Kurzfassung
und Kommentar zu dem Buch von
Alexander Jakowlew
Den
Schriftsteller und Übersetzer Friedrich Hitzer interessieren vor allem die
Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Bereits 1987 entwarf er in
seinem Buch „Lenin in München“ ein Porträt Lenins und untersuchte die
Finanzierung der Oktoberrevolution durch die deutsche kaiserliche Regierung
und deren Generalstab. In diesem Buch erschien Lenin noch in dem Lichte, in
dem er offiziell in der Sowjetunion nach der Entlarvung des Stalin’schen
Terrors durch den 20.Parteitag der KPdSU gezeichnet wurde. Erst nach der Öffnung
der sowjetischen Geheimarchive zeigte es sich, dass Stalin eine von Lenin begründete
Politik konsequent fortgesetzt hatte und das
„Testament“, mit dem Lenin angeblich vor Stalin gewarnt hatte,
unvollständig war. Das veranlasste offenbar den Autor, die Oktoberrevolution
in einem neuen Licht zu sehen und von Anfang an als ein verbrecherisches
Unterfangen zu betrachten, das letzten Endes auch den Nationalsozialismus
Hitlers nach sich zog.
In diesem
Kapitel rechnet Jakowlew mit sich selbst und mit seiner politischen Haltung in
den verschiedenen Abschnitten seines Lebens ab. Er sieht sich eingebunden in
den Parteiapparat des ZK der KPdSU und beschreibt seine allmählich wachsende
Erkenntnis der Widersprüche zwischen den theoretischen Zielen und
Proklamationen seiner Partei und den realen Ereignissen des Lebens und deren
Folgen und erkennt gleichzeitig, dass es unmöglich war, aus den Strukturen
des Parteiapparates heraus diese Situation zu verändern. Auf die Frage, warum
es zu diesen unerträglichen Verhältnissen kommen konnte, findet er nur die
Antwort, dass daran die historisch gewachsene Verhaltensweise der Menschen,
ihr Hang zur Anbetung von Göttern und zum Missbrauch der Macht, und damit
auch er selbst Schuld sind. Er ist sich heute darüber im Klaren, dass die
Reformation dieser Verhältnisse eine äußerst schwierige Aufgabe war, weil
die gesamte Gesellschaft fest in das gewachsene System eingebunden war,
Gorbatschow und er mit viel zu romantischen Vorstellungen an diese Aufgabe
herangegangen sind und sie letztlich diese Aufgabe auch nicht
zufriedenstellend bewerkstelligt haben. Seine Aufgabe als Vorsitzender der
Rehabilitierungskommission führte ihn zur Erkenntnis des von Anfang an
verbrecherischen Charakters des bolschewistischen Systems und die immer wieder
auftauchenden Versuche, die historischen Tatsachen zu verschleiern, deutet er
dahin gehend, dass die in das bolschewistische System eingebundenen
Nomenklaturkader auch heute noch in der Beamtetenbürokratie wirksam und
bestrebt sind, ihre privilegierten Machtpositionen zu behalten.
Jakowlew
beschreibt hier seine bäuerliche Herkunft, seine Erlebnisse als junger
Frontsoldat zu Beginn des 2.Weltkrieges und seine Entwicklung zum Mitarbeiter
des Parteiapparates im Gebiet von Jaroslawl bis zum Tode Stalins. Hieraus erklären
sich seine mir übertrieben erscheinende Betonung der Bedeutung des bäuerlichen
Privateigentums an Grund und Boden, sowie seine Abscheu gegenüber den
irrationalen Grausamkeiten jedweden Krieges, obwohl er zunächst mit
Begeisterung in den Großen Vaterländischen Krieg zog.
Durch
seine Tätigkeit im Parteiapparat lernte er die unter Stalin üblichen
Disziplinierungsmethoden der Partei und die Intrigen der regionalen Funktionäre
vor Ort aus eigener Anschauung und mit Befremdung kennen, was ihn aber nicht
davon abhalten konnte, die ihm angebotenen lukrativ bezahlten und
privilegierten Stellen im höheren Parteiapparat anzunehmen. Wie so viele
Kommunisten glaubte er damals noch, durch seine eigene aktive Mitarbeit die
Ideale der Partei verwirklichen und derartige Missstände überwinden helfen
zu können.
Jakowlew
sieht in der seit Jahrhunderten ungelösten Frage der Boden- und Landreform im
zaristischen Russland den Ursprung der Fehlentwicklung in der Sowjetunion. Mit
der Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern durch den Zaren Alexander II. im
Jahre 1861 wurde nicht der Grund und Boden in den Besitz der Bauern gebracht,
sondern dieser blieb weiterhin feudalistisches Eigentum des Zaren, also des
Staates, und musste von den Bauern gepachtet werden, wofür sie Abgaben und
Frondienste zu leisten hatten. Daraus resultierten revolutionäre Unruhen und
terroristische Aktionen der Bauern, die von der Regierung des zaristischen
Premierministers Stolypin einerseits durch Anwendung brutaler staatlicher
Gewalt niedergeschlagen wurden, andererseits aber durch die Überführung des
staatlichen Eigentums an Grund und Boden in den Privatbesitz der Bauern und
Gutsbesitzer beruhigt werden sollten. Durch diese Privatisierung des Grund und
Bodens wollte Stolypin die Entwicklung des Kapitalismus in Russland befördern,
was eine zeitgemäße fortschrittliche Aufgabe war. Diese Reform führte aber
nicht zur Beruhigung der Unruhen, weil die ärmeren Bauern noch stärker
ausgebeutet wurden und in die Abhängigkeit der reichen Bauern und
Gutsbesitzer gerieten, die ihnen ihre Bodenanteile abkauften. Die Reformen
stießen deshalb auf Widerstand sowohl der armen Bauern als auch der adligen
Feudalherren, so dass diese nicht konsequent umgesetzt und vollendet werden
konnten und Stolypin 1911 ermordet wurde. Aus der bäuerlich geprägten Sicht
Jakowlews hat die Oktoberrevolution 1917 die Stolypinschen
„fortschrittlichen“ Reformen sogar wieder zurückgenommen und den Besitz
an Grund und Boden wieder verstaatlicht, weshalb er in der Oktoberrevolution
eine Konterrevolution sieht, welche die Grundlagen der bäuerlichen Wirtschaft
Russlands letztlich zerstörte.
