Die Superreichen

Aufstieg und Herrschaft einer neuen globalen Superelite

Zusammenfassender Kommentar zu dem Buch von Chrystia Freeland


Einleitung

Chrystia Freeland beschreibt als Wirtschaftsjournalistin weitgehend objektiv und ideologiefrei Zustand und Leben einer neuen globalen Geldelite, wie sie diese durch moderierende Teilnahme an zahlreichen Wirtschaftskonferenzen erlebt und wahrgenommen hat. Sie belegt ihre Ansichten durch zahlreiche Fakten und Zitate, die nüchtern und kommentarlos dargelegt sind, ohne einer moralisch-ethischen Bewertung unterzogen zu werden oder in theoretischen Schlussfolgerungen zu münden.

In den reichen und führenden Industrieländern wird das besonders in den letzten Jahrzehnten starke Wachstum der sozialen Gegensätze zwar bedauernd zur Kenntnis genommen, der resultierende Reichtum aber häufig bewundernd herausgestellt, jedoch spricht man lieber von „wohlhabenderen“ als von „reichen“ Leuten. Indes wird eine nähere Betrachtung der Ungleichheit von Einkommen und deren Ursachen eher wenig thematisiert.

Die neoliberale Wirtschaftstheorie geht davon aus, dass bei ursprünglich weitgehender sozialer Gleichheit das niedrige Niveau der Wirtschaftsleistung durch technische Erfindungen und deren technologische Verwertung beständig wächst und dadurch zunächst ein Teil der Gesellschaft zu Wohlstand und Reichtum gelangt, was die Entstehung einer sozialen Kluft zwischen arm und reich zur Folge hat. Bei anhaltendem Wachstum der Wirtschaftsleistung soll der Theorie nach diese Kluft jedoch wieder verschwinden, indem der ärmere Teil die Chance erhält, durch eigene Leistungen zur Spitze aufzuschließen. In dem Buch wird an Hand von Fakten gezeigt, dass die Realität eine andere ist und die Kluft sich weiter vertieft, indem die Mittelschicht verschwindet und zwischen arm und reich eine immer größere Lücke entsteht, die nicht mehr überbrückbar ist.


Geschichtliche Entwicklung

Das zweite vergoldete Zeitalter

„Heute gibt es eine Menge Leute, die bei diesen Hedgefonds so etwa 20 bis 30 Millionen Dollar pro Jahr machen. Nach Steuern sind das aber nur noch 10 Millionen.“

Der Amerikaner Steve Schwarzman gab für die Feier seines 60. Geburtstages am 13. Februar 2007 3 Millionen Dollar aus.

Um ein gutes Leben führen zu können, mit Flugzeug und Boot, da braucht man schon eine Milliarde, aber nicht mehr, sagte der ägyptische Milliardär Sawiri, und unterstützte die Rebellen auf dem Tahrirplatz.

„In den 1970er Jahren verdiente das oberste Prozent der Einkommensbezieher in den USA etwa 10 % des nationalen Einkommens. 35 Jahre später ist sein Anteil auf beinahe ein Drittel des nationalen Einkommens gestiegen.

Zahlen über das Wirtschaftswachstum eines Landes sind nicht mehr charakteristisch für die gesamte Wirtschaft als solche, sondern werden nur noch bestimmt von dem obersten Prozent, der Rest stagniert.


Das erste vergoldete Zeitalter

In den 200 Jahren der industriellen Revolution von 1800 bis 2000 wuchs die Weltbevölkerung auf das Sechsfache und deren Durchschnittseinkommen auf das Zehnfache, was einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 2% entspricht. In den 800 Jahren zuvor betrug in Westeuropa das jährliche durchschnittliche Wachstum nur 0,34%.

