, systemimmanenten Steuerungsmedien zu Gunsten der Steuerung durch das Medium Geld aufzugeben. Der einzige externe Druck, der das ökonomische System veranlassen könnte, seine expansive Vereinnahmung der übrigen Systeme zurückzunehmen, scheint die Gefahr einer unwiederbringlich zerstörten Umwelt und einer paradoxen Verarmung der Lebensqualität inmitten eines gigantischen Angebotes von Gütern und Dienstleistungen zu sein. Möglichkeiten hierzu bietet anscheinend nur der weitere Ausbau des Steuerungsmediums Wissen.
1. Wenn in einem hochkomplexen Sozialsystem das politische System weder mit Macht noch mit Geld mehr in der Lage ist, das Gesamtsystem zu steuern und letzten Endes dazu auch nicht mehr gewillt ist, entsteht die Situation eines "dahintreibenden " Systems, das für alle zugeordneten Teilsysteme irgendwann unbefriedigende Umweltbedingungen produziert. Die autonom agierenden Teilsysteme optimieren ihre internen Funktionen nach ihren spezifischen Interessen und verhalten sich zu den übrigen Teilsystemen ihrer Umwelt indifferent, bis die unterschiedlichen spezifischen Interessen in Konflikt miteinander geraten. In dieser Situation bleibt den betreffenden Systemen nichts weiter übrig, als ihre Umwelt zu beobachten, Wissen zu akkumulieren und Handlungsstrategien zu entwickeln, von denen sie annehmen können, daß sie auch für ihre Konfliktgegner akzeptabel sind, weil sie in der Perspektive die Gesamtsituation im übergeordneten System verbessern werden. Über solche Handlungsstrategien müssen die Konfliktgegner dann in Verhandlungen eintreten, bis sie zu gegenseitig akzeptablen Lösungen kommen. In der Logik dieser Verhandlungen liegt es, daß solche Teilsysteme, die nicht ihre internen Prozesse so ausrichten, daß sie einen Beitrag für die Verbesserung der Effizienz des Gesamtsystems liefern, keine Chance haben, ihre Interessen berücksichtigt zu finden und dementsprechend negative Auswirkungen auf ihre weitere Entwicklung hinnehmen müssen. Das Verhandlungssystem bietet also einen Anreiz für die weitere Evolution aller Teilsysteme und ihre Integration in ein Übergeordnetes System mit emergenten Eigenschaften.
2. Erste Beispiele von Verhandlungslösungen entstehen vor allem an den Schnittstellen des föderativen Staatsaufbaus, wo die föderativ festgeschriebenen Rechte die hierarchische Durchsetzung zentraler staatlicher Aufgaben nicht zulassen. Der Vorteil dieser Lösungen besteht darin, daß es möglich wird, verteiltes Wissen und verteilte Intelligenz für zentrale Aufgaben zu nutzen.
3. Wesentliches Steuerungsmedium in Verhandlungssystemen ist Wissen, denn wissensbasierte Entscheidungen finden den größten Konsens zwischen unterschiedlichen Partnern und das größere Wissen bestimmt die Chancen für die Durchsetzbarkeit einer Handlungsstrategie.
4. Die interne Steuerungsfunktion für das Wissenschaftsystem ist die Produktion von Wissen und die Feststellung von wahr, unwahr und warum, unabhängig davon, ob sich mit diesem Wissen etwas anfangen läßt. Die Tatsache, daß sich mit Wissen etwas anfangen läßt, begründet das Interesse der übrigen Systeme an dem Steuerungsmedium Wissen.
5. Aus folgenden Gründen wird Wissen immer
mehr zum Hauptsteuerungsmedium der zukünftigen Gesellschaft:
- In hochentwickelten Gesellschaften basiert
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zunehmend auf der
Entwicklung und Produktion von Hochtechnologie - Gütern. Die
Kostenstruktur der Hochtechnologie - Güter verschiebt sich
weiter in Richtung auf Wissens - Kosten hinsichtlich Entwicklung
und Produktionsausbildung.
- Wissen ist die Basis für das Funktionieren
von Verhandlungssystemen.
- Wissen ist seiner Form nach keine klassische
Ware und entzieht sich der Preisbildung durch Angebot und
Nachfrage, ist von dieser Seite also geeignet, dem
Steuerungsmedium Geld den Rang abzulaufen.
- Wissen ermöglicht eine zeitlich bedeutend
weitere Perspektive der Systemsteuerung als das Medium Geld.
6. Das Wissensmanagement in einem sozialen
System umfaßt folgende Dimensionen:
- Strukturwissen (über die zweckmäßige innere Organisation
des Systems)
- Personalwissen (über die Fähigkeiten und Eigenheiten der
Mitglieder)
- Prozeßwissen über den Ablauf der internen und äußeren
Komunikationen des Systems
- Projektwissen über die Spezifika der erzeugten Güter und
Leistungen des System
- Steuerungswissen (latentes Reflexionswissen über Identität,
Mission und Zielstellung des Systems)
7. Die Schwächen des Verhandlungsmodells liegen darin, daß bei Ressourcenkonflikten die Verhandlungen langwierig sind und sich die Konfliktgegner häufig nur auf Negativkoordinierung einigen können, das heißt zu Vereinbarungen kommen, ihre gegenseitigen Interessen passiv zu respektieren. In diesen Fällen bleiben Emergenzwirkungen für das übergeordnete System aus. Nur äußere Zwänge wie die Verschlechterung der Umweltbedingungen oder die Verschlechterung der Konkurrenzbedingungen durch ein evolutionsfähigeres konkurrierendes System können dann noch zu einer befriedigenderen Lösung führen.