Die ökonomische
Rückständigkeit Russlands, die Misserfolge im Krieg und die stümperhafte
Kriegführung sowie die ungelösten Probleme in der Landwirtschaft des Landes
ließen die Unzufriedenheit über die Zustände im Lande 1917 über alle Maßen
anwachsen. Von den politischen demokratischen Kräften wurde der zaristischen
Autokratie die alleinige Schuld an diesen Zuständen zugeschrieben. Dies führte
dazu, dass die zaristische Herrschaft von einer revolutionären Welle in kürzester
Zeit und ohne Blutvergessen hinweg gespült wurde. Der Zar trat zurück, bevor
die an die Macht gekommenen neuen politischen Kräfte damit gerechnet hatten
und noch gar nicht auf die Machtübernahme vorbereitet waren. Durch die
Revolution gewannen romantische Idealisten und Kriminelle Oberwasser, die kein
Programm zur Beseitigung der wirtschaftlichen Missstände besaßen, so dass
das wirtschaftliche Chaos immer größer wurde. Zwar wurden von der
Provisorischen Regierung die Unterdrückungsmaßnahmen abgeschafft und
umfassende demokratische Freiheiten gewährt, die sich aber in kontroversen
Diskussionen und Kundgebungen erschöpften und nicht in eine Stabilisierung
der Lage mündeten, sondern vielfach zu Zerstörungen, Diebstahl und Raub führten.
Die allgemeine Unzufriedenheit des Volkes wuchs weiter an, so dass unter
diesen Bedingungen die bolschewistische Konterrevolution die Macht ergreifen
konnte.
Jakowlew
zerschlägt in diesem Kapitel die Revolutionslehre des Marxismus-Leninismus.
Revolutionen sind nicht die Lokomotiven der Geschichte, sondern Ausdruck von
Hysterie und Ohnmacht vor dem erdrückenden Gang der Ereignisse. Zwar stimmt
es, dass Revolutionen ausbrechen, wenn die Herrschenden nicht mehr in der Lage
sind, die herangereiften gesellschaftlichen Probleme zu lösen und die Unterdrückten
und Ausgebeuteten ihre unerträglich gewordene Lage nicht mehr hinzunehmen
gewillt sind, aber jede gewaltsame Revolution erwächst aus dem Mangel an
Verantwortung und Wissen. Die Revolution ist der teuerste Preis des
Fortschritts überall dort, wo es für ein normales, menschliches Leben an
Vernunft, Kultur und Wohlstand mangelt und wo der Reichtum durch Kriege,
elementare Katastrophen und durch kurzsichtige und selbstgerechte Regierungen
permanent zerstört wird.
Es ist ein
Mythos, dass integre und edelmütige Menschen, kluge Köpfe und leuchtende
Seelen eine Revolution machen, weil sie sich um das Glück der Menschen oder
der Menschheit sorgen. Zwar beteiligen sich auch Idealisten,
Altruisten, Romantiker und ganz normale Leute an Revolutionen, aber es
geschehen stets Dinge, die allen über den Kopf wachsen, die Fähigkeit, sich
zu orientieren und vernünftige Entscheidungen zu treffen, geht verloren und
die Menschen merken gar nicht mehr, wie leicht es Verbrechern gelingt, sich
die Maske von Helden überzuziehen. Dies geschah sowohl in der Französischen
Revolution von 1789 bis 1793 wie auch in der Oktoberrevolution 1917, die sich
die negativsten Erscheinungen der ersteren zum Vorbild nahm. Viele Führer
beider Revolutionen glaubten, sie müssten die gesamte Menschheit befreien und
den Triumph der universalen Gerechtigkeit durch Kampf in aller Welt
durchsetzten, bis sie sich einander gegenseitig umbrachten und Terror zu einer
Alltäglichkeit wurde.
Die Französische
Revolution verhalf der Welt immerhin zur Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte
und schuf die Grundlagen für das moderne Rechtsbewusstsein, während die
Oktoberrevolution nichts dergleichen hinterließ, sondern eher einen zerstörerischen
Charakter trug.
Auf 140 Seiten schildert Jakowlew in diesem Kapital an zahllosen Einzelbeispielen aus allen Schichten des Volkes, mit welchen raffinierten und grausamen Methoden in der Zeit der Herrschaft von Lenin und Stalin der Parteiapparat und der Sicherheitsapparat der Tscheka die Herrschaft über das Volk errungen und aufrechterhalten haben. Die Schilderungen sind derart massiv und bis in alle Einzelheiten unfassbar, dass man beim Lesen von jeweils 5 Seiten neu darüber nachdenken muss, ob hier nicht ein antikommunistischer Verleumder am Werke ist, der nichts auslässt, um den Kommunismus in Misskredit zu bringen. Aber der Verfasser ist ja nicht ein x-beliebiger Schriftsteller, dem man diese Absicht ohne weiteres unterstellen würde, sondern ein hoher Funktionär genau dieser Partei, deren Wirken er hier schildert, und er hatte als Vorsitzender der Rehabilitierungskommission von Gorbatschow den Auftrag, genau diese Verbrechen sorgfältig zu untersuchen und aufzuklären. Und er findet zahllose Beweise, dass die obersten Führer der Partei und des Apparates der Tscheka genau diese Vorgehensweisen schriftlich anordneten und millionenfach Erschießungsbefehle und Lagereinweisungslisten persönlich unterschrieben. Man findet überhaupt keine Gründe, weshalb Jakowlew hier lügen und diese Repressionen erfunden haben könnte, und wenn er es dennoch getan haben sollte, so wäre dies im nachhinein wohl noch schlimmer für das öffentliche Ansehen der Führungsspitzen der Kommunistischen Partei, zu denen er gehörte. Unter dem Druck dieser Tatsachen und Beweise wird es verständlich, wenn die Sowjetmacht mit dem Hitlerfaschismus vergleichbar erscheint und sogar als eine deren Wurzeln angesehen werden kann.
Die
Bolschewiki hielten die Machtübernahme im Landesinneren von Anfang an für
den Beginn der Weltrevolution entsprechend den Vorstellungen von Karl Marx.