Zu Beginn der industriellen Revolution waren in Amerika die sozialen Unterschiede die geringsten der Welt und praktisch nicht vorhanden. Dies war die Ursache, dass in Amerika die sich entwickelnden sozialen Unterschiede bis in die 1970er Jahre hinein unter straffer demokratischer Kontrolle gehalten und der Einkommensanteil der obersten 1% unter 7% gedrückt werden konnte und die Steuern bei bis zu 70% lagen. In Westeuropa waren die sozialen Unterschiede größer, wurden aber aus Furcht vor den Einflüssen des sozialistischen Lagers ebenfalls sozialstaatlich reguliert.

Dann begann mit der Globalisierung und mit der Entwicklung der Computertechnologien eine doppelte Transformation, Das jährliche Wachstum der Weltwirtschaft erreichte 2010 6%, die Steigerung wurde aber im wesentlichen durch globalen Technologietransfer in den aufstrebenden Schwellenländern erreicht, während die westlichen Industrieländer bei den 2% blieben. Vor allem durch den Zusammenbruch des sozialistischen Lagers begünstigt, wurde die Regulierung der sozialen Unterschiede aufgegeben und die Besteuerung der höchsten Einkommen bis auf unter 28% gesenkt. Die Folgen zeigten sich im Anwachsen der sozialen Unterschiede durch Steigerung der höchsten Einkommen und Angleichung der untersten Einkommen in den Industrieländern an die Einkommen in den Entwicklungsländern.


Zwillingsgründerjahre

Während die sog. BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) ein nachholendes Wirtschaftswachstum erleben, bei dem ihr hohes Entwicklungstempo durch die Globalisierung und die Verlagerung der traditionellen Produktion aus den hochentwickelten Industrieländern angetrieben wird, ergibt sich das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern aus dem raschen Entwicklungstempo der Computertechnologie und der Ausnutzung der billigeren Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern, in welche die Produktion verlagert wird. Daraus resultiert einerseits ein rascherer Anstieg des Lebensstandards in den Entwicklungsländern, aber andererseits eine Verarmung der unteren Schichten in den Industrieländern, in denen die Arbeitslosigkeit steigt und die Löhne sinken. Diese unterschiedlichen Wachstumskräfte beschleunigen sich gegenseitig und verursachen das katastrophale Auseinanderdriften der unterschiedlichen Einkommen.

Durch das Wirtschaftswachstum wächst zwar der Wohlstand weltweit, aber die Menschen werden dadurch nicht glücklicher. Grund hierfür ist wahrscheinlich eine wachsende soziale Unsicherheit in allen Schichten der Bevölkerung.


Die Gewinner in Zahlen

Die Gewinner des Wachstums sind weltweit die obersten 10%. In den USA betrug ihr Anteil des Einkommens vor 1940 45%, sank dann bis Ende der 1970er Jahre auf 33% ab und erreichte 2006 50% des nationalen Einkommens. Die stärkste Einkommensveränderung aber fand nicht zwischen den obersten 10% und allen übrigen, sondern innerhalb der obersten 10% statt. Drei Viertel des gesamten Einkommenszuwachses gingen an das oberste Prozent der Bevölkerung und 37 % an die obersten 0,01 %, so dass es heute weltweit etwa 30 Millionen Millionäre gibt (etwa 0,5% der Weltbevölkerung), von denen etwa je ein Drittel in Nordamerika. In Europa und in der übrigen Welt leben. 30000 Menschen haben ein Vermögen von über 100 Millionen, die Zahl der Milliardäre liegt bei 1200. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich diese Tendenzen in naher Zukunft ändern könnten.


Die Kultur der Superreichen.

