Die evolutionär stabile Strategie
Mutation und Selektion verursachen die Entstehung und beschleunigte Entwicklung der am besten angepaßten und für die weitere Evolution geeignetsten Individuen. In einer Population bilden sich dabei Verhaltensmuster heraus, die den Interessen der Individuen dienen und gleichzeitig eine evolutionär stabile Bevölkerung ermöglichen. Mit Hilfe der Spieltheorie können diese Verhaltensmuster analysiert und nachvollzogen werden.
Das klassische Beispiel, wie die evolutionäre stabile Strategie funktioniert, ist das Szenario mit den Falken und den Tauben von Maynard Smith:
Eine Population besteht aus Falken und Tauben. Die Falken kämpfen immer wenn sie auf einen Rivalen stoßen, die Tauben drohen zwar, rennen aber weg, wenn der Gegner angreift. Wenn wir annehmen, daß die Konflikte zwischen Individuen aus irgendeinem materiellen Grund entstehen, z. B. Nahrung oder Gelegenheit zur Paarung, kann man willkürlich Punkte für den Erfolg oder die Niederlage verteilen, die in der Summe ein Maß für den genetischen Erfolg darstellen. So gibt es
50 Punkte für einen Sieg
0 Punkte für ein Weglaufen
-100 Punkte für eine ernsthafte Verletzung
-10 Punkte für die Zeitvergeudung einer Drohgebärde
Besteht die Bevölkerung nur aus Tauben, so werden bei jeder Begegnung Drohgebärden ausgetauscht und jeder Teilnehmer erhält -10 Punkte, aber einer rennt zuerst weg und der andere erhält 50 Punkte für den Sieg und hat einen Nettogewinn von 40 Punkten. Die mittlere Punktzahl pro Individuum beträgt also 15.
Erscheint durch eine Genmutation ein einzelner Falke, so gewinnt dieser bei jedem Wettbewerb 50 Punkte und ist allen Tauben mit deren 15 Punkten überlegen. Er vermehrt sich deshalb bevorzugt, bis es eine große Zahl von Falken gibt, die sich gegenseitig ins Gehege kommen.
Besteht die Bevölkerung nur aus Falken, führt jede Begegnung zu einem erbitterten Kampf, einer wird schwer verletzt und erhält -100 Punkte, der andere gewinnt und erhält 50, aber der Mittelwert pro Individuum ist nur -25. Taucht jetzt eine Taube in der Falkengesellschaft auf, so rennt sie immer gleich weg und erhält 0 Punkte, ihr ergeht es also besser als den Falken bis zu dem Moment, an dem genügend Tauben vorhanden sind, die eine leichte Beute der verbleibenden Falken sind, die damit 50 punkte machen können.
Eine stabile Bevölkerung stellt sich ein, wenn auf 5 Tauben 7 Falken kommen. In diesem Falle beträgt bei jedem Konflikt die mittlere Punktzahl pro Individuum 6,25, und zwar sowohl für die Falken als auch für die Tauben. Das ist viel weniger als in einer reinen Taubengesellschaft. Der Art würde es besser gehen, wenn alle Individuen Tauben wären, aber eine solche Gesellschaft ist mutationsinstabil !
"Ist es möglich, daß die relativ neue Entwicklung der Intelligenz uns die Gelegenheit gibt, Berechnungen anzustellen und unser Verhalten so abzustimmen, daß es zum Wohl der Art und nicht zum Wohl des einzelnen ist, und könnten wir damit auch das Wohlergehen des einzelnen verbessern, wie es in der Nur-Tauben-Gesellschaft der Fall ist ?" (Gribbin)
Der letztgenannte Gedanke wird von Lutz v.Grünhagen auf seiner Homepage weiter verfolgt.