Marx hatte aber niemals daran gedacht, dass die proletarische Weltrevolution
in dem rückständigen Russland beginnen könnte. Lenin revidierte die
marxistische Lehre von der Notwendigkeit der gleichzeitigen Revolution in
allen entwickelten Industrieländern, die Illusion von der Weltrevolution
blieb aber Kern der sowjetischen Außenpolitik. Mit der Oktoberrevolution
begann der Kalte Krieg und die Sowjetunion unterstützte in allen Ländern die
Kommunistischen Parteien materiell und ideologisch, aber auch diktatorische
Machthaber, die bereit waren, die Führungsrolle der Sowjetunion anzuerkennen
im Kampf gegen die imperialistischen Hauptmächte. Getragen von der
Vorstellung, dass der Imperialismus zum Untergang verurteilt ist, wurden Militär
und Rüstungsindustrie vor allem durch und nach dem 2. Weltkrieg übermäßig
aufgebläht, was die Wirtschaftkraft der Sowjetunion überforderte und zur
Vernachlässigung der Leichtindustrie führte. Erst Gorbatschow erkannte 1985
das Missverhältnis und begann seine entschlossene Reformpolitik auf außenpolitischen
Gebiet, um das gefährliche Wettrüsten zu beenden.
Unter der Herrschaft Chrustschows 1953 bis 1964 war Jakowlew als Instrukteur im ZK der KPdSU zuständig für Presse, Rundfunk und Fernsehen. Seinen obersten Dienstherren schildert er als einen äußerst widersprüchlichen und sprunghaften Choleriker, der immer wieder von neuen Ideen inspiriert war, diese nicht bis zum Ende durchdachten Projekte mit Gewalt durchzusetzen versuchte und damit häufig scheiterte. Stalin selbst war es, der in seinen letzten Tagen festlegte, dass Chrustschow 1. Sekretär der KPdSU werden sollte, dabei aber eingeengt auf Ideologie- und Personalfragen, während seine alten Mitkämpfer Malenkow als Ministerpräsident die Wirtschaft und Berija den Staatssicherheitsdienst unabhängig vom ZK leiten sollten. Damit kam Chrustschow mit den unter Stalin gängigen Mitteln und Methoden zur Macht und erkannte sofort, dass er sich von der Abhängigkeit von Berija befreien musste, wenn er eigene neue Ideen verwirklichen wollte. Mit Hilfe der unter Stalin bewährten Methoden und dem Schukow unterstellten Machtapparat der Armee beseitigte er Berija und setzte mit Serow einen ihm ergebenen, aber im KGB bewährten Mann an seine Stelle, womit er den KGB-Apparat auf seine Seite brachte. Das ermöglichte ihm auch, den alten Stalinisten Malenkow abzusetzen und damit die volle Macht zu übernehmen. Nun war er stark genug, auf dem 20.Parteitag der KPdSU die Entthronung Stalins auf die Tagesordnung zu setzen, was jedoch den Widerstand des Parteiapparates hervorrief, der Stalin noch verehrte und den Verlust seiner eigenen Macht befürchtete.
Das mutige Auftreten Chrustschows auf dem 20.Parteitag brachten dem Lande zwar die Freilassung von Millionen unschuldiger Menschen aus den Lagern des GULAG und die juristische Gleichstellung der Bauern sowie erste Erfolge der internationalen Zusammenarbeit mit dem westlichen Ausland, die Wirtschaft des Landes aber kam nicht wesentlich voran und die Gegner seiner Politik im Parteiapparat schafften es, die Entstalinisierung zu bremsen, zum Stillstand zu bringen und Chrustschwow schließlich abzusetzen. So wurden die Repressionspolitik unter Stalin zwar aufgedeckt und die Betroffenen aus den Lagern freigelassen, die Verantwortlichen wurden aber nicht zur Rechenschaft gezogen und konnten ihre Unterdrückungsmethoden, wenn auch in abgeschwächter Form, unter Breschnew, Andropow und Tschernenko fortsetzen.
Unter Chrustschow wurde Jakowlew beauftragt, die Vorgänge bei der Ermordung der Zarenfamilie unter Lenin im Detail aufzuklären. Er trug das noch auffindbare Archivmaterial zusammen und interviewte die beiden letzten noch lebenden Mitglieder des Erschießungskommandos. Nach der Absetzung Chrustschows interessierte sich jedoch niemand mehr für dieses Material, das erst unter Jelzin wieder hervorgezogen wurde.
Chrustschow scheiterte an seiner Inkonsequenz. Auf der einen Seite zog er alle Macht an sich, ließ sich aber kaum beraten und entschied alles selbst, auf der anderen Seite versäumte er aber, seine Gegner, die kein Interesse an seiner neuen Politik hatten, sondern nur ihre einträglichen Positionen behalten wollten, im Schach zu halten, so dass er den internen Machtkampf verlor.
Leonid Breschnew hatte wenig eigene Ideen, ihm entglitt die Führung des ZK und die Kontrolle über den Parteiapparat und die unteren Parteiorgane. Er hatte die Fähigkeit verloren, das Leben der Gesellschaft zu führen, ließ sich alle Referate von den Mitarbeiter des ZK-Apparates ausarbeiten und genehmigte alle an ihn herangetragenen Projekte ohne Einwände, insbesondere auch die vom militärisch-industriellen Komplex geforderten Projekte und Erweiterungen. Ein Teil der Mitarbeiter des ZK liebedienerte vor ihm, während ein anderer Teil unter dem Deckmantel der Wahrung der Reinheit des Marxismus-Leninismus die Restauration des Stalinismus vorantrieb. Zunächst wurde der Kampf auf der kulturellen Ebene zwischen verschiedenen Literaturzeitschriften ausgetragen. Unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus machten sich insbesondere nationalistische und chauvinistische Strömungen breit, die die weitere Aufdeckung der Stalinschen Verbrechen bekämpften und die Beschlüsse des 20. Parteitages ignorierten. Die Führung des ZK spürte zwar, dass der wachsende russische Nationalismus den proletarischen Internationalismus untergrub, unternahm aber nichts Wirksames dagegen.