Die arbeitenden Reichen

Der heute existierende Reichtum ist hauptsächlich aus wirtschaftlicher Tätigkeit entstanden. Nur etwa ein Drittel der Milliardäre war bereits zu Beginn der industriellen Revolution reich, hat ein Vermögen geerbt und verstanden, es zu vermehren. Zwei Drittel haben es angeblich aus eigener Kraft geschafft, nach oben zu kommen. Hier wird jedoch ausgeblendet, wie ihr Reichtum entstanden ist, aber immerhin bezogen das reichste Prozent der Amerikaner im Jahre 1916 nur 20% ihres Einkommens aus bezahlter Arbeit, während es 2004 60% waren. Kapitalerträge sind eine relativ abnehmende Einkommensquelle bei Haushalten mit hohen Einkommen und ihr Anteil sank von 42% im Jahre 1979 auf 21% im Jahre 2002, wenn man Veräußerungsgewinne außer Acht lässt, die allerdings in der gleichen Größenordnung lagen. Die Steigerung der Einkommen resultiert aus der überproportionalen Steigerung der Gehälter der Topmanager.


Sturmlauf der Technikfreaks

Wenn das ererbte Vermögen nicht der entscheidende Maßstab für den Aufstieg in das oberste Prozent war, so war es um so mehr die Schulbildung, die einem vom wohlhabenderen Elternhaus ermöglicht wurde. Die von 1870 bis 1950 geborenen Amerikaner hatten in einer übergroßen Mehrheit ein Bildungsniveau, welches das ihrer Eltern deutlich überstieg und Einkommensvorteile brachte. Dieser Bildungszugewinn kam vor etwa 30 Jahren zum Stillstand, wurde aber ersetzt und noch übertroffen von dem Einkommenszuwachs, das ein Studium an einer Eliteuniversität erbrachte, welches das berufliche Einkommen verdoppelte, besonders in den mathematischen und ingenieurwissenschaftlichen Fachrichtungen. Ein College-Abschluss vermehrt das Lebenseinkommen um beinahe eine Million Dollar. Das eine Prozent der amerikanischen Bevölkerung, das einen solchen Abschluss erreicht, erzielt mit 35 Jahren ein Jahreseinkommen von 100000 Dollar und steigt damit steigt praktisch in das oberste Prozent der Einkommensempfänger auf.


Nicht jeder bekommt eine 2. Chance

Um zu den Superreichen aufzusteigen gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man hat Glück und Spürsinn, gleich nach oder noch während dem Studium in eine Branche einzusteigen, die sich gerade im Aufwind befindet und kann dann schnell so viel Geld machen, dass man auch spätere Rückschläge noch leicht verkraften kann, oder man merkt rechtzeitig, dass sich die gewählte Branche festfahren wird und ist beweglich genug, sofort auszusteigen und woanders neu anzufangen. Entscheidend sind die ersten Jahre und um Erfolg zu haben, werden dann auch häufig leistungssteigernde Drogen eingesetzt.

Weltbürger

Der Lebensstil der Superreichen ist durch folgende Merkmale geprägt:


Philanthrokapitalismus

Die Superreichen Milliardäre sind zunehmend dabei, ihre finanzielle Macht dazu auszunutzen, durch großzügige Spenden und die Finanzierung von Hilfsprogrammen große öffentliche Bereiche zu erobern, wie z.B. das Gesundheitswesen in den USA und Gesundheitsprogramme in den Entwicklungsländern, wobei häufig zwar echte soziale Leistungen erbracht werden, aber auch öffentliche Programme durch Personalaufkauf unterminiert und Ungerechtigkeiten gefördert werden. Ermöglicht wird dies durch ständig sinkende Besteuerung der größten Einkommen, besonders in den USA, und durch die Unterstützung, die superreiche Politiker diesem Entwicklungstrend gewähren.


0,1% gegen das eine Prozent

Überall in der Welt wird die Einkommens- und Vermögenskurve immer steiler, je größer die Vermögen werden, dabei entwickeln sich die Gegensätze an der Spitze der Pyramide immer drastischer. Während die Occupy-Bewegung im wesentlichen von den breiten Schichten der 99% Armen und weniger Vermögenden getragen wird, sind die Revolutionen in Ägypten und in der Ukraine nach Ansicht der Autorin bereits stärker ein Ausdruck der Unzufriedenheit der nur Vermögenden 1% gegenüber den 0,1% der Superreichen und sie befürchtet, dass solche Auseinandersetzungen auch auf die USA übergreifen könnten, weil auch dort die Unzufriedenheit der nur Vermögenden ständig wächst.


