Warum es die Welt nicht gibt.

Kommentar zu dem gleichnamigen Buch von Markus Gabriel

 

Gabriel glaubt eine neue Grundrichtung der Philosophie gefunden zu haben, die er Neuen Realismus nennt.

Er verwirft zunächst den Materialismus als eine zu einseitig auf materielle Existenz ausgerichtete Weltanschauung, die Bewusstseinszustände unzureichend erklären kann und allenfalls als wissenschaftlich begründbare Abbildungen der materiellen Welt zu deuten vermag.

Die Unzulänglichkeiten dieser Weltanschauung haben bereits die Konstruktivisten erkannt, die aus der Tatsache, dass wir Erkenntnisse über die Welt nur durchVereinigung und Aufbereitung von Sinneswahrnehmungen gewinnen können und daraus unser Weltbild konstruieren, den falschen Schluß gezogen haben , die Welt existiere gar nicht wirklich, sondern nur in unserer Vorstellung. Gabriel widerlegt diese Auffassung und zeigt, dass unsere Vorstellungen sehr wohl auf in der Realität vorhandenen Gegenständen und Tatsachen beruhen müssen, wenn auch wir uns mitunter irren können. Dies hatte aber bereits Karl Popper erkannt und damit den Kritischen Realismus begründet, der die Existenz von drei Welten postulierte, die Welt der realen Dinge und Tatsachen, die Welt der daraus abgeleiteten Vorstellungen , die sich nur in den Gehirnen der Menschen befinden und die Welt der wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnisse , die in allen Menschen zugänglichen Büchern, Filmen, und anderen Medien abgelegt sind.

Merkwürdigerweise erwähnt Gabriel Popper und dessen Weltanschauung in keiner Weise, obwohl diese seiner eigenen sehr ähnlich ist.

Auch Popper verwirft die Existenz einer einheitlichen Welt, definiert aber dafür drei Welten mit genau bestimmten Wechselwirkungen: Die in der Welt 1 vorhandenen und stattfindenden Dinge und Ereignisse können durch die in der Welt 2 vor sich gehende wissenschaftliche Forschung des Menschen erkannt, geordnet und in der Welt 3 als Theorien und Regeln abgelegt werden. Die Welt 3 kann von sich aus nicht mit der Welt 1 in Verbindung treten, sondern nur der Mensch kann mittels der Welt 2 durch sein Handeln die in der Welt 3 abgelegten Erkenntnisse in die Welt 1 überführen, deren Richtigkeit dort überprüfen und zu seinem Nutzen anwenden.

Statt die Existenz dieser 3 Welten zu akzeptieren und zu bestätigen, befasst sich Gabriel mit der Definition des Begriffes "Existenz" und definiert Existenz neuartig als Erscheinung in einem Sinnfeld. Da er aber gleichzeitig nicht vom Begriff einer einheitlichen, allumfassenden Welt ablässt, kommt er zu der eigenartigen Auffassung, dass eine solche gar nicht existieren kann, weil er kein allumfassendes Sinnfeld findet, in dem eine allumfassende Welt existieren könnte.

 Die Welt mit ihrer Größe und Komplexität scheint tatsächlich nicht als einheitliches Ganzes zu existieren, die von Popper entwickelte Anschauung von den 3 Welten in drei verschiedenen Sinnfeldern ist aber durchaus vereinbar mit der von Gabriel vertretenen Weltsicht. Ich frage mich nur, warum Gabriel in keiner Weise aufhttp://freunde-des.wissenschaffen.org/Popper eingeht. Hat er ihn nicht gelesen oder nicht verstanden oder ist es ihm nicht gelungen, ihn zu widerlegen?

Auch Hans-Josef Heck hat sich auf seiner Website in einem Aufsatz mit der trotzigen Überschrift "Und es gibt sie doch" mit dem Weltbild von Gabriel auseinander gesetzt, ohne allerdings näher darauf einzugehen. Dabei gäbe es jedoch durchaus Anknüpfungspunkte, denn die von Heck in den Mittelpunkt gestellte Frage des "wozu" der Wissenschaft hat Parallelen zu der von Gabriel abgelehnten Zielstellung der" Erklärung" der Welt durch die Wissenschaft. Bei Gabriel wird die Zielstellung der jeweiligen Wissenschaft durch das Sinnfeld vorgegeben, in dem sie in Erscheinung tritt. Und das Sinnfeld bestimmt der jeweilige Forscher, wie auch von Heck gefordert.

Heck fordert eine strikte Unterscheidung von vier Wissenschaftsrichtungen mit unterschiedlichen Zielstellungen:

- Welterkenntnis, Erkennen der Regelmäßigkeiten zu ihrer Nutzung

- normative Regelungen zur Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung

- Methodik der Wissenschaftlichen Forschung und ihrer Dokumentation

- kreative Innovationen zur Weiterentwicklung der Welt

 

Man könnte diese vier Wissenschaftsrichtungen problemlos in vier "gabrielsche" Sinnfelder einordnen, die den "heckschen" Anforderungen gerecht werden.

 

Das gemeinsame der drei Weltbilder scheint mir zu sein, dass alle drei eine einheitliche Welt ablehnen, in der alles mit allem verbunden ist und miteinander in Wechselwirkung steht. Angesichts der Größe und Komplexität dieser Welt ist es naheliegend anzunehmen, dass nicht alle Teile miteinander wechselwirken können, so wie auch der Mensch mit seinem kleinen Gehirn nicht alle der möglichen Wechselwieirkungen erfassen kann. Deshalb sollte man die Grundauffassung Gabriels akzeptieren und die Vorstellung von einer Welt als einem einheitlichen Ganzen fallen lassen. Diese eine Welt gibt es tatsächlich nicht.

 

Bertram Köhler, Dezember 2018