Jakowlew war unter Breschnew im Apparat des ZK der KPdSU vom Instrukteur zum Stellvertreter des Referatsleiters aufgerückt, leitete nach dem Ausscheiden des Referatsleiters das Referat 4 Jahre, ohne dass er jedoch vom Politbüro als Leiter bestätigt wurde. Er gewann dadurch immer mehr Einblick in die von unterschiedlichen Interessen der ZK-Sekretäre bestimmten Intrigen gegeneinander, mit denen diese versuchten, mehr Einfluss zu gewinnen. Da diese Verhältnisse Jakowlew gegen den Strich gingen, versuchte er mit verschiedenen Methoden dagegen vorzugehen, bereitete auf diese Weise jedoch nur mehr oder weniger ungewollt seine Versetzung in den Auslandsdienst als Botschafter nach Kanada vor.
In diesem Kapitel beschreibt Jakowlew seine Erfahrungen als Botschafter in Kanada. Während Kanada besonders unter der langjährigen Regierungszeit des Premierministers Trudeau bemüht war, sich von den Bevormundungen der USA zu befreien und ein gutes Verhältnis zur UdSSR herzustellen, wurde dieses Bemühen von der offiziellen Politik in Moskau nicht entsprechend gewürdigt. Insbesondere führte Jakowlew in diesen Jahren einen ständigen Kampf, um die Ungeschicklichkeiten der sowjetischen Geheimdienste zu paralysieren, was an zahlreichen Beispielen demonstriert wird. Dabei hat man aber den Eindruck, dass sich Jakowlew als Botschafter der UdSSR besser mit dem Premierminister Trudeau und dem Außenminister Kanadas verstand als mit den obersten Behörden seines eigenen Landes, insbesondere den Funktionären des KGB. Er schildert den ewigen Kampf zwischen den Sekretären des ZK und dem Chef des KGB in Moskau zur Rolle des KGB in Kanada und verfolgt von Kanada aus das laufende Anwachsen der Macht des KGB in dieser Zeit, die Verschlechterung der Beziehungen zwischen der UdSSR und Kanada und das Anwachsen von Liebedienerei bei den führenden Funktionären des ZK.
1983 wurde Jakowlew aus Kanada zurückgerufen. Er wurde Direktor des Instituts für Internationale Angelegenheiten in Moskau. Zu dieser Zeit war Gorbatschow der Stellvertreter des Generalsekretärs Andropow, später Tschernenkos. Die kritischen Analysen der gesellschaftswissenschaftlichen Institute zur ökonomischen Lage in der SU fanden die Missbilligung des Generalsekretärs und seiner Assistenten, die über die wahre Lage von ihren Nachrichtendiensten im Unklaren gehalten wurden.
Besonders zu der Zeit, als der kranke Tschernenko Generalsekretär war, fanden unter dessen potentiellen Nachfolgern heftige Machtkämpfe statt. Gorbatschow, der Veränderungen herbeiführen wollte, bereitete ein Referat für eine Parteikonferenz vor. Da Tschernenko sehr krank war, war Gorbatschow faktisch der Generalsekretär, aber auf die Zustimmung von Tschernenko angewiesen. Es war charakteristisch für diese Zeit, dass Gorbatschow die Zustimmung Tschernenkos dadurch zu erhalten suchte, dass er ihn in seinen Reden über Gebühr lobte. Ein Teil der Parteibürokratie suchte den Aufstieg Gorbatschows zu verhindern, weil sie ihre Posten zu verlieren glaubten, ein anderer Teil machte sich lieb Kind bei Gorbatschow, um zu profitieren, falls er an die Macht kommt.
Gorbatschows Hauptanliegen war es, die dogmatischen Reglementierungen der Parteiorgane, der Staatsorgane und der Straforgane durch die Perestroika zu überwinden. Hauptmethode dabei sollte sein, durch Information, Glasnost und Freies Wort über alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens öffentlich zu berichten und zu schreiben, um damit die Zensur lahm zu legen und die Machenschaften der Beamtennomenklatur anzuprangern und zu beseitigen. Da die Beamtenbürokratie die davon ausgehende zerstörerische Gefahr für ihre Macht bald erkannte, regte sich erheblicher Widerstand gegen diese Politik. Das Hauptproblem bestand darin, dass auch ohne zentrale Zensuranweisungen das geistige Leben weiterhin behindert wurde, weil untergeordnete regionale Machtorgane und einzelne Personen mit den alten Methoden noch immer Verbote aussprachen und mit Drohungen die Menschen einzuschüchtern versuchten. Außerdem haben die Führer der Perestroika wohl selbst nicht begriffen, dass sie zwar die neue Politik als Mittel zur Festigung und Weiterentwicklung des Sozialismus ausgaben, tatsächlich aber damit die Grundlagen des bisherigen sozialistischen Systems zerstörten. Während ein Teil der Funktionäre für alle Presseorgane unbeschränkte Freiheit des Wortes forderte, verlangte ein anderer Teil gegen Presseorgane vorzugehen, die die Politik der Perestroika nicht unterstützten. Beides gleichzeitig war natürlich nicht realisierbar und so gab es ein ständiges hin und her. Die gleiche Diskrepanz gab es in Bezug auf die Bewertung freier Unternehmerinitiativen in Handel und Wirtschaft. Es gab kein schlüssiges widerspruchsfreies Konzept für die Perestroika, die deshalb über kurz oder lang scheitern musste. Die angebliche Politik zur Festigung und Weiterentwicklung des Sozialismus zerstörte ihre eigenen Grundlagen. Es zeigte sich, dass das Sowjetsystem nicht den Anforderungen entsprach, die an ein evolutionsfähiges System gestellt werden müssen.
Die politischen Verhältnisse im Lande spiegelten sich zunehmend auch auf den Sitzungen des ZK-Plenums wieder. Die fundamentalistische Mehrheit in der Parteiführung sah wohl ein, dass ein partieller Wandel nötig war, wollte aber auf das Monopol der Macht, des Eigentums und der Ideologie nicht verzichten. Sie wollte wie Chrustschow das System erhalten und lediglich von den offensichtlichen Deformationen befreien, die unter Breschnew und Andropow wieder überhand genommen hatten.
Gorbatschow aber wollte radikalere Veränderungen des Systems, echte Demokratisierung und Entwicklung des privaten Unternehmertums, aber unter bürokratischer, staatlicher Kontrolle der sozialistischen Gesellschaft.
