Schöner neuer Mensch?
(nach Hubert Markl)
Als Biologe und Präsident der Max-Planck-Gesellschaft beleuchtet der Autor in 12 Einzelbeiträgen wissenschaftliche, juristische und ethische Probleme der Stammzellenforschung und bewertet das im Deutschen Bundestag verabschiedete Stammzellengesetz als einen vermutlich nicht sehr dauerhaften Kompromiss, der dem Zeitgeist geschuldet und weder forschungsfreundlich noch freiheitsfreundlich ist und auf ethisch unklaren Grundlagen und Definitionen der Menschenwürde beruht.
Was ist der Mensch?
Es ist ein (naturalistischer) Fehlschluss, wenn man glaubt, nur aus den Tatsachen der Wirklichkeit könne man Schlussfolgerungen darüber ableiten, was gut und was böse ist. Ohne genau zu wissen, was der Mensch ist, geht es aber auch nicht, es sei denn, man nimmt es als Offenbarung. Nur im Alltagsleben ist ganz klar, was ein Mensch ist, bereits aus der Perspektive der verschiedenen Wissenschaften wird ein Mensch ganz unterschiedlich definiert, obwohl sich alle Wissenschaften noch darüber im Klaren sind, dass es sich um ein und denselben Menschen handelt, von dem sie reden. Ganz unklar aber ist es in allen Grenzgebieten, wo das Menschsein eigentlich beginnt und endet. Ab wann ist der affenähnliche Vorfahre des Menschen ein Mensch? Ab wann ist die Zygote oder der Embryo ein Mensch? Ab wann ist ein Toter kein Mensch mehr? Der Mensch ist nicht von Natur aus Mensch, sondern er wird vom Menschen selbst als solcher definiert. Markl stellt einige Ansichten und daraus resultierenden Definitionen gegenüber und begründet, warum er einen sich entwickelnden Zellhaufen erst von dem Zeitpunkt an als werdenden Menschen mit allen daraus abzuleitenden moralischen und juristischen Konsequenzen ansieht, zu dem er sich in der Gebärmutter einer Frau mit dem Einverständnis dieser Frau eingenistet hat. Dieser Auffassung ist der Bundestag mit seinem Beschluss nicht gefolgt.
Warum die Lebenswissenschaften mehr sind als Biologie.
Der gegenwärtig erreichte Stand der Biotechnologien weist eindeutig darauf hin, dass alle Natur- und Geisteswissenschaften, die sich mit dem Leben des Menschen befassen, enger zusammenarbeiten müssen, damit diese Wissenschaften zum Nutzen der Menschheit angewendet werden können. Die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung sollte dabei nicht durch aufgezwungene willkürliche Moralvorschriften eingeengt werden, denn diese Einengung bedroht die Freiheitsrechte des Menschen nicht weniger als politische oder physische Unterdrückung. Die Gewissensfreiheit des forschenden Wissenschaftlers sollte nur dort durch juristische Vorschriften eingeengt werden, wo die individuelle Menschenwürde oder die zukünftige Entwicklung der Menschheit in Gefahr sind.
Genforschung
Die Bedeutung und vor allem der erreichte Stand der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist von den Medien in starkem Maße überbewertet worden. Tatsächlich befindet sich die Aufklärung des Zusammenhangs einzelner Gene und ihrer Zuständigkeit für die spätere Herausbildung der Eigenschaften und Verhaltensweisen des Menschen erst in den Anfängen. Darüber hinaus wurde weitgehend in den Hintergrund gedrängt, dass die Gene häufig nur die grundlegenden Voraussetzungen für die Entwicklung des Organismus und seiner Anlagen schaffen, während sich erst während dieser Entwicklung durch den Einfluss der verschiedenenartigen Umweltfaktoren die endgültigen Eigenschaften und Verhaltensweisen ausbilden, die keineswegs durch die Gene eindeutig vorbestimmt sind.
Klonen
Abgesehen davon, dass genetisches Klonen von Menschen bereits in zahlreichen Ländern gesetzlich verboten ist, kommt die beim Schaf Dolly aus wissenschaftlichen Gründen angewandte Methode des Klonieren von adulten Zellen aus verschiedenen Gründen für den Menschen ohnehin nicht in Frage. An der Züchtung einer großen Zahl genetisch gleichartiger Menschen besteht darüber hinaus keinerlei Interesse, insbesondere auch deshalb, weil der erwachsene Mensch zu einem großen Anteil nicht nur durch die Gene, sondern durch Erziehung und Erfahrung geprägt wird. Eine größere Gefahr für die Menschheit ist deshalb nicht die genetische Klonierung, sondern die geistige Klonierung und Gleichschaltung, die heute von den Massenmedien ausgeht.
Eine in verschiedenen Ländern unterschiedliche Bewertung findet allerdings die Züchtung menschlicher Gewebezellen aus omnipotenten Stammzellen. Hier gelten in Deutschland durch das Stammzellengesetz sehr eingeschränkte Bedingungen, die jedoch aus der dort zu Grunde gelegten, nicht wissenschaftlich begründbaren Definition eines Menschen resultieren.(s.o.)
Schöner neuer Mensch?
Das Beispiel der Diskussion um die Zulässigkeit oder sogar Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Präimplantations- (PID) oder Pränataldiagnostik (PND) weist deutlich drauf hin, dass die Überbetonung von Freiheitsrechten des Individuums zunehmend in Widerspruch zu diffusen Einforderungen von Menschenrechten gerät, die wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen, aber auch in Widerspruch gerät zu berechtigten Interessen der Allgemeinheit. Wenn PID und PND es Eltern ermöglichen, die Geburt von Kindern mit schweren Erbkrankheiten zu verhindern, so würde ein Verbot dieser Techniken eine wesentliche Beschneidung von individuellen Freiheitsrechten bedeuten, genau so wie eine gesetzliche Forderung nach Feststellung und Abtötung solcher Keime oder wie das Verbot ihrer Abtreibung. Das Letztere wird aber im Namen des Menschenrechts wiederum gefordert, weil Menschenrechte an Zellhaufen verliehen werden, die noch gar keine Menschen sind.
