Selbstorganisation und Entropie in ökologischen und ökonomischen Prozessen
(Frank Beckenbach/HansDiefenbacher Marburg 1994)
1. Die Begriffe Selbstorganisation und Entropie sind bei der Analyse ökologischer und ökonomischer Prozesse mit Erfolg anwendbar, wenn man sich nicht auf die Feststellung oberflächlicher Analogien beschränkt. Bei Berücksichtigung der jeweiligen Systemspezifitäten können sie wesentlich zur Aufhellung der internen Funktionsweise von biologisch - ökologischen und ökonomischen Systemen beitragen.
2. Die thermodynamischen Prozesse in der Physik und die Entwicklungsprozesse in der Gesellschaft haben gemeinsam, daß ihr zeitlicher Ablauf unumkehrbar ist. Der chaotische Charakter der mikroskopischen Bewegung von Vielteilchensystemen führt zur makroskopischen Irreversibilität und zur qualitativ neuen, kreative Züge tragenden Bewegung der Selbstorganisation. Nicht nur für eine korrekte Modellierung der Probleme der Umwelt und der Ressourcen, sondern auch für die vollständige thermodynamische Modellbildung des Produktionsprozesses ist die Einbeziehung der Entropie unabdingbar, es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß das Problem einer Quantifizierung von Entropieflüssen für ökonomisch - technische Prozesse ebenso wie für ökologische Flüsse und für Flüsse von Ressourcen heute noch nicht gelöst ist. Stochastische chaotische Prozesse sind die Triebkräfte der Evolution. Das Ausprobieren und Bewerten neuer Wege ist die Hauptmethode der Evolution. Im Rahmen der Evolution gibt es keine sinnlosen Versuche, denn der Irrtum ist sozusagen eingeplant. (Ebeling)
3. Bei der Diskussion von Ordnungsbildungsphänomenen in sozialen oder ökonomischen Systemen können systemtheoretische Erkenntnisse der Naturwissenschaften erkenntnisfördernd sein. Die Thermodynamik offener Systeme steckt dabei aber nur den äußersten Erkenntnisrahmen ab. Ein echter Erkenntniszuwachs ist zu erwarten, wenn das ökonomische System in systemtheoretischer Hinsicht genau spezifiziert und insbesondere in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Systemklasse identifiziert wird. Eine Unterscheidung der Strukturen in konservative und dissipative erscheint hilfreich, glasartige konservative Strukturen scheinen für ökonomische Modelle besonders interessant zu sein. (Ralf Der)
4. Eine evolutorische Umweltökonomik versteht das Ökologieproblem als Problem der Selbststeuerung und Adaptation des sozialökonomischen Systems an ein dynamisches ökologisches Umsystem, das in anderen Zeitstrukturen evolviert als das Gesellschaftssystem selbst. Zur Beschreibung kommt ein stochastisches Modell in Frage, das dieses auf Grund unterschiedlicher Informationskapazitäten, Nutzensvorstellungen und Erwartungshaltungen unterschiedliche Verhalten der agierenden Individuen in Subpopulationen einteilt und mit einem stochastischen Ansatz erfaßt. Dabei ist wesentlich, daß die Verhaltensmuster der Individuen von langsam veränderlichen Ordnungsparametern abhängen, die zum großen Teil von den Verhaltensmustern der Individuen kollektiv bestimmt werden, so daß wesentliche nichtlineare Rückkopplungen vorliegen. Ein schwieriges, noch nicht zufriedenstellend gelöstes Problem ist dabei die Modellierung von Innovationen, da jeder andere als rein zufällig gewählte Ansatz von vorn herein im Modell enthalten sein muß und daher a priori keine Innovation ist.
