Strategien der Biogenese (Ebeling 1982)
1. Autokatalytische Eigenschaften spontan entstandener Eiweißmoleküle führen zur Erhöhung deren Konzentration im Vergleich mit anderen Molekülsorten, die diese Eigenschaften nicht besitzen. Durch unspezifisch wirkende katalytische Eiweißmoleküle entstehen weitere Molekülsorten in höheren Konzentrationen und katalytische Kaskaden. Unter dem Einfluß der Oberflächenspannung bilden sich Eiweißkoazervate mit höherer Eiweißkonzentration, wodurch sich die Reaktionsgeschwindigkeiten erhöhen. (siehe hierzu auch Litsche)
2. In der nun entstehenden großen Vielfalt von Eiweißsorten bilden sich katalytische Verbände, deren Elemente sich gegenseitig katalytisch fördern. Die Reaktionsgeschwindigkeiten in unterschiedlich zusammengesetzten Koazervaten bestimmen Wachstumsraten und Teilung der Koazervate und führen zur Selektion der produktivsten Verbände.
3. Innerhalb der katalytischen Zyklen entsteht eine Differenzierung der Funktionen. Nukleotide mit geringen katalytischen Fähigkeiten und hoher Kapazität zur Musterspeicherung (RNA) erzeugen Replikasen, die mit starken katalytischen Eigenschaften unspezifisch mit geringer Kapazität zur Musterspeicherung die Nukleotide reproduzieren (kopieren).In homogener Lösung haben Mutationen eines Nukleotides keine Selektion zur Folge, da die alte und die neue Replikase beide Nukleotide reproduzieren. Eine Evolution wäre somit nicht möglich. Wenn bei der Teilung eines Koazervates (Protozelle) die Konzentration der beiden Nukleotide stochastisch variiert, erhält jedoch das Koazervat mit der höheren Konzentration der besseren Replikase durch Erhöhung der Reproduktionsgeschwindigkeit einen Selektionsvorteil und ist damit evolutionsfähig.
4. Ein System, in dem neben der RNA und einer unspezifischen Replikase ein Nukleotid existiert, das die gleichen Eigenschaften wie die RNA außer der Fähigkeit zur Erzeugung der Replikase besitzt (DNA), hat einen unbedingten Selektionsvorteil gegenüber dem ursprünglichen. Das hat die Entstehung und Selektion von Systemen mit DNA, die als reiner Informationsspeicher arbeiten, zur Folge. Solange die RNA nur geringe Effektivität bei der Produktion von Replikase besitzt, wirkt sich die Veränderung der Effektivität der Replikase nur wenig auf den Selektionswert aus, es werden deshalb zunächst Systeme mit verbesserter Effektivität der RNA selektiert. Bei höherer Effektivität der RNA hat die Verbesserung der Replikase stärkeren Einfluß auf den Selektionswert. Verbesserungen des Selektionswertes wurden deshalb durch Entstehung der Hilfsenzyme Synthesase für die Produktion der Replikase an der RNA und durch Spezialisierung der Replikase in Duplikase zur Kopie der DNA und in Transkriptase zur Erzeugung von RNA aus DNA erreicht.
5.Die weitere Erhöhung des Selektionswertes erforderte den Ausbau des Enzymapparates. Die Produktion der Enzyme erforderte weitere Katalysatoren, so daß der erforderliche Aufwand quadratisch anstieg. Dieses Problem wurde durch den Aufbau eines Bausteinsystems gelöst, das aus standardisierten Elementen bestand. Komplizierte Proteine werden durch die unterschiedliche Anordnung von 20 verschiedenen Aminosäuren synthetisiert. Art und Anordnung der Aminosäuren werden in der DNA codiert.
6. Das Bausteinprinzip erforderte nicht mehr die komplette Codierung der Synthesevorschrift für ein Protein in einer DNA. Im Gegenteil wurde die weitere Evolution dadurch behindert, daß bei Mutationen in den DNA immer neue Bausteine synthetisiert wurden und damit das Bausteinprinzip verletzt wurde. Andererseits wurden die DNA immer länger, wodurch die Fehlerquote bei der Dublizierung stieg und es zu einer Mutationskatastrophe kam. Aus der ursprünglich funktionell einheitlichen DNA und der zugehörigen RNA entstanden drei unterschiedliche Kategorien, nämlich
- DNA für die t-RNA, die jeweils einen einzelnen Baustein synthetisieren
- DNA für die r-RNA, die den Syntheseapparat herstellen
- DNA für die m-RNA, die die Bausteinfolge bei der Proteinsynthese steuert.