Auf dem Oktoberplenum 1987 trat Jelzin auf und warf Gorbatschow vor, die Perestroika unentschlossen anzupacken und die Demokratisierung zu bremsen. Das hatte jedoch nicht den erwarteten, sondern einen entgegengesetzten Effekt: Die Fundamentalisten erhielten Auftrieb und forderten von Gorbatschow die Entlassung von Jelzin aus dem Moskauer Stadtkomitee, was unter dem Druck des Politbüros auch geschah.
1988 erschienen von einigen ZK-Sekretären unterstütze Artikel in Zeitschriften, die eindeutig gegen die Perestroika gerichtet waren. Damit trat die Uneinigkeit im ZK der KPdSU in Fragen der Politik der Perestroika offen zu Tage.
1989 tagte der Volksdeputiertenkongress der UdSSR und stellte nach heftigen Diskussionen die völkerrechtsmäßige Rechtmäßigkeit des Molotow-Ribbentrop-Nichtangriffspaktes und die Unrechtmäßigkeit des Zusatzprotokolls über die Aufteilung der Interessensphären der SU und Hitlerdeutschlands fest, was in der Folge für den Austritt der baltischen Staaten aus der UdSSR von Bedeutung war.
1990 wurde Gorbatschow vom Volksdeputiertenkongress zum Präsidenten der UdSSR gewählt, der auch Lukjanow zum Vorsitzenden des obersten Sowjets wählte. In dieser Eigenschaft leitete Lukjanow im August 1991 den vom Verteidigungsminister, vom Innenminister, vom KGB und von den fundamentalistischen Teilen des Parteiapparates unterstützen Militärputsch gegen den Präsidenten Gorbatschow.
Jakowlew hatte diesen Putsch kommen sehen und Gorbatschow gewarnt, der aber nichts zu seiner Verhinderung unternahm, weshalb Jakowlew seine Entlassung aus dessen Diensten beantragte und aus der KPdSU austrat. Jakowlew hielt zur Verhinderung des Putsches die Gründung einer neuen, sozialdemokratischen Partei für erforderlich.
Der 27.Parteitag 1986 war der erste Parteitag, der von Gorbatschow vorbereitet wurde, nach dem er nach dem Tode von Tschernenko im März 1985 vom ZK zum Generalsekretär gewählt wurde. Im Sommer wurde dann Jakowlew als Leiter des Referates Propaganda ins ZK geholt und mit der Vorbereitung des Referates beauftragt. Der Parteitag fand noch voll im Stil vorausgegangener Parteitage statt. Gorbatschow suchte seine Reformideen in den Parteitag einzubringen, verpackte sie aber in den alten Losungen, so dass viele alte Parteifunktionäre und Nomenklaturbeamten ihren wahren Sinn gar nicht verstanden, aber dennoch zustimmten. So wurde die Perestroika zwar vom Parteitag beschlossen, aber die Beschlüsse wurden nicht umgesetzt. Zur 19. Allunionskonferenz der Partei 1988 ging die mit der Glasnost gelegte Mine hoch. Die Befürworter und die Gegner der Perestroika traten in den Diskussionen offen gegeneinander an und die einander entgegengesetzten Standpunkte traten klar zu Tage.
Auf dem ZK-Plenum im Februar 1990 trat Gorbatschow mit dem Forderungsprogramm der Perestroika offen und unverschlüsselt hervor, was von seinen Gegnern als Verrat am Sozialismus klassifiziert wurde. Auf dem 28. Parteitag im Sommer 1990 wurden die entgegengesetzten Standpunkte heftig diskutiert und gegenseitig bekämpft. Die Befürworter der Perestroika hatten zwar die Mehrheit, Gorbatschow kämpfte aber nicht entschlossen genug für die Durchsetzung seines Programms. Jakowlew, der am schärfsten kritisiert wurde, zog sich deshalb von allen Parteiämtern zurück, was er selbst im Nachhinein als Fehler erkannte. So endete der Parteitag, ohne dass eine klare Linie für die künftige Politik beschlossen wurde. In der Folge wurde dann der Artikel 6 der sowjetischen Verfassung geändert und die dort festgeschriebene Führungsrolle der KPdSU im Staat aufgegeben.
Gorbatschow war der Parteiführer, mit dem Jakowlew am engsten und am längsten zusammengearbeitet hat. In diesem Kapitel beschreibt er die widersprüchliche Persönlichkeit Gorbatschows ausführlich und analysiert die gesamte Periode der Perestroika von 1985 bis 1991 kritisch und selbstkritisch.
Gorbatschow war ein sehr gebildeter, intelligenter und ehrgeiziger Mensch, aber unentschlossen und vertrauensselig. Er leistete sich viele Fehlgriffe in der Beurteilung der Menschen seiner nächsten Umgebung. Er kam mit diesen Eigenschaften zur Macht, weil Gromyko als Führer der alten Garde erkannte, dass nach dem Desaster mit Andropow und Tschernenko nach deren Tod eine hierarchische Nachfolge nicht mehr akzeptabel war. So hatte Gorbatschow zunächst die Unterstützung des gesamten alten Politbüros und Zks. Er selbst glaubte daran, dass es möglich wäre, das sozialistische System mit den alten Funktionen zu demokratisieren und repressive Entartungen zu beseitigen, ohne seinen sozialistischen Charakter zu verändern. Dies war ein Irrtum. Während Jakowlew diesen Irrtum bald erkannte und auf eine konsequente Demokratisierung hinarbeitete, dabei aber auch den Verlust sozialistischer Grundpositionen in Kauf nahm, war Gorbatschow nicht bereit, entschlossen die Demokratisierung bis zum Ende durch zu setzen und ließ sich von den alten Kräften der KGB-Nomenklatura gegen Jakowlew aufhetzen, bis die alten Kräfte wieder die Oberhand gewannen. Ohne die Entfernung der alten Funktionäre und Beamten war eine konsequente Demokratisierung nicht möglich. Nachdem Jakowlew dies erkannt hatte, wurde er beiseite geschoben.