Wo sind die Frauen?

Nur 104 der 1226 Milliardäre von 2012 sind Frauen. Zieht man Ehefrauen, Töchter und Witwen ab, bleibt nur noch ein Bruchteil dieser Zahl übrig. Auch das charakterisiert die Kluft, die sich zwischen den Superreichen und der übrigen Bevölkerung auftut.



Superstars

Die Intellektuellen auf dem Weg zur Klassenmacht

Die rasante technologische Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg brachte es mit sich, dass alle Gebildeten und Hochqualifizierten, insbesondere aber die technische Intelligenz wirtschaftliche Vorteile erringen und in führende politische Positionen aufsteigen konnten. Dies gilt auch für eher rechts oder links orientierte Parteien und in allen Ländern. Die bis dahin eher führende Mittelklasse der Facharbeiter und routinierten Angestellten und Beamten wurde zurückgedrängt.

Eine ähnliche Entwicklung ergab sich auch in den Künsten, insbesondere in der Unterhaltungskunst. Durch die neuen technischen Hilfsmittel verbreiterte sich der Wirkungskreis der talentiertesten Künstler enorm und ermöglichte es ihnen exorbitante Einkommen zu erzielen, während eher mittelmäßige Talente nicht mehr gefragt waren. Von dieser Entwicklung profitierten auch Dienstleistungsbranchen wie Rechtsanwälte und Ärzte, weil auch hier die besten unverhältnismäßig hoch von den bestverdienenden anderen Branchen entlohnt werden konnten. Ferner entstand eine Elite von Architekten und andern Dienstleistungsbranchen, die sich darauf Spezialisierten, die Luxusbedürfnisse der Superreichen zu befriedigen. Sogar talentierte Köche und Schneider verstanden es, neben der Befriedigung der Luxusbedürfnisse ihrer direkten Kunden durch Darbietungen in den Massenmedien Berühmtheit und entsprechende Einnahmen zu erzielen.

Hochqualifizierte Wissensarbeiter haben auch gegenüber ihren Arbeitgebern einen wesentlichen Vorteil im Vergleich zu handwerklichen Arbeitern und können deshalb viel stärkeren Druck auf ihre Bezahlung ausüben. Ihr Wissen ist wertvoller als ihre Maschinen, mit denen sie arbeiten. So können Sie leicht ihre Computer kaufen und sich selbstständig machen.


Die Superstars der Finanzbranche

Am leichtesten gelingt es den Bankern und Managern in der Finanzbranche, ihre Einkommen zu steigern und in die Klasse der Vermögensbesitzer und Investoren aufzusteigen. Die Verwaltung großer Vermögen bietet vielseitige Möglichkeiten der Beteiligung und des Übergangs zu Eigengeschäften mit guten Gewinnchancen. Demzufolge ist die Geschwindigkeit des Vermögenszuwachses in der Finanzbranche am größten.


Der Matthäuseffekt

Der Potenzierungseffekt des Superstarwesens ist allgemeiner Natur: Denn wer da hat, dem wird gegeben werden. Das betrifft nicht nur Besitz und Reichtum, sondern auch Berühmtheit. Wer einmal berühmt ist, wird immer berühmter, ob berechtigt oder nicht. Wer einmal reich ist, dem gibt man bedenkenlos einen noch größeren Kredit. Wer bereits einen Nobelpreis hat, dem schreibt man weitere Entdeckungen zu, die nicht er sondern seine Mitarbeiter gemacht haben. Dazu trägt vor allem auch bei: Früher machte man eine Entdeckung mit einem Mikroskop oder einer kleinen Versuchsapparatur, heute braucht man dazu ein Forschungsinstitut mit einem Großgerät.


