Auf der Suche nach Auswegen
1. Die Anforderungen an ein evolutionsfähiges Gesellschaftssystem finden in den Darlegungen von Dieter Klein (ND v. 4./5. März 95)erste konkretere Ausgestaltung. In den folgenden Thesen wird versucht, die Denkansätze von Klein in die bis hierher verfolgte Evolutionsstrategie einzuordnen.
2. Die den Produktionsstandort Deutschland betreffende Wachstumskrise ist eine Folge der zunehmenden Internationalisierung des Marktes. Die Verlagerung der Produktionsstandorte in Billiglohnländer ist eine Auswirkung der Internationalisierung des Finanzmarktes und führt zu einer Konkurrenzsituation auf dem Warenmarkt, die zur Ausselektierung traditioneller, teuerer Produktionsstandorte tendiert. Die Senkung der Lohnkosten in Deutschland würde zwar die Konkurrenzsituation verbessern, langfristig aber den Lebensstandard senken und vom evolutionstheoretischen Standpunkt einen Rückschritt darstellen, der in keiner Weise die mit dem weltweiten extensiven Produktionswachstum verbundenen Probleme lösen könnte. Im Gegenteil würden niedrigere Produktionskosten in Deutschland ja auch die Konkurrenzsituation der Entwicklungsländer verschlechtern und damit deren wirtschaftliche Entwicklung behindern.
3. Eine langfristig tragende Wirtschaftsentwicklung ist nur durch eine Abkehr von der extensiven Wirtschaftsausdehnung und durch eine Hinwendung zu innovativen Veränderungen der Wirtschaftsstrukturen möglich, in denen energiesparende Hochtechnologien, umweltschonende Verkehrsmittel, Rohstoffrecycling und reproduktionsfähige Energiequellen die tragenden Elemente sind.
4. Die mit der technologischen Entwicklung zwangsläufig verbundene Steigerung der Arbeitsproduktivität muß bei Abkehr von der extensiven Produktionsentwicklung begleitet sein von der Entwicklung des Gesundheits- und Sozialwesens, der Bildung und Erziehung sowie der Kultur- und Freizeitsphäre, um die freigesetzten Arbeitskräfte vom Standpunkt der Evolutionstheorie sinnvollen Aufgabengebieten zuzuführen und Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
5. Die als dritte Wachstumschance angeführte Forderung nach einer Umkehr des Nettokapitaltransfers von Süd nach Nord würde zweifellos riesige Märkte erschließen und die Unterentwicklung reduzieren, auf der anderen Seite aber dazu führen, daß die extensive Erweiterung der Produktion ungehindert noch viele Jahre ohne Rücksicht auf Ökologische Beschränkungen fortgesetzt werden kann und die globalen ökologischen Probleme zu späterer Zeit mit um so größerer Wucht zurückschlagen würden. Es würde damit zwar eine soziale, aber keine nachhaltig dauerhafte Entwicklung eingeleitet. Möglicherweise muß aber zunächst ein solcher Weg beschritten werden, weil das gesellschaftliche ( bei Klein: öffentliche) Bewußtsein andere Lösungen noch nicht zuläßt. Solange noch derartiges Wachstum möglich ist, ist eben die Wachstumsrate noch das entscheidende Bewertungskriterium, das den Selektionswert eines gesellschaftlichen Systems bestimmt.
6. Wachsende Arbeitslosigkeit ist ein deutliches Anzeichen dafür, daß die Wachstumsrate ihre bisherige Bedeutung verliert und ist gleichzeitig ein Phänomen, das den Wandel des öffentlichen Bewußtseins bewirken und die einschneidenden Brüche herbeiführen kann, von denen Klein spricht (Vergl. auch die Ausführungen im Beitrag "Anforderungen an ein evolutives Gesellschaftssystem",Punkte 6 und 7).
7. Auf die regulierende Wirkung der Marktmechanismen und die innovativen Evolutionspotentiale der Privateigentümer kann nicht verzichtet werden, aber notwendig sind streng regulierende Eingriffe in die Verfügungsrechte über das Eigentum im Interesse sozialer Gerechtigkeit und langfristiger ökologischer Ziele.
8. In der Wechselwirkung von Markt, Staat, zivilgesellschaftlichen Kräften und internationalen Wirtschaftsorganisationen ist eine Neuverteilung der Gestaltungsmacht erforderlich, so daß nicht das Gewinninteresse beseitigt, wohl aber die Dominanz des Profitmechanismus in der Evolution der Gesellschaft gebrochen und permanente öffentliche Suche nach vernünftigen Antworten ohne Ausgrenzungen und mit Respekt vor Minderheitsmeinungen gesichert wird - auch durch Umkehr gegenwärtiger Tendenzen in der Medienlandschaft.
9. In den Internationalen Beziehungen müssen Vereinbarungen zustande kommen, die die Kontrolle des internationalen Kapitals ermöglichen und ein Ausweichen des Kapitals vor nationalen Regulierungsmaßnahmen unmöglich machen.
10. Die pluralistische Demokratie muß so erneuert und gestärkt werden, daß alle ernst zunehmenden gesellschaftlichen Kräfte stärkere Einflußmöglichkeiten auf konstruktive Lösungen brennender Gegenwarts- und Langzeitprobleme erhalten und den langfristigen Verwertungsinteressen der Unternehmer im Verhältnis zu ihren kurzfristigen Gewinninteressen ein weit stärkeres Gewicht verschaffen können.
Klein: Die einen erwarten dies als Übergang zu einer 'anderen Moderne', die anderen als 'Prozeß Gottes auf Erden' und wieder andere als 'demokratischen Sozialismus'