Ökonomische Evolutionstheorie.
(nach Peter Weise)
1.Begriffe
Die von Weise benutzte Definition von Evolution und Selbstorganisation ist vergleichsweise unscharf. Ebeling definiert exakter. Nach Weise ist
Für die ökonomische Evolution werden 4 Kräfte in Anspruch genommen, durch deren Wechselwirkung die Evolution vorangetrieben wird.
Die Fluktuationskraft besteht aus Mutationen, Variationen und Innovationen und zerstört die etablierte Struktur, wodurch eine Tendenz zur Unordnung entsteht.
Die Selbstverstärkungskraft besteht aus Interaktionen mit positivem Feedback und Konformitätsprozessen und erzeugt eine Tendenz zum Aufbau von Strukturen und zum Übergang zu einem Zustand höherer Ordnung.
Die Hemmungskraft besteht aus Interaktionen mit negativem Feedback, Antikonformitätsprozessen und Reibungsprozessen, die das unbegrenzte Wachstum des Systems beschränken und eine Tendenz zum Gleichgewicht erzeugen.
Die Bevorzugungskraft selektiert bestimmte Wachstums und Entwicklungspfade und zieht eine bestimmte Struktur einer anderen vor.
2. Die Synergetik der Evolutionsprozesse
In einem System , indem die Individuen mit bestimmten Übergangswahrscheinlichkeiten aus einem Zustand in einen anderen überwechseln können, kann man 3 verschiedene Fälle unterscheiden:
Sind die Übergangswahrscheinlichkeiten gleich und konstant, so wird aufgrund der Fluktuationskraft ein einmal erzeugter Ordnungszustand in einen Zustand geringerer Ordnung transformiert, in dem alle Zustände mit gleicher Wahrscheinlichkeit realisiert sind (Zustand maximaler Entropie)
Sind die Übergangswahrscheinlichkeiten ungleich und konstant, so wird aufgrund der Bevorzugungskraft ein Ordnungszustand realisiert, dessen von außen gesetzte Eigenschaften von den Individuen präferiert werden.
Sind die Übergangswahrscheinlichkeiten monoton wachsende Funktionen der Anzahl der Individuen, die sich im jeweils anderen Zustand befinden, so entwickelt sich das System aufgrund der Selbstverstärkungskraft von der Gleichverteilung weg in einen Zustand höherer Ordnung, dessen innere Eigenschaften von der Interdependenz der Individuen bestimmt wird. Durch Hemmungskräfte langer Reichweite kann der Selbstverstärkungsprozeß abgeschwächt werden und ein internes Gleichgewicht erreichen, das von den Verhaltensinterdepenzen der Individuen bestimmt wird.
Gesellschaftliche Normen sind Ordner, die durch das Zusammenwirken der Individuen erzeugt werden und an denen sich umgekehrt jedes einzelne Individuum orientiert. Sie stellen somit Verhaltensregelmäßigkeiten dar, die durch das Zusammenwirken der Individuen entstehen und aufrechterhalten werden, indem sie rückkoppelnd die Ursachen stabilisieren, aus denen sie entstehen und aufrechterhalten werde. "Gute" Normen setzen sich nur durch Mutation und Selektion durch.
Ordner des gesellschaftlichen Systems sind die langsam veränderlichen Variablen der kulturellen Entwicklung wie Normen, Regeln, Wissen u. dgl., die zwar von den Menschen geschaffen werden, als kollektive Moden aber von den Individuen unabhängig sind. Sie bestimmen die Bevorzugungskraft, die die Umweltbedingungen auf die individuellen Handlungen koppelt.
Schnell veränderliche Variable, wie Preise, Steuern, wirtschaftliche Entwicklungsparameter streben schnell einem Gleichgewicht zu, unterliegen der Fluktuationskraft, werden in ihrer langsamen Dynamik von den Parametern der kulturellen Entwicklung bestimmt und steuern das Verhalten der Individuen. Innovationen entstehen in diesem Bereich stochastisch und stören das Gleichgewicht, haben aber nur dann wesentlichen Einfluß auf die Evolution, wenn nicht vorhergesehene Auswirkungen auf die langsam veränderlichen Parameter entstehen.
Je nach der relativen Stärke der einzelnen Evolutionskräfte gibt es Gleichgewichte und Phasenübergänge. Ist die Bevorzugungskraft null und die Fluktuationskraft stärker als die Selbstverstärkungskraft, so gibt es starke Fluktuationen um eine stabile Gleichgewichtslage. Bei größerer Selbstverstärkungskraft wird die alte Gleichgewichtslage in zufällig bestimmter Richtung verlassen, bis die Hemmungskraft wirksam wird. Ist eine Bevorzugungskraft vorhanden, die in die entgegengesetzte Richtung der Selbstverstärkungskraft weist, so wird die Stabilität des Gleichgewichtes vermindert und die Fluktuationskraft kann einen plötzlichen Übergang in die bevorzugte Richtung bewirken. Da die Bevorzugungskraft durch langsame Veränderungen der Ordnungsparameter bestimmt wird, kann das System längere Zeit in einer Gleichgewichtslage verbleiben und plötzlich in eine neue Gleichgewichtslage übergehen.
Trifft eine starke Selbstverstärkungskraft auf eine starke Hemmungskraft, so kommt es zu zunächst zu Schwingungen zwischen zwei Gleichgewichtslagen und später zu chaotischem Verhalten und nichtperiodischen Schwingungen des deterministischen Chaos. In diesem Zusammenhang konstatiert Weise auch Selbstähnlichkeit des Verhaltens und der gesellschaftlichen Ordnungsstruktur auf hierarchisch geordneten Ebenen.
Anhand des Falke - Taube - Modells wird das Entstehen einer altruistischen Moral im Evolutionsprozeß bei unterschiedlichen Gewinn - Schaden - Relationen und Verhandlungskosten diskutiert und das Entstehen unterschiedlicher Verhaltensmuster begründet. Konkurrenz und Kooperation bilden damit ein evolutorisches Gleichgewicht, das Kräfte freisetzt, die in Richtung von Gruppenbildung wirken.
3. Einschätzung
Weise interpretiert soziale Entwicklungen konsequent anhand der Haken'schen Synergetik, wobei er die 4 phänomenologischen Evolutionskräfte einführt. Dabei ist nur wenig originäre ökonomische Substanz zu erkennen, was ihm den Vorwurf von Rainer Schwarz einbringt, er habe in seinen Konzepten keine einzige "ökonomische Art" oder "ökonomische Population" identifiziert. Hier schießt aber m.E. Schwarz mit seiner Kritik über das Ziel hinaus, indem er einen Reduktionismus fordert, der gerade nicht das Anliegen der Evolutionstheorie ist.