Das Kapital schlägt zurück

Superstars müssen von ihren Auftraggebern nicht nur für ihr Talent entlohnt werden, sondern sie verlangen auch noch einen „Berühmtheitszuschlag“. Dies erzeugt natürlich eine Gegenreaktion: Die Auftraggeber bemühen sich, weniger berühmte oder nicht mehr berühmte Talente zu engagieren. Das begrenzt das weitere Anwachsen des Berühmtheitszuschlages.

Schwierig ist die Situation in der Wirtschaft.Zu Beginn des 20.Jahrhunderts wurde die Wirtschaft von einer Gruppe vermögender Kapitalisten gewaltig angekurbelt, die als Unternehmer mit ihrer Firma eng verbunden waren. Aber bereits 1929 wurden 44% der 200 größten Unternehmen der USA von Managern statt von ihren Eigentümern geführt. Die von Roosevelts Expertengremium verfolgte Politik des New Deals zielte darauf ab, eine gesellschaftliche Ordnung zu schaffen, in der die Manager mit einem Ehrenkodex an die Zügel genommen wurden, um sie dahingehend zu beeinflussen, weniger im eigenen Interesse, sondern mehr als eine Art Beamte im Interesse ihres jeweiligen Unternehmens zu wirken. Dies hatte zur Folge, dass das Durchschnittsgehalt für Vorstände des oberen Viertels von 813000 Dollar zwischen 1934n -1938 auf 654000 zwischen 1974-1986 fiel, während sich der Marktwert der betrachteten Firmen verdoppelte. Da die Wirtschaft dann aber zu stagnieren begann, führte man das Prinzip „Vergütung nach Leistung“ ein. Bis zum Jahr 2001 stiegen dann die Vorstandsgehälter um 10% pro Jahr. Die Manager der Firmen wurden zu Superstars, die ihre Gehälter einschließlich der Berühmtheitszuschläge selbst festsetzten. Bis zum Jahre 2005 stiegen die durchschnittlichen Vorstandsgehälter dann auf das 110-fache des durchschnittlichen Arbeiters. Eine weitere Folge dieser Entwicklung war, dass Supermanager zu 25% von außerhalb als Vorstandvorsitzende angeworben wurden und 22% mehr verdienen als innerhalb der Firmen aufgestiegene. Befördert wird diese Entwicklung dadurch, das in vielen amerikanischen Unternehmen der Vorstandsvorsitzende zugleich Aufsichtsratsvorsitzender sein darf und sich als Hochtalentierter betrachtet, der entsprechend seinen Fähigkeiten bezahlt wird.


Revolutionen beim Schopf packen

In diesem Kapitel analysiert die Autorin konkret Dutzende von Lebensläufen erfolgreicher Milliardäre aus aller Welt und beschreibt, wie diese in Brasilien und Russland, in den USA und Indien, in China und anderen aufstrebenden Schwellenländern zu ihren Milliarden gekommen sind. Entscheidend war immer eine qualifizierte Ausbildung an einer Elite-Universität, insbesondere in technischen, mathematischen und physikalischen Fachrichtungen, die Fähigkeit, neue Entwicklungen als solche zu erkennen und risikofreudig jede sich bietende Chance zu nutzen und zufällig immer zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, um auf bereits fahrende Züge aufspringen zu können. Wesentlich war auch die Fähigkeit, rechtzeitig zu erkennen, wenn sich krisenhafte Entwicklungen anbahnen und schnelles Umschwenken angebracht war.