7. Für die Proteinsynthese werden die 20 als Bausteine verfügbaren Aminosäuren durch jeweils 3 der insgesamt 4 zur Verfügung stehenden Nukleotidsorten in der DNA codiert (Codons) in der Reihenfolge des erforderlichen Zusammenbaues. Bei Mutation eines Nukleotides wird dann jeweils eine Aminosäure durch eine chemisch verwandte andere Aminosäure ersetzt. Die für die katalytische Synthese des Enzymapparates erforderliche Reihenfolge der Aminosäurebausteine spiegelt sich in einer Grammatik der genetischen Sprache wieder, die letztlich dadurch entstand, daß der Enzymapparat einer scharfen Forderung nach Maximierung des Selektionswertes in den Koazervaten unterlag. In der nachfolgenden Evolutionsperiode wurde der genetische Code für die Proteinsynthese nicht weiterentwickelt, weil er sich für die anstehenden Prozesse der Zellbildung und Entwicklung von Organismen als ausreichend flexibel erwies und andere Faktoren (Membranbildung) den Selektionswert stärker beeinflußten.
8. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß bei der Herausbildung des genetischen Codes zahlreiche Parallelentwicklungen auftraten, die jedoch lokal schnell ausselektiert wurden. Räumlich weit voneinander entfernte Populationen entwickelten sich zunächst unabhängig voneinander mit immer größer werdenden Entwicklungsabständen. Die am weitesten entwickelten Populationen begannen sich räumlich auszubreiten und trafen auf weit unterlegene Konkurrenten, die ihnen nicht gewachsen waren, auch wenn deren genetischer Code möglicherweise besser war.
8 . Infolge des immer rascheren Wachstums der präbiologischen Urzellen entstand Nahrungsmangel an den ursprünglich verwendeten Rohstoffen, der eine Adaptation an unterschiedliche Rohstoffqualitäten erforderte. Die Ausbildung der Sinne (Geschmack) ermöglichte die schnellere Umstellung des Stoffwechselapparates bei Änderungen des Rohstoffangebotes und führte damit zur Erlangung von Selektionsvorteilen.
9. Der bis hierher erreichte Entwicklungsstand war durch primitive Zellen geprägt, die bereits alle wesentlichen Eigenschaften, wie Stoffwechsel, Vermehrung, Vererbung, Reizbarkeit, von Lebewesen aufwiesen. Da diese "Lebewesen" als dissipative Strukturen ständig Entropie produzierten und exportieren mußten, konnten sie nur durch ständige Zufuhr freier Energie existieren, die zu dieser Zeit nur in Form von spontan erzeugten Makromolekülen in verwertbarer Form zur Verfügung stand und unter dem Einfluß der Sonnenstrahlung und atmosphärischer Prozesse nur in sehr beschränktem Umfang nachgeliefert wurden. Die exponentielle Wachstumsrate der Population führte zwangsläufig zu einer sich verschärfenden Energieverknappung, die das weitere Anwachsen stoppte und auf das durch die Nachlieferung von freier Energie bedingte Fließgleichgewicht reduzierte. Die bislang für die Bewertung der Selektion maßgebende Vermehrungsgeschwindigkeit verlor völlig an Bedeutung und der Selektionswert wurde nunmehr durch die Effektivität der Rohstoffausnutzung und durch die Lebensdauer der Systeme bestimmt. Eine weitere Evolution war durch die Entwicklung trophischer Strukturen (andere Lebewesen als Nahrungsquelle, Entwicklung von Schutzfunktionen gegen das Gefressenwerden) für eine gewisse Zeit möglich. Entscheidende Entwicklungsmöglichkeiten boten sich jedoch den Lebewesen, denen es gelang, die Photosynthese auf der Basis des Chlorophylls zu nutzen und damit eine neue Energiequelle zu erschließen.
10. Auf der Grundlage der neuen Energiebasis wurde durch die neu entstehende Pflanzenwelt ein gewaltiger Anstieg der Biomasse und die Bildung der Sauerstoffatmosphäre möglich, was wiederum die Voraussetzungen für die Entwicklung der pflanzenfressenden Tiere und der Raubtiere bot. Damit entsteht ein durch Nahrungsketten verkoppeltes Ökosystem, das durch die Lottka-Volterra-schen Differentialgleichungen modelliert werden kann.
11. Ökosysteme sind instabil gegenüber einer Verlängerung der Nahrungsketten. Solange die Aufbewahrung und Weitergabe der freien Energie in jeder Stufe physikalisch - physiologisch gewährleistet werden kann, werden die Nahrungsketten also immer länger. Damit verbunden ist die Entstehung immer neuer Arten und eine Vergrößerung der Informationsentropie. Der für die weitere biologische Evolution maßgebende Selektionswert wird damit durch eine Vielzahl von Eigenschaften der betreffenden Spezies bestimmt. (siehe hierzu auch Litsche)
12. Deterministische Modelle von Öko-Systemen haben selektive Eigenschaften und eine eindeutige, positive, asymptotisch stationäre Lösung. Je nach der Struktur der Nahrungsketten und der Anfangsbedingungen sind gedämpfte Oszillationen möglich. Die Trajektorien führen extrem nahe an den Koordinatenachsen vorbei, was bei stochastischer Betrachtung zu hohen Aussterbewahrscheinlichkeiten der Spezies führt. Eine Wiederholung des gleichen Zyklusses ist daher extrem unwahrscheinlich. In Übereinstimmung damit ist man heute der Überzeugung, daß etwa das Hundertfache der z.Zt. lebenden biologischen Arten in der Evolution bereits wieder ausgestorben ist.