Obwohl Gorbatschow sein Ziel, einen demokratischen Sozialismus zu schaffen, nicht erreicht hat, ist es sein historisches Verdienst, dass das alte dogmatische Unterdrückungssystem des Bolschewismus durch die allmähliche, von Kompromissen durchsetzte Perestroika beseitigt werden konnte. Im alten System war es nicht möglich, sofort einen konsequenten Umschwung herbei zu führen, weil die Trägheitskräfte des Systems dies wirksam verhindern konnten. Obwohl auf ideologischem Gebiet ein Umschwung erzielt wurde, gelang es nicht, in Wirtschaft und Rechtswesen praktische Maßnahmen durch zu setzen und das Leben des Volkes real zu verbessern, wodurch die Unterstützung durch das Volk nachließ und die Vorwürfe an Gorbatschow zunahmen, an der Verschlechterung der Lebensbedingungen Schuld zu sein. Natürlich trug dazu auch eine Reihe falscher Maßnahmen bei, die unter der Herrschaft von Gorbatschow durchgesetzt wurden. Statt sich voll auf die Kräfte der Demokratisierung zu stützen, begann Gorbatschow herumzukommandieren.
Heute besteht die Gefahr der Rückkehr des Bolschewismus nicht mehr. Der Kern der alten Nomenklatura ist fest in Wirtschaft und Unternehmertum verankert, regiert auf neue Weise weiter und ist nicht mehr an einer Restauration interessiert.
Jakowlew war der konsequenteste Vertreter der Perestroika und zog deshalb bald den Zorn der restaurativen Kräfte auf sich. Mit der Freiheit des Wortes erhielten auch die national-chauvinistischen Kräfte die volle Freiheit, gegen Jakowlew zu hetzen. Unter diesem Druck trat er auf dem 28. Parteitag der KPdSU von allen Parteifunktionen zurück. Ihm wurde Vaterlandsverrat vorgeworfen. Besonders der KGB-Vorsitzende Krjutschkow, der fataler Weise auf Vorschlag Jakowlews selbst von Gorbatschow in diese Funktion berufen wurde, tat sich dabei hervor und intrigierte gegen ihn, gab diffamierende Informationen über ihn an Gorbatschow, um diesen gegen ihn aufzubringen, ließ ihn bespitzeln und überwachte seine Telefongespräche. Er erreichte, dass Gorbatschow sich von Jakowlew abwandte. Als Jakowlew erkannte, dass führende Kreise der KPdSU Gorbatschow isolierten und den Staatsstreich vom August 91 gegen ihn vorbereiteten, trat er aus der KPdSU aus, wonach er auch noch ausgeschlossen wurde, um schärfer gegen ihn auftreten zu können.
Nach dem Jelzin in Russland die Kommunistische Partei verboten hatte, ließen die Angriffe auf Jakowlew nicht nach, das Verfassungsgericht hob das Verbot wieder auf und somit konnte die KPR Jakowlew weiter ungehindert angreifen.
In diesem Kapitel beschreibt Jakowlew die Intrigen und Machtkämpfe, die sich die Führer der KPdSU und der Geheimdienste während der gesamten Zeit der Herrschaft des Sowjetsystems gegenseitig lieferten und die das Fundament des Systems bildeten. Bereits Lenin schuf das System, beherrschte es aber noch einigermaßen und sorgte dafür, dass Dzierzynski nicht mit in die Führungsspitze der KPdSU eindringen konnte und so dass Schwert der Partei bleiben musste.
Unter Stalin erstickte dann der Geheimdienst die Partei. Stalin konnte sich der Geheimdienste, die sogar das Politbüro überwachten, nur dadurch erwehren, dass er in regelmäßigen Abständen ihre Führer und die ihnen nahe stehenden Parteifunktionäre zu Volksfeinden erklärte und von deren jeweiligen Nachfolgern hinrichten ließ. Der Abschuss des letzten, Berija, wurde bereits vorbereitet, aber der Tod Stalins kam dem zuvor.
Nach der Erschießung Berijas durch Chrustschow ging der Kampf der Giganten weiter, aber man einigte sich darauf, sich nicht mehr gegenseitig umzubringen und akzeptierte gegenseitig die Begnadigung.
Chrustschow gelang es, den Einfluss der Geheimdienste zunächst zurück zu drängen, wurde aber trotzdem von diesem Apparat ausgeschaltet. Unter seinen Nachfolgern Breschnew und Antonow wurden der Stalinismus restauriert und die Geheimdienste kamen unter Antonow, der selbst zuvor KGB-Chef war, wieder zu voller Blüte.
Unter Gorbatschow wurde der offizielle Einfluss des KGB zwar zurückgedrängt, aber nicht beseitigt. Sein Wirken im Untergrund war nach wie vor bedeutend. Dies war vor allem dadurch möglich, dass es ihm gelang, Gorbatschow mit Fehlinformationen zu versorgen und ihn von allen anderen Informationen abzuschneiden, ihm Misstrauen gegenüber seinen Freunden einzuflößen. Dies wurde nach wie vor von einem Teil der Mitglieder des ZK unterstützt.
Auch heute noch (2002) existieren Strukturen der Geheimdienste und die staatliche Führung ist auf deren Informationen angewiesen und bedient sich ihrer, um ihre eigene Macht zu behalten.
Jakowlew analysiert hier im Nachhinein die gesamte Entwicklung des bolschewistischen Systems und entwickelt eine Theorie für Perestroika und Reformation, die eigentlich vor deren Beginn hätte vorliegen müssen. Dabei wird ihm klar, dass die Voraussetzungen hierfür gar nicht vorhanden waren, so dass verständlich wird, dass die Perestroika mit ihrer ursprünglich verschwommenen Zielstellung am Ende zwangsläufig scheitern musste. Sie konnte unter den vorhandenen Ausgangsbedingungen gar nicht anders verlaufen, als dies dann tatsächlich der Fall gewesen ist. So wie sie verlief, war sie historisch notwendig, um die Welt vom festgefahrenen Sowjetsystem zu befreien. Immerhin war Gorbatschow derjenige, der den entscheidenden Anstoß zur Beendigung des Kalten Krieges gegeben hatte. Er hat international außerordentlich dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen den Staaten zu verbessern. Leider haben die westlichen Gegenspieler im Kalten Krieg die Bemühungen Gorbatschows nicht im gleichen Maße ernst genommen, so dass die Chance verpasst wurde und die beabsichtigte totale Abrüstung nicht zustande gekommen ist. Es war aber wohl auch eine naive Illusion von Gorbatschow und Jakowlew, dies erreichen zu können. Sie haben zwar den verheerenden Einfluss des mitlitärisch-industriellen Komplexes in der Sowjetunion richtig wahrgenommen, den Einfluss dieses Komplexes in den USA aber bedeutend unterschätzt. Es ist nicht gelungen, dort ähnliche reformerische Kräfte in Bewegung zu setzen.
