Dunkle Materie und Dinosaurier
Kommentar zu dem gleichnamigen Buch von Lisa Randall

In diesem Buch geht es eigentlich um die kosmologische Evolution, aber es wird darüber hinaus der Zusammenhang mit allen Formen von Evolution hergestellt, der mir auch in dieser Website „Nachdenken über Evolution“ wichtig ist. Man findet auf den über 400 Seiten dieses Buches viele neue Gedanken zur Evolution im Allgemeinen und ich empfehle allen Interessenten meiner Seite es zu lesen, da es mir unmöglich erscheint, diese Gedanken kurz zusammenzufassen.

Sofern man nicht das Gravitationsgesetz überhaupt in Frage stellen will, erfordern viele astrophysikalische Forschungsergebnisse der letzten 50 Jahre die Existenz einer Materieform, die mit gewöhnlicher Materie ausschließlich durch Gravitation in Wechselwirkung tritt, während alle anderen Wechselwirkungsarten nicht vorhanden sind oder bisher trotz erheblicher Bemühungen nicht gefunden worden sind. Demgegenüber kann man viele offene Probleme der kosmologischen Evolution theoretisch erklären, wenn man die Existenz einer etwa fünf mal so großen Menge dunkler Materie annimmt. Ein so großer Anteil hat dann natürlich einen großen Einfluss auf viele Prozesse der kosmologischen Evolution. Das beginnt damit, dass die Feinheiten in der Struktur der kosmischen Hintergrundstrahlung, die in den letzten Jahren immer genauer von Weltraumsonden vermessen werden konnten, Auskunft geben und erklärt werden können durch die Wirkung von dunkler Materie in der inflationären Anfangsphase des Urknalls, in der sich das Universum in Sekundenbruchteilen auf das Billionenfache ausdehnte. Dann sorgte die dunkle und ansonsten wechselwirkungsfreie Materie durch ihre Gravitationswirkung dafür, dass sich die winzigen durch Quantenschwankungen entstandenen Inhomogenitäten der Materie vergrößerten und zu Wolken verdichteten, aus denen Galaxienhaufen, Galaxien und Sterne entstehen konnten. Lisa Randall geht davon aus, dass das Fehlen von Abstoßungskräften in mindestens einem Teil der dunklen Materie es ermöglichte, dass sich die Materiewolken viel schneller verdichten und in Galixien konzentrieren konnten, als dies ohne dunkle Materie möglich gewesen wäre. Dies würde dazu führen, dass die Anordnung der gewöhnlichen Materie in rotierenden Scheiben, wie dies z.B. auch in der Milchstraße sichtbar wird, auch in der dunklen Materie von statten weht, nur dass dort die Scheiben sich weiter konzentrieren und dünnere Scheiben in der Mittelebene der Galaxien bilden. So würde sich im Inneren der Milchstraße, die eine Dicke von 2000 Lichtjahren hat, eine Scheibe dunkler Materie mit einer Dicke von etwa einem Zehntel dieses Wertes bilden. Wie die Verteilung der dunklen Materie genau aussieht, ist derzeit noch unbekannt und Gegenstand intensiver Forschung. Man hofft, dass die genauere Vermessung der Orte und Bahngeschwindigkeiten der Fixsterne in der Milchstraße hierüber Aufschluss geben kann.

Neuere Forschungsergebnisse erweitern auch das Modell, das wir vom Sonnensystem haben. Eine Menge kleinerer Objekte, die die Sonne umkreisen, gibt es im Kuiper-Gürtel außerhalb der Bahn des Planeten Neptun und in der Oort-Wolke, die die Sonne in einer Entfernung von 1000 bis 50000 Erdbahnradien kugelförmig umgibt. Wegen der in dieser Entfernung nur noch schwachen Bindung an die Sonne sind diese Objekte anfällig für kleine Gravitationsstörungen und deshalb Ausgangspunkte von Kometen. Geologische Untersuchungen von Einschlagskratern auf der Erde weisen darauf hin, dass es alle 30 Millionen Jahre eine Häufung von Kometeneinschlägen gegeben hat, die verbunden sind mit 5 großen Wellen von Artenaussterben auf der Erde, deren bekanntestes das Aussterben der Saurier vor 66 Millionen Jahren nach einem Kometeneinschlag in Mexiko war. Auf der Suche nach den Ursachen dieser Periodizität entwickelte Lisa Randall die Theorie, dass schwach gebundene Objekte der Oortschen Wolke durch eine Art von Gezeitenwirkungen aus ihrer Bahn um die Sonne geworfen werden, die beim Durchgang des Sonnensystems durch die Scheibe aus dunkler Materie bei ihrem Umlauf um das Zentrum der Milchstraße entstehen. Da die Sonne mit einer Amplitude von etwa 200 Lichtjahren bei ihrem Umlauf um die Mittelebene der Milchstraßenscheibe schwankt, könnte möglicherweise die dort konzentrierte dunkle Materie die Objekte der Oortschen Wolke in Kometen verwandeln.

Man weiß noch nicht, was dunkle Materie eigentlich ist. Dafür gibt es jedoch eine Reihe Modelle, die beschreiben sollen, welche Eigenschaften sie hat. Alle diese Modelle diskutiert Lisa Randall und beschreibt Experimente, die diese Modelle bestätigen oder verwerfen könnten. Die Palette dieser Modelle reicht von einem Elementarteilchen, das als zusätzliches Teilchen in das derzeitige Standartmodell der gewöhnlichen Elementarteilchen eingegliedert werden könnte, bis zu einer analogen Welt von dunklen Elementarteilchen, die der normalen Welt in ähnlicher Komplexität gegenüberstehen.

Das Buch schließt mit einer philosophischen Betrachtung über die Einheitlichkeit des Universums und den Zusammenhang aller seiner Teile. Alle Forschungsaktivitäten sind letzten Endes darauf gerichtet, diesen Zusammenhang aufzudecken, Dies kann nur schrittweise geschehen und oft ist es anfangs nicht abzusehen, wofür die Forschungsergebnisse verwendbar sind. Der Anwendungsraum der Forschungsergebnisse wird jedoch immer größer, insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht. Insbesondere für die gesellschaftliche Evolution sei es notwendig, immer größere Zeiträume ins Blickfeld zu nehmen, was in der Praxis jedoch zur Zeit häufig eine gegenteilige Tendenz aufweist.

20.11.2016

Bertram Köhler