Die Gesellschaft als hochkomplexes soziales System
1. Die Gesellschaft als Ganzes unterliegt wie alle übrigen Systeme den allgemeinsten Gesetzmäßigkeiten der Evolution, das heißt ihre interne Komplexität wächst ständig weiter an. Das bedeutet, daß auch alle Teilsysteme sich funktional weiter ausdifferenzieren und in ihrer internen Struktur komplexer werden.
2. Ein solches hochkomplexes System kann weder einen streng hierarchisch geordneten Aufbau haben, denn die an der Spitze stehenden Teilsysteme sind objektiv nicht in der Lage, die erforderlichen Wechselwirkungen zwischen den an der Basis stehenden Teilsystemen wegen ihrer Vielfalt über die Hierarchielinien hinweg zu koordinieren. Auf der anderen Seite können aber auch nicht alle Teilsysteme gleichrangig nebeneinander stehen, weil dann die komplexeren, emergenten Funktionen nicht verfügbar sind, die erst auf der übergeordneten Ebene der Teilsysteme möglich werden.
3. Die innere Strukturierung eines hochkomplexen Systems muß der Komplexität der Koordinierungsprobleme angemessen sein, deshalb muß ein hochkomplexes Sozialsystem eine variable netzwerkartige Struktur haben, die dadurch charakterisiert ist, daß viele autonome Teilsysteme sowohl ihre internen Funktionen selbst steuern als auch mit Hilfe spezialisierter Informationssysteme ihre Partner suchen, die sie zur Realisierung ihrer Funktionen brauchen und ihre Beziehungen zu diesen Partnern selbständig und auf der Grundlage von Verhandlungen optimal gestalten. Das impliziert auch die Bildung solcher Teilsysteme, deren spezifische Funktionen nur in der Koordinierung und Nutzung der Fähigkeiten anderer Teilsysteme bestehen und die auf dieser Basis emergente Eigenschaften entwickeln können, ohne das ihre Partner als Ganzes Bestandteile des betrachteten Systems werden.
4. Die westeuropäischen Industriegesellschaften bieten mit ihrem Pluralismus bereits teilweise ein solches Bild einer netzartigen Struktur, das noch mit Resten einer hierarchischen Struktur und mit der Illusion einer parlamentarisch - demokratischen Steuerung durchsetzt ist. Die parlamentarische Mehrheitsdemokratie ist insofern eine Illusion, als sie von der Voraussetzung ausgeht, daß es vorwiegend gemeinsame Interessen einer Mehrheit von Bürgern gibt, die gegenüber den Interessen einer Minderheit durchzusetzen sind. Gemeinsame Interessen gibt es aber nur in Bezug auf die sog. Menschenrechte, während alle andern Interessen Minderheitsinteressen sind, die in Kompromissen gegeneinander ausgehandelt werden müssen. Außerhalb der Menschenrechte gibt es keine gemeinsamen Interessen zwischen Arbeitslosen, in Lohn und Brot stehenden Arbeitnehmern, kleinen Selbständigen und großindustriellen Managern, Kranken und Gesunden, Alten und Jungen, Vertretern unterschiedlicher Berufe usw. . Gemeinsame Interessen können erst auf einer höheren Ebene sozialer Systeme durch Ausbildung von Selbstbewußtsein und Reflexion dieser Systeme und ihre freiwillige Integration in übergeordnete Systeme entstehen.
5. Die Mehrheitsdemokratie ist zwar geeignet, Menschenrechte zu setzen, aber bereits bei ihrer Durchsetzung beginnen die Probleme. Für alle darüber hinausgehenden Steuerungsbedürfnisse der Gesellschaft ist aber die auf den Bürger als Individuum bezogene Mehrheitsdemokratie nicht optimal. Viel besser geeignet wäre hier ein Prinzip der runden Tische, in dem die Interessen der Teilsysteme in Form von Verbänden, Organisationen und anderen Interessenvertretungen auf der Grundlage von Wissenskompetenzen gegeneinander ausgehandelt werden. Entscheidungsgrundlage darf dabei nicht die Anzahl der von den verschiedenen Verbänden vertretenen Individuen, sondern die Bedeutung der Leistungen des betreffenden Verbandes für das Funktionieren des sozialen Gesamtsystems und das Wohlergehen aller Bürger sein. Ein derart strukturiertes System könnte als eine Realisierung der marxistischen Theorie vom Absterben des Staates und als Modell für einen demokratischen Sozialismus betrachtet werden. Ein solcher Staat wäre dann ein System, das aus allen Kommunikationen der Teilsysteme und Elemente der Gesamtgesellschaft besteht, die an der Regelung gemeinsamer Interessen interessiert sind und die deshalb bereit sind, gemeinsam gefundene Regelungen freiwillig zu akzeptieren. Nur gegenüber den Elementen und Systemen, die nicht an einer gemeinsamen Steuerung interessiert sind und sich ihr widersetzen, wäre dann die Anwendung hierarchisch organisierter Macht notwendig und möglich.(Siehe hierzu auch die Theorie der freien Kooperation)