Andererseits ermöglicht die PID in der Perspektive eine positive Selektion guter Erbanlagen und damit im Prinzip die Züchtung besonders intelligenter und leistungsfähiger Menschen. Der Autor betont zwar, dass diese Möglichkeit wegen der damit verbundenen Kosten nur reichen Eltern zur Verfügung steht, ignoriert aber die damit verbundene Tatsache, dass Menschenrechte dann nicht mehr gleich oder auch nur gerecht verteilt werden, sondern mit Reichtum bewichtet sind und dem ärmeren Teil der Bevölkerung entzogen werden. Dieses Problem spielt Markl herunter, indem er darauf verweist, dass
Wider die Gen-Zwangsneurose
In diesem Beitrag warnt der Biologe davor, den Einfluss der Gene auf die Herausbildung einer menschlichen Persönlichkeit überzubewerten. "Denn Gene erzwingen tatsächlich sehr wenig, aber sie ermöglichen ungeheuer viel, und darin liegt ihre wahre Macht."
Evolution als Provokation
So wissenschaftlich gesichert heute auch die Tatsache der Entwicklung des Menschen aus dem Tierreich heraus auch ist, so groß sind die Schwierigkeiten des Menschen im Verständnis des emergenten Überschreitens dreier Grenzen, die der Mensch bei der definitorischen Abgrenzung seiner Art selbst geschaffen hat:
Biowissenschaften
Der Mensch als bisher höchstes Produkt der Evolution zeichnet sich dadurch aus, dass er
Was er mit dieser Grundausstattung anfängt, ist ihm freigestellt, er hat selbstverantwortlich davon Gebrauch zu machen. Der bedeutendste Gebrauch, den der Mensch von den ihm gegebenen Möglichkeiten gemacht hat, war der Erwerb und die Anwendung von Wissen. Nur dadurch konnte er seine Lebensbedingungen verbessern. Auch wenn der Fortschritt der Wissenschaften zeitweilig die Frage aufkommen lässt, ob der Mensch denn weiteres Wissen brauche oder ob es nicht gefährlich sei, weiteres Wissen zu erforschen und zu erwerben, so muss darauf geantwortet werden: Natürlich ist es gefährlich, aber viel gefährlicher wäre es, auf weiteres Forschen und Wissen zu verzichten, denn niemand weiß, wohin die weitere Evolution geht und welches Wissen der Mensch noch brauchen wird, um weiterleben zu können. Die Stopschilder dürfen nicht beim Erwerb des Wissens gesetzt werden, sondern sie müssen bei der dem Menschen schädlichen Anwendung des Wissens gesetzt werden. Die wesentliche Frage lautet also: Was darf der Mensch mit seinem Wissen tun und was darf er nicht tun. Die Beantwortung dieser Frage muss einerseits dem Gewissen jedes einzelnen Menschen überlassen werden, andererseits aber auch gesellschaftlichen Institutionen übertragen werden, an deren Beschlüsse sich jeder einzelne zu halten hat, denn nicht jeder Einzelne kann alle Konsequenzen seines Tuns bis ins letzte übersehen.
Die Kosten der Wissenschaft, die ein jeder mit tragen muss, bestehen nicht nur aus materiellen und finanziellen Mitteln, sondern auch aus dem Verlust liebgewordener Gewohnheiten, Traditionen und Weltanschauungen. Wir können aber nicht auf Forschung und Wissenschaft verzichten, wenn eine Zukunft möglich werden soll. Diese Erkenntnis entspricht der Auffassung, dass der Informationsgehalt eines Systems ein Maß für seinen Entwicklungsstand darstellt.
Lug und Trug als Preis des Wissens?
Wissenschaft als Institution ist von sich aus wahrhaftig, den sie lebt von der Wahrheit und Glaubwürdigkeit ihrer Ergebnisse. Das schließt natürlich keineswegs Irrtümer aus, aber ein Irrtum ist nicht Lug und Trug und er wird über kurz oder lang von der Wissenschaft selbst als Irrtum erkannt und beseitigt. Lug und Trug ist es, wenn wider besseres Wissen etwas Falsches als wahr ausgegeben wird. Das auch so etwas in der Wissenschaft öfters vorkommt, liegt daran, dass Wissenschaft von Wissenschaftlern, d.h. von überdurchschnittlich intelligenten Menschen gemacht wird. Der Mensch hat aber seine Intelligenz evolutionär in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt, in erster Linie also in der Auseinandersetzung mit seiner sozialen Umgebung erworben. Wer klug genug ist, zu wissen, ist auch klug genug, zu lügen. Besondere Fähigkeiten bei der Aneignung von Erkenntnissen über seine Umwelt und über seine Mitmenschen bedeuten deshalb auch besondere Fähigkeiten zur Täuschung seiner Mitmenschen zur Erlangung von Vorteilen im persönlichen Leben. Wenn trotz besserer Fähigkeiten dazu Lug und Trug in der Wissenschaft eher selten angewendet werden, so ist dies nur einer begleitenden Gegenwirkung durch moralische Erziehung und soziale Kontrolle zu danken. "Wer glaubt, dass er niemals täuscht, täuscht wohl nur sich selbst."