Die Perestroika hat zwar ihr Ziel erreicht, das dogmatische Sowjetsystem zu zerstören, aber ihre Initiatoren hatten kein Konzept für den Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung. Die Beseitigung der Mängel genügte nicht, es hätte etwas völlig Neues geschaffen werden müssen.
Im August 1991 erklärten die Spitzenfunktionäre der KPdSU und der Regierung der UdSSR gemeinsam mit dem Stellvertreter von Gorbatschow während dessen Urlaubs den Notstand und besetzten Moskau mit Panzern. Das Volk von Moskau verweigerte jedoch mit Unterstützung Jelzins den Gehorsam. Jakowlew rief auf Kundgebungen zur Rettung der Demokratie auf und verurteilte eindeutig den von Führern der KPdSU angezettelten Militärputsch, während Gorbatschow die KPdSU, deren Generalsekretär er ja noch war, in Schutz nahm und keine wirksamen Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage ergriff. Jelzin unterstützte die Demokratiebewegung in Russland, hatte faktisch die Macht als Präsident Russlands, war aber auf ihre konkrete Ausgestaltung nicht vorbereitet. Die Auflösung der UdSSR wurde mit der Bildung der KP Russlands durch den orthodoxen Flügel der KPdSU eingeleitet und im Dezember 1991 mit der verfassungswidrigen Erklärung der 3 Präsidenten Russlands, Weißrusslands und der Ukraine abgeschlossen. Damit wurde die von Gorbatschow vorbereitete Umwandlung in eine Konföderation hintertrieben.
Im Oktober 1993 kam es wieder in Russland zu einem von den restaurativen Kräften organisierten Putsch, den Jelzin mit Waffengewalt niederschlug. Aber weiterhin rangen Restauration, Demokratisierung und zunehmend das große Kapital mit verstärkter Korruption um die Macht.
Jakowlew versuchte sich einige Zeit als Vorsitzender des Funk- und Fernsehwesens bei der Regierung Russlands, ging aber im Chaos von Inkompetenz, und politischer Ignoranz und Hetze gegen ihn unter und reichte seinen Rücktritt ein.
Jelzin vertrat zwar demokratische Positionen, setzte aber nichts durch, macht viele Fehler und das Regierungschaos wurde immer größer, was ziemlich locker in Form von Hinterhaus-Treppenklatsch erzählt wird. Die Beamten entscheiden alles und haben nichts zu verantworten. Sie sind reicher als die Unternehmer und die Polarisierung zwischen Oben und Unten ist ungeheuerlich.
Jakowlew analysiert die noch immer chaotische Situation in seinem Land. Es ist nicht das, was er sich vorgestellt hat und was er erreichen wollte mit seinem persönlichen Einsatz für die Reformation der Gesellschaft. Er hat vieles kommen sehen und hat die Führer gewarnt, erkennt aber auch , dass seine Vorstellungen utopisch waren und die Menschen seines Landes einschließlich er selbst noch nicht reif genug sind, sie zu verwirklichen.
Was Putin betrifft, so war sich Jakowlew nicht sicher, wie er ihn einschätzen sollte, er war undurchsichtig. Er traute ihm aber zu, dass es ihm gelingen könnte, das Vertrauen in die Macht des Staates wieder herzustellen und diese Macht mit der Initiative des Volkes zu vereinigen, auch wenn dazu Winkelzüge und Tricks notwendig sein sollten, die zunächst undurchsichtig sind.
Im Anhang werden 18 Dokumente, Reden und Briefe im Wortlauf angeführt, die Jakowlew zwischen 1989 und 2000 ausgearbeitet, vorgetragen oder an die jeweiligen Präsidenten geschickt hat, aus denen seine Haltung in den jeweils aktuellen Situationen zweifelsfrei hervorgeht.
!989 untersuchte eine Kommission des Volksdeputiertenkongresses der UdSSR unter Leitung von Jakowlew die Rechtmäßigkeit des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspaktes von 1939. Sie kam zu dem Schluss, dass der Pakt in Anbetracht der politischen Lage im August 1939, der Haltung von England und Frankreich gegenüber der SU und Hitlerdeutschlands und der Kenntnisse, die die sowjetische Führung aus ihren Nachrichtendiensten damals hatte, völlig gerechtfertigt und geeignet war, den Überfall Deutschlands auf die SU um mindestens 2 Jahre hinauszuschieben. Der Pakt entsprach auch den damaligen internationalen Gepflogenheiten und den in der SU geltenden Gesetzen. Erst durch den Überfall auf die SU 1941 verlor der Vertrag seine Rechtsgültigkeit.
Nicht so das geheime Zusatzprotokoll über die Aufteilung der Interessensphären. Es war von Anfang an illegal, verletzte die Souveränität dritter Staaten, wurde von Molotow und Stalin selbst vor dem Politbüro der KPdSU geheimgehalten und Molotow war gar nicht bevollmächtigt, ein solches Protokoll zu unterzeichnen. Von der Existenz des Geheimprotokolls erfuhr die Öffentlichkeit erst durch den Nürnberger Prozess. Die Originale des Protokolls wurden bis 1989 nicht aufgefunden, obwohl die Kommission in der ganzen Welt intensiv danach suchte. Die Echtheit der Kopien wurde deshalb immer wieder angezweifelt, von der Kommission Jakowlews aber zweifelsfrei nachgewiesen. Erst Ende 1992 wurden die Originale des Geheimprotokoll im Archiv des russischen Präsidenten entdeckt, zusammen mit den Beweisen, dass Gorbatschow als Präsident der UdSSR von deren Existenz wusste.
Die Bewertung des Geheimprotokolls war insbesondere im Zusammenhang mit dem später erfolgten Austritt der Baltischen Republiken aus der Sowjetunion von Bedeutung.