Ökologische Forderungen sind nicht als normative Festlegungen zu betrachten. Ein solches Vorgehen wäre konservativ und hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Sie sind vielmehr Gegenstand wissenschaftlicher Analysen und aus dem Erhalt der Evolutionsfähigkeit abzuleiten. Dieser Prozeß ist jedoch noch nicht theoretisch klar und vielfach mißverstanden. Es kommt nicht darauf an, den gegenwärtigen Zustand des ökologischen Systems unverändert zu erhalten, sondern das Entwicklungstempo des ökonomischen Systems mit dem des ökologischen Systems in Übereinstimmung zu bringen und den Gegebenheiten der Koevolution beider Rechnung zu tragen. (Markus Pasche)
5. Steuerung und Selbstorganisation schließen sich gegenseitig aus. Selbstorganisation ist eine spezielle Form des "Zusammenwirkens" von Prozessen. Diese Form wird allein von der Kopplung der Prozesse bestimmt. Sie kann nicht partiell verändert werden, ohne Gefahr zu laufen, auseinanderzufallen. Die Steuerung sozialer Prozesse ist mit einer weiteren Schwierigkeit verbunden. Soziale Prozesse verändern ihre Gesetzmäßigkeit in Abhängigkeit von ihrer eigenen Geschichte. Die Ursache für diese Komplexitätssteigerung liegt darin, daß soziale Gesetzmäßigkeiten soziales Handeln nicht eindeutig bestimmen. Die Gesetze müssen interpretiert werden und diese Interpretationen sind wieder Gegenstand sozialer Selbstorganisation. Einen Ausweg aus diesem Steuerungsdilemma liefert die experimentelle Planung. Sie ist ein rekursives Verfahren, das die Steuerungswirkungen an die Steuerung rückkoppelt. Dadurch wird die Steuerung, die selbst ein komplexes Netzwerk sein kann, in Abhängigkeit von den Prozessen, die sie steuern soll, verändert und letztendlich in die Prozeßdynamik integriert. Neue Eigenlösungen können auftreten und als Erfolg der Steuerung gelten. Dabei ist nicht jeder Zustand erreichbar. Nur solche sind möglich, die der gekoppelten Dynamik von Gesamtprozeß und Steuerung entsprechen. Das ist deutlich weniger als es die Überheblichkeit einer technokratischen Steuerungseuphorie einen glauben machen will, aber auch mehr als die fatalistische Unterwerfung unter ein unbeeinflußbares Schicksal. (Günter Küppers)
6. Biologische und Ökologische Systeme sind dissipative Strukturen, die von der freien Energie der Sonne angetrieben werden. Durch Ausnutzung aller Energiereserven in der Nahrungskette und den Abfällen gelingt der Aufbau immer komplexerer Ordnungen, wobei die totale Entropieproduktion durch die erhöhte dissipative Aktivität bis zum Erreichen eines stationären Zustandes ständig zunimmt und sich das Ökosystem immer weiter vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt (Maximum Power Prinzip). Dabei erhöht sich die ökologische Effizienz, und die spezifische Entropieproduktion bezogen auf die gesamte Biomasse sinkt. Das ökonomische System ist ein offenes System, das ständig freie Energie aus dem ökologischen System bezieht, Entropie produziert und an das ökologische System abgibt. Die Konzentration der Rohstoffe aus den geologischen Lagerstätten bedeutet eine Senkung ihres Entropiegehaltes entsprechend dem erforderlichen Maß der Konzentrationserhöhung und ist nur durch Energiezufuhr und entsprechende Entropieproduktion möglich. Desgleichen ist die Abfall- und Schadstoffemission ein Verdünnungsprozeß, der mit Entropieerhöhung verbunden ist. Die exakte Berechnung aller Entropieproduktionskennziffern des Ökosystems ist aber eine zur Zeit noch ungelöste Aufgabe. Die Trends verlaufen noch immer in der Richtung, daß eine Steigerung der ökonomischen Effizienz zu einer Abnahme der ökologischen Effizienz führt. Wenn auch die direkte Anwendung des Entropiesatzes in der ökologischen Ökonomie noch auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, so gelten doch folgende allgemeinen Aspekte auch in der ökologischen Ökonomie: