Zur Entscheidungsfähigkeit des
Menschen im gesellschaftlichen Umfeld
(Erkenntnisse aus dem Kolloquium der
Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen am 21.4.2001 in Dresden)
- Jede Einflussnahme des
Menschen auf die weitere Evolution erfordert
Entscheidungen, durch die der Evolution innewohnende
Entwicklungsmöglichkeiten in Realitäten verwandelt
werden. Derartige Entscheidungen sind immer auch
Entscheidungen konkreter Individuen, die durch
individuelle Erfahrungen, Kenntnisse und Interessen
bestimmt werden. Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass
derartige subjektive Entscheidungen prinzipiell Einfluss
auf gesellschaftliche Entwicklungen haben.
- Obwohl jeder in seinem
persönlichen Leben laufend Entscheidungen treffen muss,
die zum Teil auch Auswirkungen auf die Gesellschaft
haben, kann er keineswegs "frei" willkürliche
Entscheidungen treffen, nicht einmal solche, die nur sein
persönliches Leben betreffen, geschweige denn solche mit
gesellschaftlicher Relevanz. Seine Entscheidungsfreiheit
wird durch eine ganze Reihe von Voraussetzungen und
Bedingungen eingeengt, wenn man davon ausgeht, dass jede
echte Entscheidung nur dann relevant ist, wenn sich aus
ihr praktische Auswirkungen ergeben.
- Welche Art von
Entscheidungen ein bestimmtes Individuum treffen oder
beeinflussen kann, hängt wesentlich von der Struktur der
Gesellschaft und von seiner Position im
gesellschaftlichen System ab, das heißt von seiner
Entscheidungsbefugnis und seiner Entscheidungsmacht ab.
Jeder Einzelne hat immer nur auf einer bestimmten Ebene
oder in einem bestimmten Teilbereich Entscheidungsmacht.
Das kann sich auch in einer zukünftig denkbaren
basisdemokratischen Gesellschaft nicht ändern.
- Ein Entscheidungsmächtiger
kann richtige oder falsche Entscheidungen treffen. Eine
Entscheidung ist dann falsch, wenn der beabsichtigte
Zweck nicht erreicht wird. Das gilt unabhängig davon, ob
die Entscheidung bestimmten ethischen Wertvorstellungen
entspricht oder nicht. Auch eine richtige Entscheidung
kann aus humanitären Gründen abgelehnt werden, während
es keinen Sinn hat, aus humanitären Gründen eine
falsche Entscheidung zu treffen.
- Weltanschauungen und
ethische Wertvorstellungen bestimmen nicht die
Richtigkeit einer Entscheidung, sondern den
beabsichtigten Zweck. Ziel und Zweck einer Entscheidung
wird oft mit der Entscheidung selbst verwechselt, wobei
aber zu beachten ist, dass Ziel und Zweck natürlich auch
Gegenstand einer Entscheidung sind, aber einer anderen,
vorgelagerten.
- Eine Entscheidung kann von
vornherein falsch sein oder sich im nachhinein als falsch
herausstellen. Eine Entscheidung war von vornherein
falsch, wenn der Entscheidende in der Lage war, sich
über die Entscheidungsfolgen zu informieren, dies aber
nicht getan hat. Es gibt aber auch den Fall, dass zu dem
Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung erfolgen musste, die
Folgen objektiv noch nicht erkannt werden konnten. Dann
war die Entscheidung nicht von vornherein falsch, sondern
risikobehaftet. Von vornherein falsche Entscheidungen
sind moralisch verwerflich oder sogar strafrechtlich
relevant, während risikobehaftete Entscheidungen
notwendig sein können, aber das Risiko von vornherein
einkalkuliert werden muss.
- Bei risikobehafteten
Entscheidungen ist das Risiko oft geringer, wenn die
Entscheidung zu einem frühen Zeitpunkt getroffen wird,
und wächst an, wenn die Entscheidung hinausgeschoben
wird. Das Risiko kann auch verringert werden, indem
Zwischenpunkte eingeschoben werden, zu denen die
Entscheidung geändert oder präzisiert werden kann. In
diesem Fall muss der Entscheidungsprozess optimiert
werden.
- Rationale Entscheidungen
erfordern häufig umfangreiches Wissen und aufwändige
Analysen der möglichen Alternativen, die längere Zeiten
erfordern als zur Verfügung stehen. In diesen Fällen
müssen ebenfalls risikobehaftete Entscheidungen gefällt
werden, die dann stark vom Charakter, von der
Weltanschauung, von den persönlichen Interessen und vom
subjektiven Gefühl des Entscheidenden abhängig sind.
- Die Sicherung der Zukunft
der Menschheit erfordert Entscheidungen zur Abkehr von
der ausschließlich profitorientierten Wirtschafts- und
Staatsführung. Solange Profitmaximierung Ziel und Zweck
von Wirtschafts- und Staatsentscheidungen ist, sind
Entscheidungen zur Zukunftssicherung immer falsch. Prof.
Hörz wies darauf hin, dass alternative Zielstellungen
nur dann Gegenstand von Entscheidungen werden können,
wenn die Mehrheit der Menschen solche Entscheidungen
fordern.
- Prof. Jungclaussen hielt es
mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems
für erwiesen, dass durch rationale Aufklärung die
Mehrheit der Weltbevölkerung nicht zu einer alternativen
Entscheidung veranlasst werden kann. Er sah als Ausweg
die Schaffung eines Weltethos für alle Religionen und
Nichtgläubigen im globalen Maßstab mit einer
Rückbindung moralischer Verhaltensnormen an
metaphysische Überlegungen und hofft, dass eine
ausreichende Anzahl von Menschen moralische Pflichten als
göttliche Gebote eher akzeptieren könnten. Die
Religionen sollten deshalb den technischen Fortschritt
nicht bekämpfen, sondern nur bremsen auf eine
ökologisch und menschlich verkraftbare Geschwindigkeit.
Seine Auffassung wurde Gegenstand einer konträr
geführten Diskussion mit offenem Ausgang.