Schulterzuckend nimmt die Autorin zur Kenntnis, dass das initiativreiche und kreative Wirken von Managern und Unternehmern zwar eine im globalen Maßstab gewaltige Wirtschaftsentwicklung und in deren Gefolge auch eine enorme Reichtumsentwicklung nicht nur der Initiatoren, sondern auch einer breiten oberen Mittelschicht hervorgebracht hat, aber auch eine Unsicherheit des Arbeitsplatzes in allen Schichten der Bevölkerung, die den ärmeren Teil besonders hart trifft.


Die Superrentiers: Milliarden auf Kosten der Allgemeinheit

Wenn Russland mit einer Milliardärsrate von 78 und Indien mit einer Milliardärsrate von 55 Milliardären pro einer Billion Dollar Bruttoinlandsprodukt die Weltbestenliste anführen, so muss man wohl die Frage der gerechtfertigten Herkunft dieser Milliarden stellen. Auch ist es ein Unterschied, ob Bill Gates mit seinen Programmen Milliarden anhäuft oder wenn Banker Abermillionen an Gehältern und Boni einstecken, deren Institute mit Steuerbillionen gerettet werden müssen, oder wenn Manager von Beteiligungsgesellschaften Unsummen einheimsen, aber nur 15% Steuern zahlen müssen (wie in den USA). Solche leistungslosen Einkommen auf Kosten der Allgemeinheit sind gewöhnlich Folgen unzureichender staatlicher Kontrolle und Wohlstandsumverteilung, aber auch (unbeabsichtigte?) Folgen liberaler Reformen zur Lockerung des staatlichen Zugriffs auf die Wirtschaft.


Der Ausverkauf des Jahrhunderts

Die Überführung von Staatseigentum der ehemals sozialistischen Länder in Privatbesitz war der größte Vermögenstransfer der Menschheitsgeschichte. Mit dieser gewaltigen Verschleuderung von Vermögenswerten wurden allein 111 Milliardäre aus der ehemaligen Sowjetunion geschaffen, mit deren Vermögen 20% der Jahreswirtschaftsleistung Russlands gekauft werden könnte. (In den USA gehören 424 Milliardären nur etwas mehr als 10% der Jahreswirtschaftsleistung des Landes). Die Ungleichheit in Russland ist jetzt größer als unter dem Zaren. Die Privatisierungswelle war jedoch global, auch in Mexiko, Brasilien, Indien und Großbritannien wurden Staatsbetriebe und Erschließungsrechte für Rohstoffvorkommen in großem Umfang verkauft. Der reichste Mensch wurde ein Mexikaner, der zweitreichste der russische Oligarch Chodorkowski.

Auch in Indien waren die Marktreformen ein enorm effektiver Mechanismus zur Erzeugung von 48 Milliardären, die 14% der Jahreswirtschaftsleistung Indiens beherrschen und infolge der weit verbreiteten Korruption überdurchschnittliche Gewinne einfahren.

Rote Oligarchen

Auch in China haben die liberalen Wirtschaftreformen 95 Milliardäre hervorgebracht, die aber öffentlich weniger in Erscheinung treten, weil die Privatisierung eher schleichend erfolgt, die Reichen mit den oberen Partei- und Regierungsvertretern identisch sind oder mit diesen enge Kontakte pflegen und diese Tatsachen eher geheim gehalten und zur Disziplinierung unliebsamer Funktionäre benutzt werden. Keiner der Reichen ist auf völlig legalem Wege reich geworden und Korruption und Erpressung blühen. Obwohl die liberalen Wirtschaftsreformen erfolgreich waren und 300 Millionen Chinesen aus der Armut befreiten, sind die sozialen Ungleichheiten unübersehbar groß.