Nach einer allgemeinen Analyse der Ergebnisse der Perestroika, die Jakowlew als eine historisch unausweichliche Notwendigkeit ansah, erläuterte er als Vorsitzender der Kommission für Internationale Politik den konsequent auf internationale Entspannung und Beendigung des Kalten Krieges ausgerichteten neuen Kurs der Sowjetunion. Innenpolitisch befasste er sich mit der Erforschung der Repressionspolitik des sowjetischen Systems und charakterisierte diese Politik als widerrechtlich und die sozialistische Idee diskreditierend. In den 30er Jahren gab es außer den bekannten 4 öffentlichen Schauprozessen allein in Moskau noch über 60 vor der Öffentlichkeit verborgen gehaltene. Die unbestreitbare Anzahl hunderttausender zu Unrecht bestrafter und rehabilitierter Menschen beweist allein durch ihre Zahl, dass hier nicht nur persönliche Willkür, sondern systemische Ursachen wirksam waren, die radikal ausgemerzt werden müssen. Nur schonungslose Offenheit, Aufklärung und Freies Wort könnten die Wiederholung solcher Machenschaften verhindern.
Im Laufe des Jahres 1991 erkannte Jakowlew immer deutlicher, dass der Parteiapparat und der fundamentalistische Teil der Führungskräfte antraten, die eingeleitete Perestroika zu sabotieren und rückgängig zu machen. Durch seinen Rückzug aus allen Parteifunktionen auf dem 28. Parteitag hatte er auch nicht mehr die Möglichkeit, innerhalb der Partei wirksam dagegen vorzugehen. Deshalb erklärte er seinen Austritt aus der KPdSU und erläuterte ausführlich seine Gründe dafür in diesem offenen Brief an Gorbatschow. Da der Brief, der die Parteiführung einer massiven Kritik unterzog und ihr vorwarf, die dogmatischen stalinistischen Methoden restaurieren zu wollen, vor einem Staatsstreich warnte und nicht publiziert wurde, nimmt J. an, dass er Gorbatschow möglicherweise gar nicht zugestellt wurde. Dem Referat für Allgemeines des ZK und dem KGB aber wurde er bekannt.
Während des Augustputsches rief Jakowlew zur Verteidigung der Verfassung auf.
Von den restaurativen Kräften der KPdSU wurde der Antrag auf Einleitung eines Strafverfahrens gegen Gorbatschow, Jakowlew und Schewardnadse gestellt, in dem diese massiv des Vaterlandsverrates, der Verbreitung verleumderischer Lügen über das Sowjetsystem, der Sabotage der Volkswirtschaft und der Schwächung der Militärmacht beschuldigt werden und ihre Verhaftung gefordert wird.
In dieser ausführlichen Stellungnahme analysiert Jakowlew die gesamte Tätigkeit der KPdSU und ihre Methoden, angefangen von der Stalinzeit bis zur Gegenwart. Er beschreibt die Wandlung seines Verhältnisses zur Partei während seines gesamten bisherigen Lebens und stellt fest, dass nicht nur er sich verändert hat, sondern dass die Partei selbst immer wieder mehrmals versucht hat, Ideologie und bolschewistische Methoden zu verändern und aus sich selbst heraus zur Politik der Perestroika übergegangen ist. Dennoch hat der Parteiapparat es nicht geschafft, den Charakter der KPdSU grundlegend umzukrempeln, obwohl dies dringend notwendig gewesen wäre. Ohne diese Veränderung sei die Partei nicht lebensfähig und man darf ihr nicht gestatten, ihren Anspruch als alleiniger Wahrheitsträger und einzig führende Partei des Staates durchzusetzen. Dennoch glaubt Jakowlew, dass der Marxismus-Leninismus neben anderen Anschauungen wie auch die Kommunistische Partei eine Existenzberechtigung hat und sozialistische Ideen in der Gesellschaft weiterleben werden.
Der ehemalige KGB-Vorsitzende Krjutschkow beschuldigte in einem Zeitungsartikel Jakowlew der Spionage, der Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdiensten und der Vorbereitung der Machtergreifung, was zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Jakowlew führte. Nach Vernehmung einer größeren Zahl von Mitarbeitern des KGB sowie auch Gorbatschows konnte die Generalstaatsanwaltschaft jedoch keinerlei Beweise für eine derartige Anschuldigung finden und stellte weitere Untersuchungen ein.
Der hier angeführte eher uninteressante Text enthält den von Jakowlew vorbereiteten Entwurf einer Rede Jelzins vor der verfassunggebenden Versammlung, die Jelzin aber nicht gehalten hat.
Vorschlag zur Umwandlung der Staatlichen Rundfunk- und Fernsehgesellschaft in eine Aktiengesellschaft
Vorschlag zur Bildung einer sozialdemokratischen Partei Russland auf der Basis der Bewegung „Unser Haus – Russland“
In diesen beiden Aufrufen Versucht Jakowlew vor den Wahlen darauf Einfluss zu nehmen, die restaurative Ideologie der KPRF, die sich als Rechtsnachfolger der KPdSU verstand, mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen und vor den Aktivitäten einer Restauration des Bolschewismus zu warnen.
Nach einem kurzen Abriss der Geschichte der russischen Sozialdemokratie charakterisierte Jakowlew den aktuellen russischen Staat u.a. wie folgt:
„Der Staat heute ist frei vom Volk, setzt er doch die alte Tradition aus zaristischer und stalinscher Welt fort, über der Gesellschaft und dem Menschen zu stehen – daher bietet die Staatslakaienkaste sich als seine soziale Hauptstütze an. Der Definition nach hat die Bürokratie ihrerseits die Neigung, die Herrschaft des Staates über die Gesellschaft zu erhalten, die Kommando-, Verfügungs- und Herrschaftsfunktionen zu verstärken und damit auch die autoritären Einstellungen und Strukturen. ...
... Der Staat und ein sehr enger Personenkreis ... können es sich gestatten, das Eigentum, das niemandem gehört, beliebig auszubeuten und dies praktisch unkontrolliert.“
Hier kritisiert Jakowlew die Landwirtschaftpolitik Russlands als eine grundsätzlich falsche, nicht auf die Entwicklung der Markwirtschaft, sondern auf die alten, zentralgesteuerten Bedürfnisse eines Ministerium für Landwirtschaft ausgerichtete Politik.
4. 8. 2011
Bertram Köhler