Rentenökonomie an der Wall Street und in der Londoner City

Während in den Transformations- und Entwicklungsländern die Ausplünderung der Allgemeinheit mehr oder weniger dubios erfolgte, vollzieht sie sich in den westlichen Demokratien ganz legal. Obwohl bereits 2007 abzusehen war, dass eine Finanzkrise nahte, diskutierte man in den USA um eine weitere Lockerung der Bankvorschriften, um der europäischen Konkurrenz besser gewachsen zu sein. Lediglich Kanada verweigerte sich einer Senkung der geforderten Eigenkapitalreserven der Banken und vermied damit, dass seine Banken später durch Steuergelder gerettet werden mussten. In den übrigen Ländern ermöglichte man durch Lockerung der Bankvorschriften dem Finanzsektor erhebliche Extragewinne, wodurch die Zahl der Millionäre und Milliardäre in diesem Sektor erheblich anwachsen konnte. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch erheblichen Personalaustausch zwischen den Spitzenmanagern der Finanzbranche und den für die Regulierung der Finanzgeschäfte zuständigen staatlichen Aufsichtsbehörden. Bemerkenswerter Weise haben die konservativen Abgeordneten der Parlamente unter dem Einfluss zahlreicher Lobbyorganisationen dieses Spiel durch entsprechende Gesetzgebung gefördert. Dies wird von der Autorin anhand zahlreicher Fakten belegt.


Die Superreichen und wir

Glück spenden

In den folgenden Abschnitten stellt die Autorin eine Reihe von Äußerungen von Milliardären zusammen, aus denen hervorgeht, wie aus der Perspektive der Superreichen ihr Verhältnis zum Staat, zu den breiten Mittelschichten und zu den Armen gesehen wird. Die meisten dieser Privilegierten sind der Meinung,

Nur wenige spüren die Beunruhigung, die die Okkupy-Bewegung hervorbringt, in dem sie sich gegen derartige Meinungen zur Wehr setzt, und jene, die sie spüren, glauben, dass sie sich dagegen abschirmen können, indem sie sich auf einsame Inseln zurückziehen.


Gut für die Firma, schlecht für den Staat

Bemerkenswert ist auch die harte Auseinandersetzung, die auf einer Konferenz der Bankenvereinigung 2011 über die vorgeschlagenen Regeln zur Eigenkapitalreserve, bekannt als Basel III, zwischen Vertretern des Finanzstabilitätsrates und den Chefs der amerikanischen Großbanken ausgetragen wurde und dem Präsidenten der Bank von Kanada den Vorwurf antiamerikanischen Verhaltens einbrachte. Er hatte es gewagt, das Recht des Staates zu verteidigen, auch Banken zum Wohle der Allgemeinheit in die Schranken zu verweisen.

Chinas Plutokraten bekämpfen den Staat nicht, weil sie selbst der Staat sind, und sollte es einer von ihnen vergessen, wird er mit äußerster Brutalität abgestraft; zwischen 2003 und 2011 wurden mindestens 14 chinesische Milliardäre exekutiert.

Kognitive Kaperung

Mit der Krise des Finanzsystems und der Notwendigkeit, die Großbanken mithilfe staatlicher Kredite zu retten, setzten sich zwar die Befürworter von Basel III durch, aber das Problem der Interessengegensätze von Finanzbranche und Staat als Vertreter der Allgemeinheit ist damit nicht gelöst. Solange ein Banker das zehnfache von dem eines Regulierers verdient, liegt das Schwergewicht bei den Bankern. Die Regulierer sind geneigt, die Meinung der Banker zu übernehmen. Damit sind günstige Voraussetzungen geschaffen, dass ein starker Staat nicht die Interessen der Allgemeinheit, sondern die Interessen der Banker vertritt und damit das Gegenteil von dem erreicht wird, was mit der Stärkung des Staates erreicht werden sollte.


Wer erobert die Neue Klasse

Die Neue Klasse – das ist die Intelligenz, die auf der Basis der technologischen Revolution überall erfolgreich wurde und zur Führungsmacht aufstieg. Wo steht sie im Interessenkonflikt der erfolgreichen Unternehmen mit dem Staat als Vertreter der Allgemeinheit? Im vorigen Jahrhundert sah es zunächst so aus, als wären linke und soziale Ideologien, in den USA die Demokraten, stark vertreten, die mit hohen Steuern die Gewinnmöglichkeiten der Vermögenden einzuschränken versuchten. Sie beherrschten Stiftungen und Universitäten. Aber technische Wissenschaften ermöglichten bessere Verdienstchancen als Geisteswissenschaften und in der Wirtschaft, insbesondere in der Finanzbranche, konnte man schneller reich werden. Dies und der Untergang des sozialistischen Lagers beförderten einen Schwenk nach rechts und zu den Republikanern. 2010 waren 50% aller Kongressmitglieder Millionäre, ihre mittleres Einkommen betrug mehr als das neunfache des landesweiten Durchschnittseinkommens. Ihr Informationsvorsprung ermöglichte ihnen um 12% über dem Durchschnitt liegende Renditen auf ihre Aktienportfolios. Am Ende ihrer politischen Karriere ergeben sich überdurchschnittliche Verdienstmöglichkeiten. Besonders linke Kritiker charakterisieren diese Politiker deshalb gern „als Meister des Doppeldenk, die herzlos ihr Eigeninteresse verfolgen, im vollen Bewusstsein, dass die Unterschicht darunter leiten muss“. Die Autorin meint: „Die Realität ist weniger böse: Die meisten Angehörigen der Superelite sind aufrichtig überzeugt, dass die Politik, die zufällig ihren eigenen Interessen, ihrem Unternehmen oder ihrer Branche nützt, auch für alle anderen richtig ist“.


Schluss

Die Autorin vergleicht den Aufstieg der neuen globalen Geldelite mit der Entwicklung der des Stadtstaates Venedig im Mittelalter. Gegründet von Flüchtlingen vor den Invasionen Hunnischer und germanischer Stämme war Venedig zunächst eine weltoffene Republik, die durch Handel und Wirtschaft reich wurde und in der jeder Bürger und Zugezogene seine Talente frei entfalten und ein reicher Kaufmann werden konnte. Nutznießer des Reichtums der Stadt waren vor allem die reichsten Kaufleute, die als Elite die Geschicke der Stadt bestimmten. Im 14. Jahrhundert veränderte sich die politische Ordnung zu einer Oligarchie, die zunächst die politischen und dann auch die wirtschaftlichen Aufstiegschancen der Bürger rigoros beschnitt. Die Reichsten sicherten ihren Reichtum, aber der wirtschaftliche Niedergang der Stadt begann und war nicht mehr aufzuhalten.

Der heutigen kapitalistischen Ordnung droht dasselbe Schicksal. Die superreichen Eliten schotten sich ab und verteidigen ihre Interessen gegen und mit dem Staat. Eine besondere Gefahr ist die Vererbung des Reichtums und der damit verbundenen Privilegien von Generation zu Generation, wodurch die soziale Mobilität eingeschränkt und die Kluft zwischen Reichtum und Armut unüberwindbar groß wird. Wenn die Superreichen nicht selbst erkennen, welche Gefahr in einem derartigen Zerbrechen der Gesellschaft heranwächst, untergraben sie sich selbst die Grundlagen ihres wirtschaftlichen Erfolgs. Diese Selbsterkenntnis scheint aber außerordentlich unwahrscheinlich, weil das kurzfristige Eigeninteresse der Akteure die Grundlage des Systems ist und ständig reproduziert wird. Außerdem gibt es kein objektives Kriterium, um den Punkt zu erkennen, ab dem das Eigeninteresse dem Allgemeininteresse zuwiderläuft. Die Autorin sieht jedenfalls keine Lösung des Problems in Sichtweite, obwohl sie Marx bescheinigt, dass auch er der Überzeugung war, dass der Kapitalismus den Keim seiner eigenen Zerstörung in sich trägt.

 (siehe hierzu auch Grundrisse einer neuen Eigentumsordnung )

 

11.7.2014

Bertram Köhler